Back to the roots

Stefan Bachmann zeigt die Schöpfungs­geschichte im Director’s Cut

Stefan Bachmann geht aufs Ganze. Die erste Premiere des Intendanten, den vierstündigen »Streik«, überbietet die »Genesis« mit fünfeinhalb Stunden locker. Das beweist enormen Mut und Engagement für die Kunst. Schlüssig scheint dieser monumentale Doppelschlag aber auch inhaltlich: Während Ayn Rands Roman die ideologische Grundlage der freien Marktwirtschaft und damit der modernen westlichen Gesellschaften erzählerisch entfaltet, ist die Schöpfungsgeschichte ein noch tiefer liegendes Fundament unserer (und nicht nur unserer) Kultur. 

 

Es hat einen großen Reiz, den blanken Kapitalismus und die durch Deutungen und Bebilderungen zugeschütteten Geschichten der Bibel in direkter Anschauung auf der Bühne zu sehen. Was beim »Streik« streckenweise noch allzu trocken und geradlinig wirkte, macht die »Genesis« trotz ihrer Dauer wett. Selbst der schleppende Anfang, bei dem Michael Neuenschwander die Welt in aller Ausführlichkeit nur mit seinen Worten entstehen lässt — bevor nach fast einer Stunde Abram und seine Familie auftreten — fügt sich ins Szenario, das, je länger der Abend, immer kurzweiliger und temporeicher wird. 

 

Wenn es einen Stoff gibt, der in die riesige Industrie-Halle des Depot 1 passt, dann dieser. Die zeitliche und räumliche Ausdehnung des Erzählten, die Fülle der Geschichten, die man wieder-erkennt, die Aufzählung der Völker und Geschlechter, die wie im Zeitraffer Jahrhunderte überbrücken, das alles trägt dazu bei, diesen Raum zu füllen. Simeon Meiers Bühnenbild, in dessen Zentrum ein gewaltiger Lehmhügel liegt, sorgt für viele äußerst wirkungsvolle Bilder am staubigen Abhang oder auf dem Gipfel: die drohende Opferung Isaaks, Jakobs Ringkampf mit Gott, Josefs Gefangenschaft. Mit Leben gefüllt wird das Panorama durch ein geschlossen wirkendes Ensemble. Fast alle übernehmen mehrere Rollen, niemand sticht heraus.

 

Bachmann lässt konsequent den gesamten Text der Genesis spielen und verzichtet auf jede Deutung. Erst im letzten Drittel, wenn die Episoden immer ausführlicher und psychologisch plausibler werden, erlaubt er sich Freiheiten, karikiert manches, macht etwa aus Josefs Brüdern eine Desperado-Gang. Durch diese elegante Zurückhaltung im Umgang mit metaphysischet Tonnenlast passiert Erstaunliches, und es stellt sich wundersamer Weise der großartige Effekt ein: All die Moralisierungen, mit denen man seit Kindertagen traktiert wird, erscheinen plötzlich ganz falsch. Man sieht auf einmal, dass es nur Geschichten sind. Roh, archaisch und oft seltsam, aber immer erzählenswert.