»Ich möchte Wirklichkeit erschaffen«

Mit »Elefantenherz« kommt Ende April der erste Film des ehemaligen KHM-Studenten Züli Aladag in die Kinos. Martin Klein sprach mit ihm über Boxerfilme, das Studium in Köln und seinen Hauptdarsteller Daniel Brühl.

StadtRevue: Es gehört einiger filmischer Mut dazu, sich im Genre des Boxerfilms zu versuchen: nicht nur weil seit »Raging Bull« die Latte sehr hoch hängt, sondern weil jeder Fernsehzuschauer schlecht gemachte Sportszenen sofort als solche erkennt. Wie hast du dich auf diese Handicaps vorbereitet?

Züli Aladag: Zum Boxen habe ich selbst seit meiner Kindheit einen Bezug. Ich habe noch die letzten Kämpfe von Ali gesehen, sieben oder acht Jahre war ich da, und habe nachts um zwei mit meinem Vater vor dem Fernseher gesessen und war total fasziniert. Ich schaue mir auch heute noch gerne Kämpfe an. Unter den Boxerfilmen ist natürlich Scorceses »Raging Bull« der Film, der die Maßstäbe gesetzt hat. Ich habe mir in der Vorbereitung sämtliche Boxerfilme angeschaut, um Wiederholungen und Überschneidungen zu vermeiden, ich wollte einen eigenen Ansatz finden. Mir war wichtig, die emotionalen Wendepunkte in einem Kampf sichtbar zu machen, also haben wir uns entschieden, dass unsere Kamerafrau Judith Kaufmann aus der Hand dreht und ganz dicht herangeht.

Es ist sehr deutlich das Streben nach Authentizität zu sehen, sowohl hinsichtlich des Milieus als auch der Kämpfe. Wie viel echtes Material braucht die Fiktion?

Wir haben in Duisburg gedreht, weil es noch immer eine typische Arbeiterstadt ist. Wenn man dort die Häuser und Wohnungen filmt, versteht der Zuschauer sofort, warum unser Held Marko, den Daniel Brühl spielt, da raus will. Ich habe im Vorfeld der Produktion selber an einem Boxtraining teilgenommen, wenn auch nicht ganz so intensiv wie Daniel, der sich ein halbes Jahr lang jeden Tag stundenlang richtig schinden musste, um die Statur eines Boxers zu bekommen. Mein Augenmerk richtete sich auf die Stimmung, auf den Geruch des Milieus, und die Leute in diesen Vereinen. Ich wollte auch nicht zu sehr von meinem Choreografen in den Kampfszenen abhängig sein, sondern so viel wie möglich vom Boxen begreifen. Bei der Gelegenheit habe ich mich entschieden, für den Film auch echte Boxer zu nehmen. Der Trainer Ali ist auch im wirklichen Leben Trainer und Sozialarbeiter in einem. Er betreut für die Arbeiterwohlfahrt Jugendliche in Köln in einem Zentrum an der Venloer Straße. Das hat mich so fasziniert, dass ich diese Figur ins Buch reingeschrieben habe.

»Elefantenherz« ist ein schon länger schwelendes Projekt, wie ist das Drehbuch schließlich in deine Hände gelangt?

Das Buch hat eine ziemlich lange und eigenartige Geschichte. Ich hatte eigentlich nach meinem Abschluss an der Kölner Kunsthochschule für Medien vor, einen eigenen Stoff für meinen ersten Langfilm zu verfilmen. Eine Liebesgeschichte. Dafür hatte ich bereits andere Angebote ausgeschlagen, als Katja de Bock vom WDR mich ansprach, ob ich nicht Lust auf dieses Script hätte. Sie hatte Kurzfilme von mir gesehen und suchte händeringend einen neuen Regisseur, da die Autorin der ursprünglichen Fassung von »Elefantenherz«, die auch Regie führen sollte, wieder abgesprungen war. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Buch eine dreijährige Leidensgeschichte hinter sich und die ganze Produktion war ziemlich fest gefahren. Ich war zunächst auch nicht wirklich glücklich damit, fand die Vater-Sohn-Beziehung in dem Stoff allerdings sehr reizvoll. Dann hatte ich aber die Freiheit Änderungen vorzunehmen und habe mit meinem Autor Jörg Tensing neue Figuren entwickelt, andere gestrichen und die Handlungsstränge reduziert. Ich empfinde mich nicht als Auftragsregisseur, deshalb wollte ich den Stoff zu meinem machen, um voll dahinter stehen zu können. Wir haben den Drehbeginn nach hinten verschoben, um die Zeit zu gewinnen, noch einmal ein ganz neues Exposé zu schreiben. Trotzdem haben wir auch während der Dreharbeiten noch weiter am Buch geschrieben. Das hatte den Vorteil, dass ich mit den Schauspielern bei den Proben noch bessere Dialoge erarbeiten konnte.

Wie wichtig ist es für den kommerziellen Erfolg, Daniel Brühl als Hauptdarsteller zu haben?

Als ich mich für Daniel entschied, hatte er seinen Durchbruch noch gar nicht! Ich habe ihn vor vier Jahren auf einer Probefassung von »Das weiße Rauschen« meines KHM-Kommilitonen Hans Weingartner gesehen und war von Daniels Kraft begeistert, sowohl das Gutmütige als auch das Wütende wirken bei ihm absolut glaubwürdig. Aufgefallen ist mir Brühl allerdings schon einige Jahre vorher in Köln, beim Kickern im Hallmackenreuther, da war er so um die 16.

Warst du durch den Besuch der Kunsthochschule für Medien vorbereitet, einen 90-minütigen Spielfilm fürs Kino zu machen?

An der KHM kann man ganz wunderbar experimentieren, Fingerübungen machen, und vor allem wird man unterstützt, das zu machen, was man machen will. Es wird Vertrauen in die eigene Arbeit vermittelt, die Dozenten fördern, ohne einzuengen. Was die Langfilme angeht, sind die Budgets leider zu klein, als dass noch besser gearbeitet werden könnte. Hans Weingartner war der Erste, der als Abschlussfilm mit »Das weiße Rauschen« einen Langfilm gemacht hat, aber er ist auch selber losgezogen, um an weitere Gelder und Fördermittel zu kommen.

Warum hattest du dich überhaupt noch für ein Aufbaustudium an der KHM entschieden, du warst doch schon ganz gut im Geschäft?

Ja, aber ich wollte mir noch solides Handwerkszeug verschaffen, Schneiden lernen und mich mit den verschiedenen Formaten, mit DV, Beta, Super 8 vertraut machen. Angefangen habe ich ja in München mit einem Semester Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft, noch unentschieden, ob ich lieber Film- oder Theaterregisseur werden wollte. Aber ich war zu ungeduldig und bin in den Semesterferien nach einem Praktikum als Ausstattungsassistent bei Lothar Emmerich gleich in dessen Firma hängen geblieben. Nach drei Jahren bin ich nach München zur Produktionsfirma Erasmus gekommen, habe dort Stoffe entwickelt und Dokumentationen für Arte und andere Sender gedreht und produziert. Als die Firma an Grundy Ufa verkauft wurde, ist der Doku-Bereich nicht gehalten worden. Das war die Gelegenheit nach Köln an die KHM zu gehen und ein Aufbaustudium zu absolvieren. Zunächst immer noch mit dem Ziel, lange Dokumentationen zu machen, aber dann habe ich plötzlich festgestellt, dass es mich eigentlich zum Spielfilm drängt.

Woran merkt man, dass es einen zum Spielfim drängt?

Mein erster Kurzfilm »Zoran« porträtiert einen Serben, der, obwohl längst ein assimilierter Schwabe, durch den Kosovo-Krieg auf sein Serbentum zurückgeworfen wird. Bei der Montage des Materials habe ich gemerkt, dass ich daran interessiert bin, Wirklichkeit zu erschaffen. Also war die konsequente Überlegung, selber zu schreiben. Bis zum Abschlussfilm habe ich dann noch zwei weitere Kurzfilme gedreht, und da war endgültig klar, dass fiktionale Filme mein Ding sind.

Gibt es von der Produzentenseite her Interesse an weiteren Arbeiten?

Der WDR hat mir gleich nach dem Abschluss von »Elefantenherz« einen Tatort mit Dietmar Bär und Klaus J. Behrend angeboten, der gerade ausgestrahlt wurde. Die Situation war ähnlich wie bei »Elefantenherz«; wieder steckte ein Projekt in einer Sackgasse, und wieder habe ich den Stoff ändern müssen, um mit dieser Arbeit glücklich zu werden. Am Ende habe ich nur das ursprüngliche Thema übernommen. Das Interessante am »Tatort« ist ja, dass es so ein klares Format ist, mit bestimmten unverrückbaren Vorgaben. Unser Ziel war aber, eine neue Farbe in dieses Format zu bringen – den Krimi zu nutzen, um ein Familiendrama zu erzählen und den Schwerpunkt auf die Psychologie zu setzen.

Wann wirst du den liegen gebliebenen eigenen Stoff für deinen Liebesfilm in Angriff nehmen?

Mein Liebesfilm befindet sich im Drehbuchstadium, erste Fassung. Im Mai soll das Buch stehen, dann möchte ich gemeinsam mit den Schauspielern, die ich für das Projekt haben möchte, im Ensemble weiter an dem Material arbeiten. Vielleicht können wir dann noch im Herbst anfangen zu drehen.

»Elefantenherz« startet am 10.4. Kurzbesprechung siehe Filmprogramm.