Foto: Manfred Wegener

Hoffmanns Erzählungen

Der Kölner supposé-Verlag sammelt seltene Tonaufnahmen. Soeben ist eine CD zu 60 Jahren LSD erschienen

»Die Substanz, mit der ich hatte experimentieren wollen, hatte mich besiegt. Sie war der Dämon, der höhnisch über meinen Willen triumphierte. Eine furchtbare Angst wahnsinnig geworden zu sein, packte mich. Ich war in eine andere Welt geraten, in andere Räume mit anderer Zeit. Mein Körper schien mir gefühllos, leblos und fremd. Lag ich im Sterben? War das der Übergang?«

Von diesem Horrortrip – seinem ersten Selbstversuch – berichtet der Schweizer Chemiker Albert Hoffmann, der am 19. April 1943 bei seinen Forschungen über Mutterkornalkaloide zufällig die halluzinogenen Eigenschaften von Lysergsäure-Diäthylamid, kurz LSD, entdeckte. Hoffmann entließ einen Stoff in die Welt, von dem nicht wenige glaubten, dass man durch seine Hilfe Gott selbst in sich wachrufen könne. Ein gefährlicher Irrtum. Kein anderer Stoff hat der Menschheit so sehr die Augen geöffnet – für Ekstase als auch für Entsetzen. Nicht einmal der Erfinder der Droge konnte wissen, wohin die Reise führen und ob ihr Ausgang ein guter sein würde.

»Anti-Hörbuch«

Wer hören möchte, wie die Stimme des Mannes klingt, der durch seine unfreiwillige Entdeckung einer ganzen Generation zu Trips in das Mysterium ihres Selbsts verhalf, der erhält jetzt dazu die Gelegenheit: Pünktlich zum 60. Geburtstag der Droge LSD erscheint beim Kölner Label supposé die CD »Erinnerungen eines Psychonauten«, die Vorträge, Interviews und Gespräche Albert Hoffmanns enthält. Wer an ein Hörbuch denkt, liegt nur bedingt richtig. »Anti-Hörbuch«, stellt supposé-Betreiber Klaus Sander klar. »Hörbücher sind lediglich Prothesen der Buchvorlage«. Seine Veröffentlichungen jedoch versteht er als »eigenständige Produkte«. Zu Recht. Supposé veröffentlicht ausschließlich Originaltöne.

Schwere & leichte Kost

Seit nunmehr sieben Jahren macht Sander einem interessierten Publikum »selten Gehörtes« zugänglich. Die erste Label-Veröffentlichung war im Jahre 1996 »Die Informationsgesellschaft. Phantom oder Realität?« von Vilém Flusser. An Flusser, dem Philosophen und Medientheoretiker (1920-1991), hegte Sander »biographisches Interesse«. Als Student hatte er festgestellt, »dass Flusser ein brillanter Redner war, dessen Texte erst durch die freie Rede ihre volle Wirkung erzielten«. Die Vorträge seines Professors wollte er für die Nachwelt konservieren, und so entstand ein Verlag, der mittlerweile 30 CDs veröffentlicht hat. Der supposé-Katalog umfasst sowohl wissenschaftliche Werke als auch leichtere Kost: Hubert Fichtes »St. Pauli-Interviews«, Klaus Theweleits »Das RAF-Gespenst«, Gerhard Rühms Operette »Der Schweißfuß« und »Team of Jeremy Roht«, eine von Oswald Wiener in Yukon produzierte A-cappella-CD, auf der ein Rudel Schlittenhunde gegen die eisige Stille des Nordens ansingt.

Anti-Pop

Für manche ist das bereits Pop. »Wäre diese CD eine Hervorbringung der neuen elektronischen Popmusik, dürfte man wohl von einem Club-Hit reden«, urteilt etwa der Kritiker Dietmar Dath über »Was ist Materie?«, eine auf supposé erschienene Doppel-CD, die zwei in Originaltonaufnahmen erhaltene Vorträge des Wiener Physikers Erwin Schrödinger (1887-1961) enthält. Der Wissenschaftler, der auf der CD in singendem Tonfall als Conferencier des Weltalls brilliert, leistete einst bahnbrechende Arbeiten zu Wellenmechanik und Quantentheorie, wofür er mit dem Nobelpreis bedacht wurde. »Schrödinger ist natürlich total Anti-Pop«, schmunzelt Label-Betreiber Sander, der die populäre These »alles ist Pop« für seine Veröffentlichungen nicht gelten lässt. Ihm geht es vielmehr darum, »für Auditives aus dem Grenzbereich von Kunst und Wissenschaft eine geeignete Publikationsform zu schaffen«.

Immense Recherchen

Bis zu 3.000 Stück setzt Sander von den Anti-Pop-Anti-Hörbüchern ab. Und während Vertreter der Schallplattenindustrie unlängst beklagten, dass die Halbwertzeit ihrer Produkte immer kürzer wird, nennt Sander auch Veröffentlichungen aus dem vergangenen Jahr »Neuerscheinungen«. Das liegt nicht nur daran, dass die CDs »zeitlos sind«, sondern auch an den »immensen Recherchetätigkeiten«, auf denen die aufwändig gestalteten »Digipaks« basieren. An der Realisierung der CD »Cafard«, die längst verschollen geglaubte Tonaufnahmen des Philosophen E. M. Cioran (1911-1995) enthält, arbeitete Sander mehr als zwei Jahre. Dafür wurde das Werk dann nicht nur mit euphorischen Kritiken bedacht, sondern auch für die »Hörbuch-Bestenliste« des Jahres 1999 ausgewählt.
Da das Label den Großteil der CD-Auflagen über den Buchhandel vertreibt, orientiert sich der Veröffentlichungszyklus an den beiden großen Buchmessen – der Leipziger Messe im Frühjahr und der Frankfurter Buchmesse im Herbst. Neben Albert Hoffmanns Erzählungen erschienen zur Leipziger Buchmesse auch »Das Problem des Menschen«, Originaltonaufnahmen des Lebensphilosophen Ludwig Klages, und »selten gehörte Musik«, ein Live-Mitschnitt eines Konzertes der »Oswald Wiener Family« im Kölner Millowitschtheater, das Ohrenzeugen als »historisch bedeutender Abend« in Erinnerung blieb. Das komplette Label-Programm findet man unter www.suppose.de