Manchmal hilft Distanz

Dieter Roth in Bergisch Gladbach: die ­Geschichte eines glücklichen Fundes

Fast vier Jahrzehnte lang verwahrte (versteckte?) die Integrierte Gesamtschule Paffrath einen außergewöhnlichen 22-teiligen Grafikzyklus von Dieter Roth, der 1975 als Kunst am Bau angeschafft wurde. Roth (1930–1998) war zu diesem Zeitpunkt kein Unbekannter, eine erste Documenta-Teilnahme lag hinter dem international präsenten Allesverwandler, der als bildender Künstler berserkerhaft überproduktiv und einfallsreich war. Der aber nach seinem Selbstverständnis bloß nebenbei und zum Gelderwerb künstlerisch arbeitete und sich vor allem als Schriftsteller sah, der  ausufernd als Büchermacher auftrat. 

 

22 gerahmte, großformatige Grafikunikate wurden also 1975 für den Schulneubau der IGP geliefert. Allerdings konnte man dort mit der guten Gabe nicht viel anfangen. Zunächst in der Bibliothek untergebracht, vagabundierten einzelne Blätter später durchs Schulsekretariat, das Lehrerzimmer, und wurden offenbar an ihrem Bestimmungsort schon bald vergessen.

 

Die Ausstellung »Dieter Roth. Paffrath und die siebziger Jahre« macht jetzt nicht nur den vollständigen Zyklus zugänglich, sondern versammelt auch Bucharbeiten, Grafiken und Auflagenobjekte der 60er und 70er Jahre. Die IGP-Grafiken zeigen Roth als virtuosen Zeichner und verwegen-effizienten Kombinationsspieler. Er druckt seine Platten in immer wieder anderen Zusammenstellungen, schichtet Motive übereinander, variiert Einfärbungen, verbindet ein breites Spektrum unterschiedlicher Techniken. Konsequent führen die Blatttitel die Einzelzutaten auf: »Löwe mit Schild + Schild mit Löwe + Licht und Schatten auf Musenrelief + Großer Doppelkopf«. Wie sich eines aus dem anderen ergibt, wie Unzusammenhängendes doch aneinander gerät ist gut nachzuvollziehen.

 

Erzieherisch schwieriger sind andere Arbeiten, denn Roth übertrat das Lebensmittelspielverbot gern und oft. Das fünfteilige »Gewürzfenster« mag an Schärfe und Aroma verloren haben seit 1971, aber die Sonne geht immer noch in Gestalt einer Wurstscheibe hinter einem Papierhorizont, in Plastiktaschen verpackt, seit gut vier Jahrzehnten unter. Ein »Löwenselbst« aus Schokolade zerfällt weiter und weiter. Roth könnte, das zeigt die Ausstellung auch, als Onkel oder Großonkel von Martin Kippenberger und John Bock durchgehen. Wenn sie zudem zu einer nutzenden Wertschätzung der Grafiken durch die IGP mit beiträgt, wofür einiges spricht, dann wird alles wieder gut.