Foto: Manfred Wegener

Schöne Aussichten

Anfang Oktober vermeldeten Zeitungen bundesweit, dass der

Energiekonzern RWE über das Aus für den Tagebau Garzweiler ­nachdenke. Das Geschäft mit der Braunkohle wird unrentabler.

Eine Zukunft ohne den Klimazerstörer Nummer eins im Rheinland? Kaum vorstellbar. Nicht betroffen von diesen Über­legungen ist die zweite große Grube im Rheinischen Revier: der Ham­bacher Tagebau, das größte Loch Europas, direkt vor den Toren Kölns.

 

Chris­tian Werthschulte hat mit Dirk Jansen vom BUND über die Zukunft der Braunkohle gesprochen, Anne Meyer und Christian ­Steigels haben sich rund um den Tagebau umgesehen und Manfred Wegener war mit der Kamera unterwegs. Alle haben festgestellt:

Der Tagebau wird uns noch lange begleiten.

»Am Ende kommen Touristen«

 

Auf Spurensuche zwischen Buir und dem Tagebau

 

Manheim ist ein typisch rheinisches Dorf. Die Häuser sind aus Backstein, es gibt Streuobstwiesen und in der Mitte steht eine stattliche, neu-gotische Kirche. 1200 Jahre reicht die Geschichte des Kerpener Ortsteils zurück, aber berühmt wurde er erst in den 1990ern. Hier steht die Kartbahn, auf der Michael und Ralf Schumacher gelernt haben, wie man -Kurven schneidet. 

 

Heute sind in Manheim an vielen Häusern die Rollläden herunter gelassen, manche Türen und Fenster mit Brettern vernagelt und Brief-kastenschlitze zugeklebt. Etwa die Hälfte der Häuser steht leer. Im Gasthaus und der Pizzeria gibt es nichts mehr zu essen, und auch die Bäckerei hat kürzlich dicht gemacht. 

 

In den vergangenen Jahren ist häufiger ein grau gelockter Pensionär mit Hornbrille durch Manheim gelaufen, hat mit Einwohnern gesprochen und sie vor ihrem Haus fotografiert, vor ihrem Taubenschlag oder im Tanzsaal. Sein Name ist Hubert Peschke. »Es kann doch nicht alles ver-schwinden, ohne dass man es vorher dokumentiert hat«, sagt der Ex-Sozial-arbeiter. Aus seiner Arbeit ist ein Buch entstanden. »Mein -Manheim — ein Erinnerungsalbum«. Perschke sagt: »Egal mit wem ich ge-sprochen habe, ob jung oder alt, wenn es um die Umsiedlung ging, hat jeder irgendwann Tränen in den Augen. Das ist ein Verlust der Heimat. Die können nie wieder an ihre Geburtsstätte zurück.«

 

Denn Manheim ist dem baldigen Untergang geweiht. Wie das wenige Kilometer weiter westlich gelegene Morschenich im Kreis Düren und ein Teilstück der Autobahn A4 muss auch Manheim der Erweiterung des Braunkohletagebaus Hambach weichen, die Bewohner werden umge-siedelt. So wie schon viele Dörfer zuvor: 35.000 Menschen haben seit 1936 ihre Heimat verloren. »Die Menschen sind das gewöhnt«, sagt Perschke. In Manheim wird 2022 mit dem Aufschluss begonnen, -Morschenich soll zwischen 2015 und 2024 geschleift werden.
»Schleifen« — eigentlich sagte man das beim Militär. Nach einem Krieg musste die unterlegene Partei ihre militärischen Anlagen im buchstäb-lichen Sinne dem Erdboden gleichmachen.

 


Das neue Manheim entsteht in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kerpen, am Dickbuscher Forst. Noch ist die Infrastruktur überschaubar: ein Briefkasten, ein Spielplatz, eine provisorische Bushaltestelle, von der ein Bus die wenigen schon umgesiedelten Kinder in die Schule ins alte Manheim bringt. Die Bäckerei aus dem alten Ort wird hier nicht wieder eröffnen. Kerpen ist zu nah, die Konkurrenz zu groß. Aber es gibt eine mobile Schlemmerbude, die Würstchen und Frikadellen anbietet, vor allem für die Bauarbeiter. Die gibt es dieser Tage reichlich: Rund 600 Häuser werden in dem Ort mit dem etwas ungelenken Namen gebaut. Solange die Umsiedlung im Gange ist, nennen es die Bewohner »Manheim-neu«. Nachdem alle Alt-Manheimer umgezogen sind, wollen sie wieder nur Manheim sagen. Nichts soll mehr an die Geschichte erinnern.

 

Knapp 150 Menschen wohnen bislang hier, Ende 2014 werden es vermutlich 80 Prozent der 1400 Manheimer sein, schätzt Wilhelm Lambertz. Der 70-Jährige ist Vorsitzender des Bürgerbeirats Manheim. Anfang 2012 wurde er wiedergewählt, mit rund 90 Prozent der Stimmen. »Das gab’s sonst nur im Sozialismus«, sagt er nicht ohne Stolz. Lambertz ist ein zupackender Typ mit lauter Stimme und bestimmtem Auftreten. »Wir mussten uns alles erkämpfen. Letztlich haben wir vieles bekommen, was wir wollten«, sagt er. Eine eigene Autobahnauffahrt haben sie durchgeboxt. Außerdem haben sie am neuen Standort flächendeckend Glasfasernetz. Und seit neues-tem auch provisorische Straßenbeleuchtung.

 

Seit diesem Sommer ist Lambertz pensioniert. Geboren wurde er im Nachbarort, in Manheim ging er zur Schule. »Aber ich wusste von den Umsiedlungen ja seit den 70ern, meine Emotionalität hält sich entsprechend in Grenzen«, sagt er. Die Proteste gegen den Tagebau? Er sei ein Befürworter der Kritik an RWE, unbedingt, aber die Vorfälle im Sommer hätten der Bewegung nicht gut getan. Damals hatten Umweltaktivisten auf dem Klimacamp in Manheim unter anderem die Scheiben der örtlichen Sparkasse eingeworfen und leer stehende Häuser besetzt. Man habe damals in Manheim ernsthaft über den Einsatz einer Bürgerwehr nachgedacht, erzählt er polternd. 

 


In der kleinen Camp-Küche wird vegan gekocht. Mark* ist Freeganer, er ernährt sich vegan und ausschließlich von containertern oder selbst gezogenen Lebensmitteln. Es gibt Gemüsebeete mit Kohl, Kartoffeln und Paprika und einen Technikwohnwagen mit Solarzellen. Bei gutem Wetter können hier drei Laptops den ganzen Tag laufen, erzählt Mark.

 

Seit Ende vergangenen Jahres campieren Aktivisten auf einer Obstwiese am Rand von Morschenich, ein wenig südlich vom Braunkohlegebiet. Sie protestieren gegen den Tagebau und die Klimapolitik der Bundesregierung, vor allem aber gegen die weitere Rodung des Hambacher Forsts. Der 12.000 Jahre alte Wald war einst 5500 Hektar groß. Übrig sind davon noch rund 1000 Hektar, und auch die -sollen bald dem Tagebau zum Opfer fallen.

 

Mark ist in Berlin aufgewachsen, ins Rheinland ist er nur wegen der Waldbesetzung gekommen. Die meisten hier sind nicht aus der Region, sondern Teil der nationalen, teils internationalen Waldbesetzer-Szene. Erst am vorherigen Abend sind eine jun-ge Frau und ihr Freund aus Brüssel angekommen. Die Zahl der Aktivisten vor Ort schwankt: Im tiefsten Winter waren es manchmal nur fünf, im Sommer auch mal 20 bis 30 Leute. 

 

Die Menschen aus den umliegenden Dörfern unterstützten das Camp, erzählt Mark. Die Bürgerinitiative »Buirer für Buir« ist auf ihrer Seite, bei ihnen können sie regelmäßig ihre Wassercontainer auffüllen, von örtlichen Händlern bekommen sie Gemüse. Mit der BI haben sie schon gemein-sam Veranstaltungen organisiert, im evangelischen Gemeindehaus, wo Klaus der Geiger gespielt hat. Überhaupt, die evangelische Kirche: Als sie im Sommer das dritte Klimacamp abhielten und RWE zusammen mit den örtlichen Behörden verbot, Zelte aufzubauen und Essen zu kochen, stellte die Kirche Schlafräume zur Verfügung.

 

Die Obstwiese gehört Kurt Claßen, einem Unterstützer aus Buir. Auch dessen Solidarität stößt bei RWE und den lokalen Behörden nicht auf Be-geisterung: Im März stellte das Bauordnungsamt des Kreises Düren fest, dass die Demonstranten gegen das Baurecht verstoßen. Im Klartext: den Besetzern fehlt die Baugenehmigung für ihre Hütten und Zelte. Claßen zog dagegen erst in Düren, dann in Aachen vors Verwaltungsgericht. Beide er-klärten das Vorgehen des Kreises für rechtens. Nun will Claßen vors Oberverwaltungsgericht, die Verhandlung soll noch in diesem Jahr stattfinden.

 


Seit Anfang September ist auch ein Teil des Hambacher Forstes wieder besetzt. Nach dem Ende des Klimacamps in Manheim beschlossen einige der Aktivisten, zurück in den Wald zu gehen. Dort waren sie bereits im vergangenen Jahr von April bis November, bis sie von der Polizei in einer viertägigen Aktion geräumt wurden. Mark war damals einer von denen, die hoch oben in den Bäumen an Betonklötze gekettet waren und nur mit viel Aufwand heruntergeholt werden konnten. 12 Stunden habe das gedauert, erzählt er. 

 

Hoch oben in den Wipfeln in rund 15 Metern Höhe haben sich die Besetzer in den Bäumen eingerichtet, Plattformen auf und Seile zwischen den Bäumen kon-stru-iert. RWE Power hat die Polizei gebeten, die Besetzung zu beenden, da sie nicht vom Demonstrationsrecht gedeckt sei. Die Polizei war schon ein paar Mal zu Besuch, hat aber bislang noch nicht geräumt. Das könnte sich demnächst ändern, seit Oktober ist die Vogelschutzbrutzeit beendet, nun kann wieder gerodet werden.

 

Mit dem Rad fährt man von hier aus nur wenige Minuten zum Rand des Tagebaus, zur so genannten Abbruchkante. Schnurgerade stehen die letzten Bäume aufgereiht, dahinter gerodetes Land, gefällte Eichen und Buchen, und dann: das Loch. Mark ist oft hier: »Es ist jedes Mal aufs Neue erschreckend zu sehen, in welchem Tempo die vorrücken, wie sich das hier reinfräst.« Vor zwei Jahren war die Abbruchkante noch zehn -Minuten Fußweg vom Camp entfernt, heute ist es nur noch ein Steinwurf. Nach gut zwei Minuten auf dem Tagebaugelände kommt Besuch vom Sicherheitspersonal. »Zwei Möglichkeiten: Raus, oder Polizei«, ruft ein Mann in einem Ton ohne Widerspruchserwartung. Presse, nur mal schauen? — »Nichts! Raus, habe ich gesagt.«

 

Die Stimmung ist aufgeheizt. Im Vorfeld des Klimacamps im August brachte RWE eine Sonderausgabe seines Nachbarschaftsmagazins »Hier«, in dem die Aktivisten allesamt als gewaltbereite Chaoten dargestellt wurden. Zudem gab es Protest gegen den Protest: Mitglieder der Industrie-gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie gingen Ende August gegen die Umweltaktivisten auf die Straße. Auch die Gegenseite war nicht untätig: Während des Camps besetzten Aktivisten die Gleise der Hambacher -Kohlebahn und kurzzeitig die Landeszentrale der Grünen in Düssel-dorf. Und dann war da noch die Sache mit den Scheiben der Manheimer Sparkasse. »Viele fanden das schei-ße, andere legitim, weil die Sparkasse nun mal ein Symbol der kapitalistischen Verwertungslogik ist«, erzählt Mark. Sicher ist, dass die Aktion Sympathien in Manheim gekostet hat.

 


Thomas Knüvener ist Landschaftsarchitekt. Dass heute Inline-Skater und Radfahrer auf einem Freizeitweg, dem so genannten Speedway, durch das platte Land düsen, über den früher Abraum von Hambach in den ausgekohlten Tagebau Fortuna bei Bergheim befördert wurde, daran hat auch Knüvener mitgearbeitet. »Eigentlich hätte die Bandanlage zugunsten von landwirtschaftlicher Nutzung vollständig zurückgebaut werden sollen. Aber wieso soll man nicht etwas mit dem machen, was da ist, statt alles mit einem riesigen Energieaufwand in einen angeblich ursprünglichen Zustand zurück zu befördern?« 

 

Dieses Leitbild vertritt Knüvener auch im großen Maßstab. »Wenn man in den Tagebau guckt, das ist ein Gefühl der Erhabenheit, eine geradezu körperliche Erfahrung.« Warum sollte man diese »unvorstellbare Raumqualität« also nicht nutzen? Knüvener zeigt den Entwurf eines seiner Studenten, Arbeitstitel »Gelber Canyon«. Die Grube soll nach dieser Idee terrassenförmig strukturiert werden. Auf den oberen Ebenen können sich Ausflügler aufhalten, in den »Canyon« blicken und dabei zusehen, wie sich das Loch langsam mit Grundwasser füllt — ein Prozess, der mehr als 100 Jahre dauern kann. »Das könnte ein unvorstellbar faszinierendes menschengemachtes Naturschauspiel werden.«

 

Dass für dieses Schauspiel Dörfer, Wälder und Äcker zerstört wurden, von diesem Gedanken müsse man sich auch mal losmachen, findet Knüvener. Er wehrt sich dagegen, das »tiefste Loch Europas« immer nur als Mahnung begreifen zu sollen. »Das, was dort passiert, ist eine ganz konkrete Folge unseres Konsums. Es werden nicht nur in Afrika Rohstoffe abgebaut, wo wir das überhaupt nicht mitbekommen, sondern es geschieht direkt vor unseren Augen.« 

 

Was tatsächlich mit Hambach passiert, wenn der Tagebau 2045 ausgekohlt ist, ist völlig ungewiss. Klar ist nur, dass es nicht genug Abraum geben wird, um das Loch vollständig zu stopfen. Da müsste man schon die Sophienhöhe, eine 300 Meter hohe, längst mit Bäumen bewachsene und ins Landschaftsbild integrierte Abraumhalde, zurück kippen, und selbst das würde nicht annähernd reichen. Also wird hier vermutlich der zweitgrößte See Deutschlands entstehen. Bei RWE gibt es Pläne, über ein Rohrsystem Wasser aus Rur, Sieg und Rhein zuzuleiten. Ein Experiment, dass in dieser Größenordnung noch nie da gewesen ist. Welche Folgen das für die Umwelt hätte, ob es Erosion geben wird, ob der See versauert, kann niemand vorhersagen. Auch ein Projekt wie der Hambacher Canyon bleibt deshalb vorerst nur eine Vision, wie Knüvener einräumt. »Die Frage ist, wie sehr man so einen Raum zugänglich machen kann.« Er ist jedoch sicher: »Wäre der Tagebau besser zugänglich, würde das seine Akzeptanz erhöhen.« 

 

Diese Erkenntnis hat sich bei RWE aber noch lange nicht durchgesetzt. Im Rahmen der Regionale 2010 unterstützte der Konzern das Terra-Nova-Projekt. Im dazugehörigen »Erlebnisforum« kann man unten essen und oben eine Ausstellung über die Geschichte des Tagebaus besuchen. Und bei gutem Wetter kann man sich auf ein paar metallenen Liegestühlen unter Sonnenschirmen niederlassen und einen perfekten Blick auf Tagebau und Schauffelbagger genießen, während die Kinder auf dem Spielplatz spielen. Terra Nova soll für die Zukunft werben – mit Photovoltaik und Tankstelle für Elektroautos. Aber trotzdem musste RWE von dem Projekt erst überzeugt werden.  »Ich habe das Gefühl, dass RWE versucht, unterm Radar zu fliegen. Den Tagebau und die Umsiedlungen, das handeln die in der unmittelbaren Umgebung aus.« Knüvener seufzt angesichts der ungenutzten Möglichkeiten, auch bei den großen Kraftwerken Nieder-außem oder Weisweiler. »Die Türme sind höher als der Kölner Dom, aber als Ort überhaupt nicht in der Region verankert. Eines Tages könnten die für uns das sein, was die Fördertürme fürs Ruhrgebiet sind.«

 

Eines Tages — wird das Wort Braunkohle dann romantische Gefühle auslösen? Der Landschaftsverband Rheinland geht schon daran, Arbeitersiedlungen, die letzten Brikettfabriken oder technische Großgeräte denkmal-pflege-risch zu erfassen und sie auf einer Art Straße der Braunkohle zu präsentieren. RWE feiert jedes Jahr den Barbara-Tag zu Ehren der Schutzheiligen des Bergbaus, es gibt Bergmannskapellen und Kultureinrichtungen. Doch dadurch entsteht noch lange kein verklärtes Bild vom Bergmann im Tagebau, so wie es das vom Kumpel im Ruhrgebiet gibt. Knüvener glaubt jedoch, dass sich das bald ändern könnte. »Es kommt aber auch darauf an, was zurückbleibt. Die kleineren, bereits renaturierten Tagebaue sind ja vollkommen uninteressant, da hängt keine besondere Erinnerung dran. Bei den drei aktuellen Tagebauen wird aber ein viel größeres Loch zurückbleiben, und da wird man über eine andere Gestaltung nachdenken.« Bis Hambach und Garzweiler ausgekohlt sind, vergehen noch dreißig Jahre. Die Zeit, in denen die Braunkohle-Kraftwerke Gelddruckmaschinen waren, ist jedoch heute schon vorbei. Mitte Oktober veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung RWE-interne Pläne für das baldige Aus des Tagebaus Garzweiler. Das Dementi des Essener Konzerns wirkte halbherzig – die Zukunft der Braunkohle steht zur Debatte. 

 


Auch Peter Abels glaubt, dass die Zeit von RWE bald abläuft. Abels ist alteingesessener Buirer, der Vater war als Schlosser »auf der Rheinbraun«, der Großvater Arbeiter in einer Brikettfabrik. Er selbst ist Finanzmakler, jedoch einer von der konservativen Sorte. Als er und seine Frau vor Jahren das alte, mächtige Backsteinhaus am Buirer Bahnhof kauften, glaubten sie, großes Glück gehabt zu haben. Sie pflanzten Rosen vor den Eingang, im Garten spielten die Kinder. Doch nun schaut Abels gequält drein. Ende nächsten Jahres wird nur 100 Meter von seinem Haus entfernt die neue A4 verlaufen, sechsspurig. Dahinter die Kohlenbahn, und dann, unmittelbar, das Loch. Nachts wird es künftig heller sein in Buir, wenn der Wald gerodet ist und sich die Bagger im gleißenden Scheinwerferlicht immer weiter auf das Dorf zu bewegen. »Die Lärm- und Staubbelastung hier wird einmalig sein in ganz Deutschland.« Zweimal hat Abels schon gegen die Verlegung der A4 geklagt, zweimal erfolglos, obwohl er Gutachten dabei hatte, die eindeutig belegten, dass beim Planfeststellungsverfahren Verkehrsströme falsch gezählt wurden. »Es muss im Hinterzimmer ein rotes Telefon gegeben haben: die Autobahn muss verlegt, die Kohle abgebaut werden. Was den Glauben an die Unabhängigkeit unserer Institutionen angeht, bin ich mittlerweile deutlich desillusioniert. Ich fühle mich von unserem Staat glattgebügelt.« 

 

Im Laufe seines Kampfs gegen den Tagebau hat Abels viel Neues erfahren. Zum Beispiel, dass ein Unternehmen wie RWE nicht an die üblichen Lärmgrenzwerte gebunden ist. Dass im Bergrecht vieles möglich ist, was mit dem Grundgesetz sonst niemals vereinbar wäre. Dass es ein Zwei-Klassen-Recht gibt, auch was Gesundheitsgefahren angeht. Dass Haus-besitzer beweisen müssen, dass Risse an ihrem Haus vom Bergbau kommen, während die Beweislast im Steinkohlebergbau umgekehrt ist. »Da habe ich mich gefragt: Werde ich jetzt militant oder gehe ich in die Politik? Ich habe mich dann für letzteres entschieden.« Mittlerweile kämpft Abels als Sprecher der Grünen in Kerpen weiter gegen den Tagebau und für eine neue Art von Planungsprozessen unter Beteiligung der Bürger.

 

»Da werden knallharte wirtschaftliche Interessen vertreten. Der Bürger spielt keine Rolle mehr. Und inzwischen offenbar auch nicht mehr die Arbeitsplätze.« Abels spricht von der Ankündigung RWEs, 3000 Arbeitsplätze im Rheinischen Revier abbauen zu wollen. Insgesamt arbeiten in der Region 18.000 Menschen bei RWE Power, und auf jeden Beschäftigten kommen noch einmal drei, die bei Zulieferern arbeiten, so wird kolportiert. Doch die Braunkohle ist endlich, die Energiewende beschlossen. Abels glaubt, dass das Rheinland einem ähnlich großen Strukturwandel entgegen sieht wie das Ruhrgebiet. »Wir müssen uns auf diesen Wandel vorbereiten und mit den Menschen zusammen etwas Neues entwickeln. Diese Gegend hat eine Tradition als Energiekreis, es gibt viel Know-how. Warum nutzt man das nicht für den Wandel zu einer neuen Energieversorgung?« 

 


Trotz Peter Abels, trotz der Bürgerinitiativen und Waldbesetzer — die Szene der Tagebau-Gegner ist überschaubar. Kein Vergleich zu den großen Protestbewegungen gegen Atomenergie, Hambach ist nicht Gorleben. Utz Schröder und Carsten Grossmann* würden das gerne ändern. Die beiden sind Unterstützer aus Köln und kommen regelmäßig hierher. »Wir wollen die Leute in der Umgebung aufwecken, den Widerstand, der ja fast eingeschlafen ist in den vergangenen Jahren«, erklärt Schröder. Und sie wollen auch Menschen, die nicht unmittelbar betroffen sind, mobilisieren. Ab demnächst planen sie, von Köln aus regelmäßige geführte Touren nach Hambach anzubieten, um sich das gigantische Loch vor der eigenen Haustür anzuschauen, den Widerstand kennenzulernen.

 

Auch im Camp hofft man, dass die Bewegung weiter wachsen wird. Das Klimacamp in Manheim Ende August war in diesem Jahr doppelt so groß wie im Jahr zuvor, heißt es. Sie hoffen, dass sich dieser Trend bestätigt, dass man in ein paar Jahren Proteste in der Größendimension von Gorleben mobilisieren kann. Dass davon bisher noch keine Rede sein kann, hängt auch mit der Rolle von RWE als Arbeitgeber zusammen. »Zu manchen Zeiten waren in Manheim 80 Prozent der Einwohner bei Rheinbraun beschäftigt, da durfte man nicht laut schreien«, erinnert sich Hobby-Fotograf Perschke.

 

Auch heute gibt es diese Verquickungen: Wolfgang Spelthahn zum -Beispiel, der Landrat, der vehement die Räumung der besetzten -Obstwiese fordert, sitzt im Aufsichtsrat von RWE. Und die Manheimer Ortsvorsteherin Lonie Lambertz ist die Frau von Johannes Lambertz, dem langjährigen Vorstandsvorsitzenden von RWE Power. Und Wilhelm Lambertz, der polterige Bauunternehmer, der als Vorsitzender des -Manheimer Bürgerbeirats die Interessen der Bürger bei der Umsiedlung vertritt, ist sein Bruder. 

 


»Widerstand hätten wir vor 40 Jahren leisten müssen. Jetzt ist es zu spät«, sagt Maria Schneider, die in den Birkenhöfen südlich von Manheim lebt. Den unangekündigten Besuch von der Presse lässt sie sofort herein, auch wenn sie eine Weile argwöhnt, man sei im Auftrag »der Rheinbraun« gekommen — ein Verdacht, der einem in Manheim überall entgegengebracht wird. Maria Schneider ist 84 Jahre alt, und statt ihren Lebensabend in ihrem Zuhause zu verbringen und wie jedes Jahr die Obstbäume in ihrem Garten zu -ernten, wird sie sich im neuen -Manheim ein Haus bauen müssen. Gerade hat sie mit RWE Verhand-lungen über die Entschädigung -aufgenommen. Ob das RWE-Geld reichen wird? Maria Schneider weiß es nicht, und die Nachbarn halten sich bedeckt. Niemand sagt, welche Summe er genau erhalten hat. »So wie hier wird es in Neu-Manheim nicht werden. Da ist ja kein Bauernhof, kein Schreiner, nichts, was dem Dorf ein Gesicht gibt. Es ist eine Schande, dass ein 1200 Jahre altes Dorf einfach abgebaggert wird.« (*Namen geändert)