»Wir hörten auf, es nicht zu tun«

»Erledigungen vor der Feier«: Tilman Rammstedts Geschichten funkeln sprachgewandt

Die englische Vokabel »wit« bezeichnet zum einen »Geist«, zum anderen aber auch »Witz«. Das ist aufschlussreich, weil es zeigt, dass Bildung und Humor doch eigentlich zusammengehören – zumindest im angelsächsischen Kulturraum. Ist es das Schicksal der deutschen Kultur, mit einem aufstrebenden, aber anämischen Geist geschlagen zu sein und einem dumpfen Humor, der über die Niederungen des blödelhaften Klamauk nicht hinauskommt? Vielleicht. Glücklicherweise erscheinen aber auch hier vermehrt Bücher, die es verstehen, die unglückliche Dichotomie zu überwinden. »Erledigungen vor der Feier« ist eines davon.
Die Geschichte »Lösungen« erzählt von einer Familie, in der alles streng getrennt wird: »Auch wir Kinder wurden unterteilt, in die Vaterverherrlicher und die potenziellen Vatermörder. Ich gehörte zur zweiten Gruppe.« Und weil der Vater ‘68 nicht im Urlaub war, hat er Verständnis für seine Kleinen, die ihm an den Kragen wollen. »Das ist ein ganz normaler Wunsch in eurem Alter, [...] damit muss man sich auseinander setzen.«

Aus der Perspektive eines Moleküls

Das Haus ist geteilt: im Nordteil wohnt der Vater mit seinen Anhängern, im Südteil hausen die Gegner. Einmal in der Woche wird gegen den Vater demonstriert – mit einem Marsch durch das Wohnzimmer. Wer das Familienoberhaupt dann letzten Endes umgebracht hat, scheint nicht ganz klar. Mit einigen subtil inszenierten Andeutungen bekommt die Erzählung dann noch einen eleganten Twist. War es am Ende doch die Mutter? Am Grab ihres Gatten lächelt sie so vieldeutig ...
In »Neutronen« schlägt ein gewisser Berend vor, das »Molekül-Spiel« zu spielen. Dabei gilt es, mit mehreren Leuten wild hin und her zu rennen, um sich immer wieder zu »Klumpenote« zusammenzuschließen, die dann ein Atom darstellen und sich ihrerseits mit anderen Atomen zusammenschließen, um so ein Molekül zu bilden. »Es sei schließlich wichtig, auch einmal die Perspektive eines Moleküls einzunehmen, [...] sagte Berend, der sich meines Wissens in achtundzwanzig Jahren nie sehr für Naturwissenschaften interessiert hatte.« Die fünfseitige Geschichte »Kohlensäure« ist die literarisch anspruchsvollste: Die Figur Hannes wird in ihrer ganzen Skurrilität portraitiert, ohne dass die Anteilnahme für die später erkrankende Figur aufgegeben würde.
Die zum Teil sehr kurzen Geschichten werden durch die elegant philosophierende Sprache zu kunstvoll gearbeiteten Miniaturen. Die Erzählungen haben kein »Fett« angesetzt; kaum eine Passage, die man ohne Verfälschung des Sinngehaltes streichen könnte. »Erledigungen vor der Feier« ist ein gefälliges Debut - im besten Sinne des Wortes.

Tilman Rammstedt: Erledigungen vor der Feier. DuMont Literaturverlag, Köln 2003, 114 S., 14,90 Eur.