Mehr Verbote wagen!

Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen darlegen, warum man sehr vieles verbieten sollte. Ich weiß, wer Verbote fordert, macht sich unbeliebt. Da geht’s mir wie Gott, als er seine Tontafeln aus der Konzernzentrale ins Jammertal durchreichte. Moses, PR-Manager dieses Mega-Events, bediente sich daher einer gewieften Kampagne. Er lancierte die Top Ten der knall-härtesten, wenn nicht gar der urknallhärtesten Fun-Verbote keck als »Gebote«. Und siehe da, die Zielgruppe las wie immer nur flüchtig die AGBs und sagte sich: Okaaay, nicht mehr Rind oder Esel meines Nächsten begehren (5 Mose 5,21), dafür -später volle Live-Action hinter den Wolken — so what? — setz mich auf die Gästeliste! 

 

Statt Verbote zu erlassen, Anreize für das gegenteilige Verhalten zu schaffen, gilt freilich als moderner. Mir erscheint das indes nicht erfolgversprechend und zudem mit enormem rhetorischen Aufwand verbunden: Was könnte der Anreiz für einen verrückten Diktator sein, einfach mal nichts zu tun? 200 Frei-SMS und ein Sauna-Gutschein? Ich finde, wenn man nicht mag, dass Rabauken Oma Porz die Handtasche mopsen oder ihr ein hochriskantes Finanzprodukt aufschwatzen, dann muss man das verbieten und keine Belohnung darauf aussetzen, wenn sie es unterlassen. 

 

Aber Verbote sind unbeliebt. Weil sie die Anzahl möglicher Verhaltensweisen einschränken. Mehr noch als ständig etwas kaufen zu sollen, begeistert ja die Menschen am Kapitalismus, dass sie unentwegt auswählen dürfen und müssen. Deswegen ist nicht die Pommesbude mit den besten Pommes beliebt, sondern die mit den meisten Fancy-Dips. Herr Hirmsel von Trinkhalle Hirmsel kredenzt neuerdings zur Mikrowellen-Brühwurst nicht bloß ranzige Mayo, sondern gegen Aufpreis auch ranziges Mango-Harrissa-Chutney und Avocado-Underberg-Pesto. 

 

Leider ist für meinen Vorstoß, ein Verbot bekloppter Sößchen zu fordern, das gesellschaftliche Klima derzeit ungeeignet. Was bei Trinkhalle Hirmsel gilt, gilt eben überall: Menschen wollen unter einer größtmöglichen Vielzahl von Optionen wählen können — im Elektronikmarkt wie auf Beischlaf-Portalen im Internet. Der Trend geht eindeutig zur Quantität. Und wenn Autorennen in der Innenstadt, Technopartys im Vogelschutzgebiet oder Rauchen im Kinderkrankenhaus verboten werden, fühlen sich die Menschen gegängelt, drangsaliert und in ihrem Recht auf Scheißebauen beschnitten. Dann heißt es »Blockwart«, »Nordkorea«, »Tugendterror«. Also ich bin im Zweifel für den Tugendterror statt für den Untugendterror. 

 

Ich fühle mich nicht durch Verbote, sondern durch Erlaubnisse eingeschränkt. Etwa, dass man samstags von Sonnenaufgang bis zur Bundesliga die Nachbarschaft mit einem Laubbläser beschallen darf, während ich an den Folgen einer abendlichen Zerstreuung bei Trinkhalle Hirmsel laboriere. Verbote sind wichtig, weil nicht nur das Feingefühl von Laubbläserbesitzern, sondern aller Menschen stark nachlässt. Die sind mit ihren Gedanken immer wo anders, jedenfalls nicht dort, wo sie gerade im Weg stehen oder einem anderweitig auf die Nerven gehen. Menschen kriegen den spezifischen Vibe von Situationen gecheckt. Deshalb müssen Schilder aufgestellt werden, auf denen steht, dass in Kirchen, Kinos und Bibliotheken das Telefon abzustellen ist (»Echt jetzt? Auch Vibrationsalarm?«). Besser, man nutzte hochfrequente Sendeanlagen, um mit dezenten Elektroschocks auf allen Handy-Displays pädagogische Befehle erscheinen lassen (»Biete Senioren deinen Sitzplätze an«) — bevor man die Dinger explodieren lässt. Alternativ könnte jemand Großes von oben Tontafeln runterwerfen. Ob das Gewaltphantasien sind? Durchaus. Aber Phantasien sind ja wohl nicht verboten! Wo leben wir denn, Herr Blockwart? In Nordkorea oder was?