Ehe der Hahn zweimal kräht ... oder: Stadt, Politik und Kunst

Der Kölnische Kunstverein ist umgezogen. Direktorin Kathrin Rhomberg arbeitet an seiner Neupositionierung und thematisiert die eigene Rolle im Feld von Kunst und Politik.

Anja Dorn über die erste Ausstellung im neuen Domizil »Die Brücke«

Wie ein politisches Manifest liest sich das Banner mit dem Titel der Eröffnungsausstellung des Kölnischen Kunstvereins, das an der Straßenfront seines neuen Domizils, der »Brücke« angebracht wurde: »Wir müssen heute noch an Ihr Vorstellungsvermögen appellieren, um im Namen der Kunst vor- und rücksichtslos den Raum zu behaupten, in den Sie oder wir uns gedrängt haben. Mit welchem Recht, fragen Sie jetzt sicherlich«. Ganz im Gegensatz zu typischen 90er Jahre Ausstellungen zum Thema Raum namens »in/out« oder »translocation«, fordert dieser Titel ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und wendet sich appellierend auch an ein Publikum jenseits der Kunstszene.
Beides entspricht Rhombergs programmatischen Vorstellungen, doch sicherlich entspringt die Entscheidung der Direktorin, die erste Ausstellung in der Brücke der künstlerischen Besetzung von Raum zu widmen, einer politischen Notwendigkeit. Schließlich wird es in Köln vor dem Hintergrund der aktuellen städtischen Kulturpolitik immer fragwürdiger, welche Rolle Kunst überhaupt einnehmen soll. So erhielt der Kunstverein nach Abriss des Josef-Haubrich-Forum erst nach komplizierten Verhandlungen die Brücke als Unterkunft. Jetzt muss er angesichts des städtischen Haushaltslochs auch hart um die Finanzierung der Renovierung des denkmalgeschützten Hauses und der im Obergeschoss geplanten Atelierräume kämpfen.

Die »wichtigste Brücke Kölns«

Für die historische Bedeutung von Hahnen- und Cäcilienstraße scheint seitens der Stadt wenig Bewusstsein zu bestehen. Der Abriss der Josef-Haubrich-Kunsthalle mit einer der wenigen offenen Platzgestaltungen Kölns ist dafür exemplarisch. Genauso wie die Tatsache, dass im ehemaligen Stoffhaus Möller aufgrund der rigiden städtischen Stellplatzverordnung kein Café eingerichtet werden konnte – das, im Gegensatz zu der nun dort ansässigen Sprachenschule, den Charakter des Riphahnraum belassen und ihn einem breiten Publikum zugänglich gemacht hätte.
Unter den Nationalsozialisten sollten Cäcilien- und Hahnenstraße als Ost-West-Achse vom Aachener Weiher über die alte Oper am Rudolfplatz bis zur geplanten Gaubehörde in Deutz zu einer Exerzier- und Prachtstraße ausgebaut werden. Nach der Zerstörung im zweiten Weltkrieg wurde der Straßenzug von Wilhelm Riphahn mit pavillonartigen Bauten und vielen Grünflächen auf ein menschliches Maß zurückgeführt. Mit dem Amerikahaus und der von den Briten bespielten Brücke wurde der Kultur beim Wiederaufbau der Demokratie ein besonderer Stellenwert gegeben, in der Hoffnung, dass dieser Ort die »wichtigste Brücke Kölns« werde.
Kathrin Rhomberg versucht, mit der Eröffnungsausstellung auf diese Zusammenhänge aufmerksam zu machen und mit dem bereits in ihren früheren Ausstellungen spürbaren Osteuropa-Schwerpunkt die eingefahrenen Wege nach New York, Los Angeles, London und Glasgow um neue zu erweitern. Auch die Idee, die Brücke mit Atelierräumen als Ort der künstlerischen Produktion zu etablieren, erneuert die Grundidee des Gebäudes.

Ausstellungsraum als Bühne

Unter der Leitung des Wiener Architekten Adolf Krischanitz wurde für die Wiedereröffnung bereits der ehemalige Lesesaal in seinen ursprünglichen Zustand zurückgeführt, der klar strukturierte Raum von schweren Heizkörpern und sämtlichen Verbauungen befreit und der Teppich durch Terazzobitumen ersetzt. Der Boden erinnert nun an einen eleganten Straßenteer und stellt in Kombination mit der langen Fensterfront eine Verbindung zum städtischen Außenraum her. Als zentrale Arbeit der Ausstellung hat Werner Würtinger den Riphahn-Raum in Form eines etwas verkleinerten Modells nachgebaut und auch in seiner Bedeutung gedoppelt. Der Titel »Aus der Achse – mehr nach rechts – Stop.« verweist nicht nur auf die Position der Installation im Raum, sondern auch auf die politisch brisante Lage des Kunstvereins zwischen Hauptverkehrsstraße und dem aus Sicherheitsgründen völlig abgesperrten Gelände des Amerikahauses.
Dass der einstige Zugang zum Garten der amerikanischen Nachbarn heute verschlossen bleibt, macht Hans Schabus Arbeit offensichtlich: Die gläserne Terrassentür hat er in den Boden von Würtingers Installation eingefügt, während er den Ausgang durch eine Bodenplatte versperrte. Würtinger zeigt den Ausstellungsraum als Bühne und Kunst in ihrer Modellhaftigkeit, durch welche die Reflexion gesellschaftlicher Zusammenhänge erst möglich wird. Folglich ist es nicht verwunderlich , wenn man gegenüber den Videoarbeiten von rasmus knud, Halt + Boring und Heimo Zobernig oder den Stadtporträts von Thomas Kilpper, die auf dem Podest gezeigt werden, eher distanziert bleibt.

Kreidespuren

Josef Dabernigs Videoprojektion hingegen greift auf den Raum über. Wie Fußballtrainer scheinen zwei Männer in Anzug und Krawatte vom Rand eines Stadions aus ein Spiel zu beobachten. Obwohl man ein grölendes Publikum hört, bleiben die etwas schäbigen Zuschauerränge leer. Spieler sind nicht zu sehen. Das Spielfeld befindet sich da, wo der Betachter steht, existiert also nur in dessen Vorstellung. Dabernigs Videoinstallation findet in der Arbeit des Slowaken Július Koller eine humorvolle Fortsetzung. Mit einer Linie aus Kreidestaub hat er den Ausstellungsraum wie einen Fußball- oder Tennisplatz eingegrenzt. Diese Art, den Raum zu besetzten, ist kaum von Dauer, denn mit den Schuhen der Besucher vertritt sich die Kreide.
Etwas redundant betont diese Ausstellung die Bedeutung des offenen Raums, der erst durch die Imagination gefüllt wird. Dass gerade im individuellen Zugriff auf den öffentlichen Raum das politische Moment entsteht, legt Rhomberg an den Arbeiten Jiri Kovandas und einer feministischen Aktion Sanja Ivekovics aus den 70er Jahren dar. So setzte sich Ivekovic, während einer Parade im kommunistischen Jugoslawien, mit einem Buch und einem Whiskey auf einen privaten Balkon und begann zu masturbieren. Nur ein Scharfschütze auf dem gegenüberliegenden Hausdach konnte sie dabei beobachten, was zur Folge hatte, dass ihr Balkon polizeilich geräumt wurde.
Im Rückgriff auf diese historischen Positionen wirken neuere Arbeiten wie beispielsweise Anatoly Osmolovskys Videodokumentation einer Besetzung des Lenin Monuments in Moskau wie aufgewärmt. »Visit Iraq« das Video des in Köln lebenden Palästinensers Kamal Aljafari ist eine der wenigen Arbeiten, die sich auf eine auch für uns aktuelle politische Situation bezieht. Es handelt von dem, seit Beginn des Embargos 1990, leerstehenden Ladenlokal von Iraqi Airways in Genf. Passanten berichten, was sie vom Büro wissen und machen deutlich, wie sehr der politische Konflikt im nahen Osten durch unsere alltäglichen Vorstellungen und Sichtweisen mitbestimmt ist. Der Raum mit seinem zerbrochenen Kronleuchter und dem Porträt Sadams widerspricht in seiner Zeitlosigkeit derart der geschäftigen Logik Genfs, dass sich die politisch aktuelle Situation von Besetzern und Besetzten an diesem Ort zu verkehren scheint.

Nebelwetter

Josh Müllers Installation »la construction du ciel« versetzt den Besucher an einen Flughafen, der – in ein dichtes Nebelfeld gehüllt – unerreichbar, fast irreal wirkt. Bei solchem Wetter startet jedenfalls keine Maschine. Dass es sich bei dem Flughafen nur um ein Modell im Atelier des Künstlers handelt, versteht man erst im Abspann. Der Film berührt nicht nur durch die Unmöglichkeit des unbeschwerten Fluges, sondern auch durch den nahezu abstrakten Ort.
In der etwas zu trocken geratenen Ausstellung sehnt man sich angesichts dieses Bildes nach Arbeiten, die subtiler nach der Wahrnehmung von Raum fragen und im Betrachter ein Begehren wecken. Müller erreicht so eine komplexe Reflexion des Verhältnisses von Vorstellung, Darstellung und Realität. Auch Aljafari gibt, über den Anspruch der Ausstellung hinaus, Raum durch künstlerische Eingriffe politisch zu besetzen, ein komplexes Bild gesellschaftlicher Zusammenhänge und hinterfragt gleichzeitig die Möglichkeiten des Dokumentarfilms. Es wäre begrüßenswert, wenn mehr Arbeiten diese Eigenständigkeit entwickelten. Schließlich kann man sich über die verstärkte Präsentation theoretischer Arbeiten in Köln nur freuen, wenn sie denn das Versprechen einer differenzierten Diskursivität halten.
Kölnischer Kunstverein, Hahnenstraße 6, di-so
11-17 Uhr, bis 22.6.