Ich, Baumfällungsgewinnler

Ich versichere an Eides statt, dass ich stets gut zu Pflanzen bin. Ich gewähre ihnen Obdach, wenn -Gesine Stabroth mich dazu nötigt (»Bitte mittwochs, wenn ich beim Volleyball bin, mein Alpenveilchen nehmen, es ist sonst so allein«). Dass unter meinen Händen eine als Geburtstagsgeschenk bei mir entsorgte Birkenfeige (ficus benjamina) vertrocknete, war ein be-dauerlicher Unfall. »Wenig gießen! Die meisten Pflanzen vertrocknen ja nicht, sondern ertrinken!«, heißt es doch.

 

Grundsätzlich trete ich für eine friedliche Koexistenz von Mensch und Pflanze ein. Auch mit dem Vegetarismus übertreibe ich es nicht. Ich verspeise Obst und Gemü-se nur in geringem Ausmaß. Bäume, Blumen, Sträucher — wenn es nicht unsere Brüder und Schwes-tern sind, so doch zumindest unsere Schwippschwäger und Schwippschwägerinnen. Doch nun hab ich ein schlechtes Gewissen. Ich habe eine Baumfällung bejubelt. 

 

Der Nachbar war‘s, nicht ich! Seine Garageneinfahrt ist aseptisch wie ein OP-Saal, da könnte man vom Pflasterklinker essen, wenn es der Nachbar denn erlauben würde. Aber niemand darf auf seine Einfahrt, außer seinem schnittigen Sportwagen. Darum missfiel es dem Nachbarn sehr, dass aus dem Baum klebrige Beeren und  Vogelscheiße plumpsten — mitten auf seinen Sportwagen, den er nicht in, sondern vor der Garage parkt, weil in der Garage schon sein anderer Sportwagen steht. 

 

Gern ließe ich mich überzeugen, dass der Nachbar zu Unrecht so viel Geld besitzt, um sich zwei Sportwagen kaufen zu können. Mehr noch: Je nach Tagesform täte ich wohl mit, wenn es gälte, sich auf Barrikaden zu stellen und dem verfickten Schweinesystem entgegenzurufen: Dieser Staat soll zugrunde gehen, weil einige wenige sich zwei Sportwagen kaufen können, während andere sich nur mühsam mit Ladendiebstahl in der Spirituosenabteilung von einem Tag zum nächsten schleppen! 

 

Und wer gern rabiat denkt, wird dem Nachbarn nicht nur ausgewachsene Auto- und Garageneinfahrtsfimmel attestieren, sondern ihn darüber hinaus einen meuchelnden Baumfrevler nennen. Ich mahne indes zu Besonnenheit. Der Vorwurf des Baum-frevels entspricht im baumschützerischen Diskurs etwa dem Hitler-Vergleich in der tagespolitischen Auseinandersetzung. Es ist ein Superlativ, man darf ihn nicht leichtfertig verwenden. Baum-frevler ritzen im Schutze der Nacht Stämme an, träufeln toxische Tinkturen hinein oder zünden gleich alles mit dem Flammenwerfer an. Psychologen und die kommunalen Grünflächenämter stehen ratlos vor solch pompösen Perversionen. Es sind böse Menschen, die so etwas tun. Man muss sie notfalls mit Gewalt abhalten, in verantwor-tungs-volle Positionen im Bereich von Erziehung, Recht, Wirtschaft oder Militär zu gelangen. 

 

Sicher, es war nicht legal, was der Nachbar tat. Der Baum war doch noch gesund. Allerdings: -Warum es weniger schlimm sein soll, einen kranken Baum zu fällen, leuchtet mir nicht ein. Sind nicht gerade die Schwachen schützenswert? Welcher herzlose Darwinismus liegt solchen landschaftspflegerischen Prämissen zugrunde?

 

Ich bin Nutznießer der bösen Tat des Nachbarn, ein Opportunist. Doch nun kann ich wieder die -Sonne schauen, und wenn ich bei geöffnetem Fenster einmal ver-gesse, das Licht zu löschen, wird das Zimmer nicht gleich zum Insek-tarium. Und die Vögel, die in dem Baum wohnten — sie mögen nun wo-anders in aller Herrgottsfrüh den nervtötenden Rabatz veranstalten und dabei ihre Notdurft verrichten.  

 

Gesine Stabroths Alpenveilchen nehme ich nächsten Mittwoch freilich wieder gern. Es wäre unzulässig, alle Pflanzen über einen Kamm zu scheren, es gibt solche und solche. Photosynthese verwirkt nicht das Recht auf Respekt, das sage ich in aller Deutlichkeit.