Aus nächster Ferne betrachtet

 

Zwölf japanische Künstler der jungen Generation gastieren mit

»The Echo — Spreading of Light« in Köln

 

Hinter der Glasscheibe, durch die man von außen in das Foyer des Japanischen Kulturinstituts schauen kann, sitzt Sako Kojima in einem weiß-braunen Plüschkostüm auf dem Boden und knabbert an handtellergroßen Sonnenblumenkernen. Dann bewegt sie sich, hastig, in dem wenige Quadratmeter großen, abgetrennten Käfig umher, hüpft auf die kleine Holzhütte, wittert mit zitternder Nase und dicken Backen in die Luft, zerkaut mit den Zähnen Papierstücke. Nackte Frauenbeine schauen unter dem bunnyhaften Outfit hervor; ein menschengroßes Nagetier, mit den immer gleichen Verrichtungen beschäftigt, arbeiten, schlafen, essen. 

 

»All of us are Hamsters«, sagt Sako Kojima später im Gespräch, und schreibt in ihrem Text »Hamster thinking about Japan« über die heutige Gesellschaft: »Der japanische Geist hat sich durch eine lange und fortschreitende Kolonisierung vollständig verändert. Aus dem wagemutigen Samurai wurde ein Hamster im Käfig.« Die Performance der 1976 in Kyoto geborenen Künstlerin war Teil der Eröffnung einer Gruppenausstellung, die sich zunächst gegen allerlei gängige Erwartungen wehren muss. »The Echo — Spreading of Light« ist kein repräsentativer Japan-Import und zum Glück auch keine Fukushima-Gedenk-Show.

 

Sako Kojima, die das Projekt mitorganisiert hat, lebt wie die meisten Mitglieder der Künstlerinitiative »The Echo« in Berlin. Es sind, wenn man so will, Berliner Künstler mit japanischem Migrationshintergrund, die von außen auf ihr Herkunftsland schauen, aber den repräsentativen Anspruch, eine ganze Generation oder ein Land zu vertreten, von sich weisen. Der Künstlerzusammenschluss beruht auf gegenseitiger Wertschätzung und der Vision von Autonomie. Die erste »Echo«-Ausstellung organisierte die Gruppe 2008 in Yokohama, die zweite 2012 in Berlin im Künstlerhaus Bethanien unter dem Titel »Although I am still alive« — ein Jahr nach der Atom-Katastrophe. 

 

Nun also Teil drei der Reihe, in Köln. Dass die zwölf Künstler der Jahrgänge 1974 bis 1986 »die Katastrophe von Erdbeben, Tsunami und Atomunfall vom 11. März 2011 in ihrem Heimatland in ihren aktuellen Werken verarbeitet haben«, wie es der Ankündigungstext will, mag so sein, aber hier wird nicht bebildert oder vordergründig aufgearbeitet. Eher geht es mit unterschiedlichen Medien wie Installation, Malerei, Performance, Skulptur, Video und Zeichnung um die Reflexion unserer Gegenwart, und unter dem »erhellenden« Titel »Spreading of Light« um eine mögliche Zukunft — als Gesellschaft, als Individuum. Und nicht zuletzt als Künstler, der der Macht des Faktischen und der gesellschaftlichen Normierung den individuellen Ausdruck entgegen setzt.

 

Kengo Kitos im Treppenhaus installierte Arbeit aus lauter verschieden gemusterten bunten Seidenschals mag an eine große Welle erinnern, in ihrer Schönheit aber mehr noch an einen nie gesehenen Paradiesvogel. Takahiro Ueda, der mit wissenschaftlichen Methoden Naturphänomene beobachtet, gelingt die Sichtbarmachung von objektiver und subjektiver Zeit, indem er zwei große, in Vitrinen montierte Uhren über einen herkömmlichen künstlichen Mini-Quartz und über einen Naturquartz steuert. Den Saal im ersten Obergeschoss dominiert die lebensgroße, silbrig glänzende Reiterstatue von Toshihiko Mitsuya, in aufwändigster Falttechnik ganz aus Aluminiumfolie gefertigt — eine Mischung aus apokalyptischem Reiter und martialischer Lichtgestalt, aus Albrecht Dürers »Ritter, Tod und Teufel« (1513) und aktuellen Fantasy-Figuren.

 

Westliche und japanische Kunstströme vereinen sich in vielen Arbeiten, wobei weniger der fröhliche Remix zu finden ist. In seiner Eröffnungsrede sprach Gregor Jansen, Leiter der Kunsthalle Düsseldorf und Kurator mehrerer Ausstellungen zeitgenössischer japanischer Kunst, nicht nur über die »hysterische« deutsche Reaktion auf Fukushima, sondern auch über die Ernsthaftigkeit einer neuen Künstlergeneration. »The Echo« gehören weder zu den politischen Aktivisten der Group 1965, die in den 80er Jahren Beuys rezipierte, noch zu den kommerziell erfolgreichen Künstlern des (Neo-)Pop und Superflat wie Takashi Murakami oder Yoshimoto Nara. Manga und Anime sucht man vergebens. Die Gruppe sei geprägt durch ihr Leben im Ausland, außerhalb der geschlossenen japanischen Gesellschaft, betont Sako Kojima: »Wir sind keine typischen Vertreter der jungen Generation. Aber ich kann nicht sagen was typisch ist, weil die Kunstszene Japans sich jetzt verändert.«

 

»The Echo — Spreading of Light« zeigt einen Ausschnitt solcher Veränderungen. Nicht alle Arbeiten überzeugen, aber es gibt schöne Entdeckungen wie die poetischen Objekte von Kei Takemura, in denen sich auf fast magische Weise Tragik mit der Geste fürsorglicher Zuversicht verbindet.