Gedämpft, nicht gerührt

Die Spielzeit des Schauspiels eröffnet durchwachsen

Nach den Eröffnungspremieren am Schauspiel Köln ist der erste Enthusiasmus, aber auch der Erwartungsdruck etwas gedämpft. Das Entwicklungspotenzial des Teams von Intendant Stefan Bachmann entspricht nicht ganz dem der frisch gesetzten Pflänzchen im entzückenden urbanen Garten vor der Interimsspielstätte in Mühlheim. Dennoch darf man auf eine gute Spielzeit hoffen. Aber der Reihe nach. 

 

Was von der Eröffnungspremiere vor allem im Gedächtnis bleibt, ist das aufwändige, an 70er-Jahre-Komödien erinnernde Bühnenbild von Michael Schaltenbrand: Neben einem offenen Kamin mit hohem gemauertem Schornstein hebt ein ausgestopfter Riesen-Grizzly die Tatzen; es gibt zwei Treppen und sieben Türen — das ideale Spielfeld für Slapstick-Action. Dazu bietet Michael Frayns absurder Boulaevardstoff »Der nackte Wahnsinn« reichlich Gelegenheit. Im ersten Akt des Stücks im Stück, das heftig Klischees in und hinter den Kulissen durchnudelt, tritt Rafael Sanchez noch sehr auf die Bremse. Den Pep, der anfangs fehlt, versucht der Hausregisseur im zweiten und dritten Aufguss des Spiels mit Extrem-Tempo wettzumachen. Ein klamaukiges, durchwachsenes Warm-Up, in dem das neunköpfige Ensemble beweisen darf, dass es Hochleistungsturnen beherrscht. Eine Schwierigkeit ist auch die Akustik der Spielstätte. Die Verstärkung durch Mikroports macht die Bühnensituation kaputt. Es ist kaum möglich, festzustellen, woher eine Stimme kommt. 

 

Deutlich besser hat es da der Puppenspieler Moritz Sostmann, ebenfalls neuer Hausregisseur, der sich im kleineren Depot 2 mit »Der gute Mensch von Sezuan« vorstellt. Nur wer das Böse in sich selber zu nutzen versteht, kann überleben. So die Message in Brechts großem Parabelstück über bürgerliche Freiheit. Sostmann verzichtet in seiner Inszenierung auf den kritischen Kommentar zu den Verhältnissen. Stattdessen zaubert er mit seinen anmutenden Puppen und Schauspielern aus dem Motiv des notwendigen Scheiterns des guten Menschen eine Sentimentalität auf die Bühne, die zu berührend komisch ist, um kitschig zu sein. Der Abend macht Lust auf mehr.

 

Überhaupt sind beide Eröffnungspremieren in der kleineren Spielstätte gelungen. So auch Angela Richters Recherche-Projekt »Kippenberger! Der Exzess des Moments«, mit einer assoziativen Collage aus Original-Zitaten und Zeitzeugenberichten über den vermutlich größten Popstar deutscher Kunst in den letzten dreißig Jahren: Martin Kippenberger. Während die Rezeptionsgeschichte längst den Menschen ins Licht gerückt hat, will Richter den Mythos gezielt unterlaufen. Dazu wechselt sie ständig den Rahmen für die Textflächen. Jeder der fünf großartigen Schauspieler ist mal Kippenberger, wechselt aber dann in Passagen, in denen Wegbegleiter zu Wort kommen. Mal wird das als Guido-Knopp-Show inszeniert, mal als manischer Monolog oder als gemeinsame Impro. Daraus entwickelt sich der Kosmos Kippenberger im Kunstbetrieb, der allerdings seine künstlerischen Ideen vermissen lässt.

 

Stefan Bachmann muss es auf der großen Bühne richten. Gähnend leer ist der riesige Raum zu Beginn der Kölner Premiere des Intendanten. Dann strahlt ein Scheinwerfer Melanie Kretschmann alias Dagny Taggart an, die Protagonistin aus Ayn Rands 1957 erschienenem Roman »Atlas Shrugged«, der auf Deutsch 2012 als »Der Streik« aufgelegt wurde. Im ersten Dialog mit ihrem Bruder James (Niklas Kohrt) werden der Konflikt zwischen den an der Spitze eines Eisenbahnunternehmens konkurrierenden Geschwistern und deren unterschiedliche Charakterzüge deutlich. In elf weiteren Lichtkegeln — maximal voneinander entfernt auf den gut dreißig Bühnenmetern — stellen sich die weiteren Haupt- und Nebenfiguren der Kapitalismus-Seifenoper im Rahmen einer Party vor. 

 

Ein gelungener Einstieg, der die Egozentrik und Distanzierung der Handelnden visuell vorwegnimmt und inhaltlich locker das erste Zehntel der über 1200 Seiten starken Schwarte verdichtet. Erzählt wird darin vom Bau einer Zugstrecke, für die die Firma Taggart neues Material des Stahl-Pioniers Hank Rearden (Jörg Ratjen) einsetzt, von Konzernchefs, die auf rätselhafte Weise verschwinden und einer kollidierenden Wirtschaft, die den Weg freimacht für ein radikalliberales Gesellschafts-Reset. In den Vereinigten Staaten ist der Dauerbestseller Kult; für Rezipienten, die in europäischen Denktraditionen sozialisiert wurden, bietet der Stoff Erhellendes zum Verständnis transatlantischer Mentalitätsdifferenzen.

 

Der Intendant und sein Dramaturg Jens Groß haben sich mit der Adaption eine ordentliche Last auf die Schultern geladen. Auch in der verschlankten Fassung bleiben immer noch mehr als dreieinhalb Stunden Spiel. Die Textmassen werden mit filmisch anmutenden Szenen und tollen Bildideen aufgelockert; ein LKW fährt auf der Bühne herum und zu Spaghetti-Western-Klängen wird tatsächlich ein Stück Eisenbahnstrecke gebaut. Trotz der Schauwerte zieht sich das Epos lange Zeit hin wie eine XXL-Folge »Dallas« ohne Bobby und Miss Ellie — Sympathieträger gibt es nicht. Nach der Pause ist Ironie angesagt, die sich zunehmend ins Absurde steigert, höheren Unterhaltungswert hat und das Weltbild Ayn Rands kommentiert. Warum das aber überhaupt so nachhaltige Verführungskraft besitzt, das kann Bachmanns Inszenierung kaum vermitteln. Nur in der feurigen Rede, in der ein gewisser John Galt (Guido Lambrecht) die Philosophie des Objektivismus predigt, flackert etwas von jener ambivalenten Attraktivität auf.