Heiliger Schrein trifft profane Wunderkisten

Kolumba widmet seine siebte Jahresausstellung der Ästhetik des Unsichtbaren

Jedes Jahr baut sich diese Spannung auf: Nach kurzer Umbauzeit präsentiert sich Kolumba — immer zum gleichen Termin am 15. September — mit einer komplett neuen Präsentation seiner Sammlung, die nun wieder für ein ganzes Jahr lang für eine eigenwillige Kunsterfahrung wie auch für Diskussionsstoff sorgen wird.

 

»zeigen verbergen verhüllen. Schrein — eine Ausstellung zur Ästhetik des Unsichtbaren« lautet der programmatisch-assoziative Titel in diesem Jahr. Während man geduldig mit den Pressekollegen vor den Türen des Museumsbaus auf Einlass wartet, wird einem plötzlich bewusst, wie sehr die Metapher des kostbaren Schreins, der etwas noch viel Kostbareres in sich birgt, verhüllt und damit gleichzeitig aus der Masse hervorhebt, auf den vom Schweizer Stararchitekten Peter Zumthor entworfenen Bau selbst zutrifft.

 

Das Kunstmuseum des Erzbistums ist in vieler Hinsicht etwas Besonderes: Es beherbergt einen imposanten sakralen Schatz an Malerei, Skulptur, liturgischem Gerät, Gewändern, goldenen Monstranzen, Büchern, Prozessions-fahnen und vieles mehr, der sämtliche Epochen bis zurück zum -frühen Mittelalter umfasst. 1990 erlebte das Museum mit dem Amtsantritt von Joachim M. Plotzek eine Zäsur, denn er öffnete das Museum für die Gegenwartskunst. Im Neubau trägt Stefan Kraus seit 2008 die Verantwortung für wechselnde Dialoge von sakraler und profaner Kunst, Alt und Neu, Hochkunst und Angewandter Kunst und die eigenwilligen Beiträge zu Fragen, die Kolumba aufwirft: Was macht einen Gegenstand zu Kunst? Was sind uns die Dinge, mit denen wir uns täglich umgeben, wert? Ist spirituelles Erleben an Heiligenbilder gebunden oder stellt es sich auch bei einem abstrakten Gemälde ein? 

 

Bei der nun schon siebten Jahresausstellung geht das Konzept auf. Der Rundgang ist von mächtigen Blöcken akzentuiert, die von Station zu Station spiralförmig in die 2. Etage leiten, in das Innerste und gleichsam Allerheiligste. Dort glänzt die Ausstellung mit spektakulären Leihgaben aus dem Siegburger Kirchenschatz: Das Paradestück ist der Anno-Schrein von 1181, der als Vorläufer des Dreikönigen-Schreins im Kölner Dom zu den kostbarsten Goldschmiedewerken seiner Zeit zählt. Begleitet von drei weiteren, etwas kleineren Schreinen bildet sich hier ein sakrales Zentrum, das verhüllt, was es in sich birgt. In umgekehrter Reihefolge von innen nach außen betrachtet, legt sich um dieses Zentrum eine diaphane Hülle in Form der wunderbar ambivalenten Arbeiten der amerikanischen Künstlerin Max Cole (*1937), deren Werk einen weiteren Schwerpunkt bildet. Ihre aus feinen horizontalen und vertikalen Linien und luziden Bändern aufgebaute Malerei wirkt nüchtern und beunruhigend zugleich, flächig und unendlich tief, wechselhaft und ungreifbar. 

 

Die angrenzenden Räume bieten immer wieder überraschende, vor allem sehr unterschiedliche Eindrücke. Die 22 Räume des Hauses erfordern dramaturgisches Geschick. Sie könnten unterschiedlicher kaum sein: Einige sind niedrig, andere turmhoch, manche schmal und lang, dramatisch beleuchtet, liegen in schummrigem Dämmerlicht oder sind lichtdurchflutet. Durch die Haupträume spannt sich ein gleißend polierter, fast weißer Terrazzoboden, auf dem die Besucher wie auf Wasser zu wandeln scheinen, während der Lehmputz der Wände für eine warme Ausstrahlung sorgt. An diesen sensiblen Wänden wirken die blauen Bilder von Rudolf de Crignis (1999) noch unwirklicher, schwebender und entrückter als sonst. Sie teilen sich den Raum mit einem mächtigen Heilig-Geist-Retabel aus einer Nürnberger Werkstatt von 1449,
als spannende Gegenüberstellung formal völlig unterschiedlicher Lösungen der Frage nach der spirituellen Malerei.

 

Es lassen sich viele Neuentdeckungen machen, wie die beeindruckende Halbfigur von Hans Josephsohn (1996) oder die bisher noch nie gezeigten feinen Radierungen von Gerhard Altenbourg (1985-88). Die lebendige, vom Licht modellierte Oberfläche von Jeremias Geisselbrunns Muttergottes mit Kind aus Alabaster (um 1650) korrespondiert in einem sehr reizvollen Kontrast mit den wenigen Pinselstrichen und der meditativen Tiefe des kleinen Jawlensky-Bildes (1937) ihr gegenüber. Ein Schrein kann aber auch ein modernes Gerät sein, wie beispielsweise ein Fernsehgerät aus der Sammlung Schriefers, ein Radiogerät oder ein Toaster, eine Thermoskanne oder eine alte Plattenkamera — so unerschöpflich das Thema, so vielfältig und spannend ist diese Ausstellung.