Illuminationen

Jonathan Safran Foers Debütroman »Alles ist

erleuchtet« wurde in den USA gefeiert und

ist auch hierzulande der am besten besprochene Roman dieses Frühjahrs. Ilja Braun traf den amerikanischen Autor bei seinem Besuch in Köln

 

Als Stargast der diesjährigen lit.Cologne konnte Köln das neue Wunderkind aus den USA persönlich kennenlernen: Jonathan
Safran Foer. Er ist 25 Jahre jung und sein Roman »Alles ist erleuchtet« (Everything is illuminated) wurde in Amerika auf Anhieb ein Bestseller-Erfolg. 500.000 US-Dollar Vorschuss hatte sein Agent in Amerika ausgehandelt, die Übersetzungsrechte wurden zu horrenden Summen nach Europa verkauft und inzwischen ist auch ein Film in der Mache.

Zwischen Roadmovie, Schelmenroman und Epos

Auf der Suche nach Spuren seiner jüdischen Vorfahren reist ein junger Amerikaner, der wie der Autor Jonathan heißt, in die Ukraine. In einer wenig vertrauenerweckenden Klapperkiste wird er dort von seinem jungen Dolmetscher und dessen Großvater durch die Gegend kutschiert. Der Dolmetscher heißt Alex und spricht ein radebrecherisches Englisch, das nicht nur komisch klingt, sondern auch hintersinnigen Sprachwitz aufweist. Er beschreibt die gemeinsamen Erlebnisse der Reise, während Jonathan seinerseits die Geschichte des jüdischen Schtetls Trachimbrod nacherzählt. Diese beginnt (dem Buch zufolge) 1791 und endet 1942 – mit dem Holocaust.
Irgendwo zwischen Roadmovie, Schelmenroman und Epos angesiedelt, besticht Safran Foers Debüt nicht nur durch die witzige Obskurität der Charaktere, sondern auch durch die Virtuosität, mit der der Autor sein Material organisiert, Märchenhaftes mit Historischem verschachtelt. Die Suche nach der Frau, die den Großvater des jungen Amerikaners vor den Nazis gerettet hat, wechselt sich ab mit Szenen aus der Vergangenheit des jüdischen Schtetls im Stil des magischen Realismus.

Stadtrevue: »Alles ist erleuchtet«, der Titel deines Buches ...

Jonathan Safran Foer:Das hier ist das kleinste Bier, das ich bisher in Deutschland gesehen habe.

... der Titel deines Buches bedeutet ja wohl soviel wie: Alles, was unklar war, ist jetzt klar geworden. Alle Rätsel sind gelöst...

Unter anderem, ja. Und darin steckt eine gewisse Ironie. Denn einerseits stimmt es tatsächlich, genau das passiert in dem Buch: Was unklar war oder dunkel, wird jetzt erhellt, erleuchtet. Andererseits sind am Ende mehr Fragen offen als am Anfang, also stimmt es auch wieder nicht.

Man kann sich auf nichts verlassen.

In dem Buch sind alle unzuverlässig. Alex ist unzuverlässig, weil sein Englisch gar nicht gut genug ist, um das ausdrücken zu können, was er sagen will, zum anderen lügt er aber auch gerne und redet Dinge schön. Und was die Geschichte des Dorfes angeht, so ist das, was da berichtet wird, nicht historisch, sondern es ist von Jonathan imaginierte Geschichte. Die ist genauso unzuverlässig, weil auch er die Dinge gerne etwas lebhafter darstellt, als sie wirklich waren.

Letztlich läuft diese Geschichte aber zielstrebig auf den Holocaust zu, 1942 wird das Dorf dem Erdboden gleichgemacht. Und der Holocaust hat tatsächlich stattgefunden. Wie hast Du das zusammengebracht, einerseits das Imaginierte, Phantastische, und andererseits der Holocaust als historisches Ereignis?

Das ist sehr kompliziert. Man muss die Frage stellen: Was ist überhaupt ein historisches Ereignis? Geschichte ist im Grunde nur die Art, wie wir Geschichte nacherzählen. In meinem Buch habe ich gar nicht erst versucht, eine nicht-fiktionale Version des Geschehenen wiederzugeben. Ich wollte schließlich nichts schreiben, was ein Geschichtsbuch ersetzen könnte, mir ging es um Imagination.

Trotzdem ist der Punkt, auf den alles zuläuft, der Holocaust.

Der Höhepunkt des Buches ist erreicht, wo Phantasie und Realität aufeinandertreffen und wir nicht mehr an unserer Version des Geschehens festhalten können, sondern gezwungen sind, die Realität ins Auge zu fassen, so schrecklich sie auch sein mag. Trotzdem entscheidet das Buch sich letztlich nicht zwischen Phantasie und Realität bzw. dem, was wir dafür halten. Es legt nahe, dass beide nebeneinander existieren können.

Du hast selbst einen jüdischen Hintergrund. Ist das für dich und deine Arbeit von Bedeutung?

Ich habe gar nicht so viel jüdischen Hintergrund. Ich bin nicht religiös, ich lebe nicht koscher oder dergleichen. Aber ich glaube, es wird in dem Buch durchaus deutlich, dass die jüdische Erzähltradition wichtig für mich ist. Das hat allerdings vorwiegend künstlerische Gründe. Ich finde diese Geschichten wirklich wunderschön, und sie eignen sich sehr dazu, nacherzählt zu werden. Ob ich darüber hinaus auch einen persönlichen Bezug dazu habe? Schon möglich. Aber der ist sicher nicht so stark wie der künstlerische.

Zwei Seiten deines Buches füllt einzig und allein die Wiederholung eines einzelnen Satzes: »Wir schreiben«.

Das erscheint dort ca. zweihundertmal nacheinander. Die Idee dahinter ist, dass alle Figuren, die in dem Buch vorkommen, auch schreiben, wirklich alle. Manche führen Tagebücher, andere schreiben ihre Träume auf – alle versuchen sie, ihre Erinnerungen festzuhalten und Rechtfertigungen für ihre Erlebnisse und Erfahrungen zu finden. Das wollte ich auf diesen zwei Seiten zum Ausdruck bringen.

Ich dachte, dass du damit vielleicht auf die jüdische Tradition der Auslegung anspielst: Text, der geschrieben wird, um anderen Text zu interpretieren, als unendlicher Prozess.

Das ist etwas, was in dem Buch, an dem ich jetzt gerade arbeite, sehr wichtig wird. Dass es nicht auf den Originaltext ankommt, sondern auf das Gespräch, das wir darüber führen. Auf die Nacherzählung. Dass es im Grunde gar keine ursprüngliche Erzählung gibt.

Was ja nicht nur jüdisches Gedankengut ist, sondern ebensogut postmodernes.

Genau. Wenn du dir eine Seite im Talmud ansiehst – ich weiß nicht, ob du das je gesehen hast: Da steht ein Text in der Mitte, und drumherum sind mehrere andere Texte gruppiert, die den Text in der Mitte kommentieren. Das ist so postmodern wie nur irgendwas. Keine postmoderne Literatur kann da mithalten.

»Alles ist erleuchtet« ist ein ziemlich verspieltes, ein sehr experimentierfreudiges Buch. Hast du dich in deinem Debüt ausgetobt und der nächste Roman wird traditioneller?

Das nächste Buch wird noch viel, viel abgefahrener. Viel seltsamer, noch viel erfindungsreicher, da werde ich noch mehr Sachen ausprobieren. Das wird wirklich ganz außergewöhnlich. Wenn ich es denn fertig bekomme.

In vielen Besprechungen zu »Alles ist erleuchtet« ist die Rede gewesen von einer Sammlung leerer Manuskriptseiten bekannter Autoren, die angeblich in deiner Wohnung an der Wand hängt. Gibt es diese Sammlung wirklich?

Aber sicher! Neulich erst habe ich das allerbeste Stück bekommen, nämlich eine Seite von Sigmund Freud! Ich war in seiner Londoner Wohnung, wo heute ein Museum ist, und habe der Direktorin von meiner Sammlung erzählt. Daraufhin hat sie den Schlüssel zu seinem Schreibtisch geholt, die Schublade geöffnet und mir das leere Blatt gegeben, das zu oberst auf dem Stapel lag. Insgesamt habe ich jetzt schon 35 oder so.

Wirst du so etwas weiter verfolgen neben dem Schreiben: Dinge sammeln, Dinge ausstellen?

Ich hoffe doch. Schließlich geht es mir nicht so sehr darum, Autor zu werden, sondern ich will der Mensch werden, der ich gern sein will. Schreiben gehört definitiv dazu, aber viele andere Dinge eben auch.

Jonathan Safran Foer: Alles ist erleuchtet. Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003, 383. S., 22,90 €.