5000 Euro für ein Herz

Seit rund einem halben Jahr spielen Frauen unter dem Namen »Herzkreis« auch in Köln um Geld – um viel Geld. Schöngeredet wird die

Zockerei, die eine Variante der so genannten Schenkkreise ist, mit einer Mischung aus Esoterik und Frauensolidarität. Yvonne Greiner hat an einem Treffen der Herzkreis-Frauen teilgenommen.

Gezockt wird draußen vor der Tür. Bei einer Zigarette. Gesprächsfetzen, nicht für meine Ohren bestimmt, zerstören die sonntägliche Ruhe des Innenhofs in einem westlichen Kölner Gewerbegebiet. Die vier Frauen tratschen über eine fünfte, die nicht anwesend ist. Es geht darum, wer welche neu gewonnene Frau mit ihrem Geld auf welche Seite zieht, nachdem sich der »Herzkreis« geteilt haben wird. In einer Stunde ist es soweit: Das »Herz in der Empfangsposition« erhält heute 40.000 Euro.
Die Spielregeln sind einfach. Dennoch werde ich den Verdacht nicht los, dass sich einige Frauen der Logik des Systems willentlich entziehen, während andere sie sich clever zu Nutze machen. Die herumgereichten Schaubilder (»Charts« genannt), die Frauenvornamen inklusive Telefonnummer in Herzen eingerahmt zeigen, machen aus der Hierarchie, die es angeblich nicht gibt, keinen Hehl. Denn das, was sich Kreis nennt, ist tatsächlich eine Pyramide: Ganz oben steht ein Herz alleine und befindet sich somit in der so genannten Empfangsposition. In der Reihe darunter sind zwei Herzen, darunter vier, darunter acht. Der Clou: Die acht Herzen der untersten Reihe bezahlen jeweils 5.000 Euro an das Herz in der Empfangsposition – insgesamt 40.000 Euro wechseln damit ihre Besitzerin.

»Herzteilung« und »Sponsoring«

Im Herzkreis-Jargon heißt dieser Vorgang nicht Auszahlung, sondern »Schenkungsfeier«, die Zahlenden unterschreiben eine Schenkungsurkunde. Nach der Auszahlung scheidet das Empfängerherz aus – die Pyramide teilt sich vertikal, so dass zwei neue entstehen. Die beiden Herzen der zweiten Reihe rutschen jetzt jeweils in die Empfangsposition. Auch die anderen rücken damit eine Etage näher an die Geldausgabe. Logische Folge: Unten stehen acht leere Herzen, die es mit neuen Namen, sprich: Frauen, die bereit sind, 5.000 Euro zu verplempern, zu füllen gilt.
Die wollen erst einmal gefunden und vor allem überzeugt werden. Ein Auftrag, der nicht leicht zu erfüllen ist. Um den Nachschub etwas reibungsloser zu gestalten, haben die cleveren Betreiberinnen erstens die mögliche Herzteilung und zweitens das so genannte Sponsoring eingeführt. Bis zu vier Frauen können sich ein Herz teilen, sie sind dann z.B. mit 1.250 Euro für ein Viertel im Rennen. Frauen, die unbedingt teilnehmen wollen, aber eigentlich keinen Cent Spielgeld übrig haben, werden nicht selten von Frauen, die schon abgesahnt haben, gesponsert. Das heißt nichts anderes, als dass die Frauen sich gegenseitig Geld leihen, damit das System nicht zu früh kollabiert. Das Geld muss natürlich zurückgezahlt werden. Der Begriff Sponsoring ist genauso irreführend wie vieles andere, was mir im Laufe des Nachmittags begegnen wird.

Waschmaschine, Fahrrad, Fotoapparat

Die sich nicht irreführen lassen, reden draußen vor der Tür im kleinen Kreis Klartext. Sie wirken nervös. Drinnen, im Souterrain-Atelier einer Künstlerin, schlagen die Frauen sanftere Töne an. Auch die Gesten werden weicher, die Frauen berühren sich, lächeln, einige verzückt, einige angestrengt. Die Anspannung im Raum ist spürbar. Während der Vorstellungsrunde – 30 Frauen sitzen im Kreis auf dem Boden, in der Mitte ein altarähnliches Gebilde mit Herzkissen und -kerzen – ist von Freude, Freundschaft, Solidarität und Vertrauen die Rede. Von Herzenswünschen, die man sich erfüllen will. Dazu braucht es Geld. »Ein Herz ist 5.000 Euro wert« erklärt eines der ausliegenden Infopapiere für Neueinsteigerinnen. Einige Frauen erzählen, wofür sie das in Aussicht gestellte Geld ausgeben wollen: eine Filmkamera, eine neue Waschmaschine, ein Fahrrad für den kleinen Sohn. Rührend. Doch selbst wenn man nur mit dem Mindesteinsatz von 1.250 Euro spielt – wie viele Kinderräder kann man dafür kaufen? Stattdessen riskieren die Frauen, auch dieses Geld zu verlieren, sobald die acht unteren Herzen leer bleiben. Und das ist nur eine Frage der Zeit.

»Erleben von neuer Öffnung«

Doch mit gesundem Menschenverstand ist der Angelegenheit nicht beizukommen. Das zu begreifen, reicht ein Sonntagnachmittag. Logik gilt den Herzkreis-Frauen als männliches Prinzip, Mathematik als eine Disziplin des Teufels, und das semilegale Zocken um eine Menge Geld wird als das »Fließen von Energie« im Rahmen eines »Frauen-Netzwerkes« umgedeutet. Auf der Homepage www.schenkkreise.de klingt das so: »Es entsteht ein Energiefeld der Fülle und andere Geschenke wie Heilenergie, Erfahrungen anderer, Teilen von Freude, Erleben von neuer Öffnung bei sich und anderen werden genauso wichtig. Häufig ändert sich die Einstellung zum Geld und zum Empfangen.« Empfängnis- und Energie-Metaphern stehen stets im Zentrum der Werbemaßnahmen. Der bizarre Mix aus feministischen und esoterischen Puzzleteilchen soll den Frauen als mentale Stütze dienen, wenn sie zwischendurch der Geistesblitz durchfährt, es könne sich bei dieser Art von »Schenkkreisen« vielleicht doch um ein ganz irdisches Glücksspiel handeln – und eben nicht um das »Erleben und Mehren der Fülle auf allen Ebenen«. So aber steht es im »Mind map für Herzkreise«, das mir im Atelier in die Hände fällt. »Die Frauen in der 8er-Reihe üben sich im Loslassen« (sprich: Bezahlen), »die Frauen in der 2er-Reihe bereiten sich innerlich und äußerlich auf die Empfangsposition vor«, und »die Frauen in der Empfangsposition erhalten die Energie des Empfangs, Offenheit, Zuversicht, Freude, Anfangsbewusstsein« (sprich: 40.000 Euro abkassieren).

Opfer und Täterinnen zugleich

Im Infoblatt finde ich auch noch folgenden Hinweis: »Jede Frau kann jederzeit, wenn sie empfangen hat, wieder einsteigen«. Klara (Name von der Redaktion geändert), eine Herzkreis-Aussteigerin, die sich an die StadtRevue gewandt hat, weiß, dass es in Köln Frauen gibt, die sich schon mehrmals 40.000 Euro haben schenken lassen. Ob man überhaupt in die Position der Beschenkten komme, und das gleich mehrmals, sei eine Frage cleveren Taktierens, sagt sie. Herzkreis-Frauen verbringen mehrere Stunden täglich am Telefon, spornen sich gegenseitig an, Neue zu akquirieren, reden aufkommende Ängste der Mitspielerinnen klein. »Genauso habe ich mir Sekten immer vorgestellt«, erzählt Klara. Sie ist nach zwei Wochen aus dem Herzkreis wieder ausgestiegen und wollte ihren Einsatz von 2.500 Euro zurück. »Ich konnte nicht mehr schlafen, nicht essen, heulte nur noch, bis ich endlich kotzte. Dem Gruppendruck, der dadurch entsteht, dass nur die Gemeinschaft das Spiel am Laufen hält, war ich nicht gewachsen. Dazu die Existenzangst, seit sechs Monaten keine Jobs, das Geld schwindet«, erzählt sie. Die Hälfte des Betrages hat sie inzwischen zurück, aber nur weil einige Frauen an Klaras Bedenken ehrlichen Anteil nahmen und einsichtig waren: »Ich hatte Glück im Unglück.« Die Rückgabe des Geldes auf juristischem Wege einzuklagen, wäre schwierig. Die Frauen sind ja nicht nur Opfer, sondern gleichzeitig auch Täterinnen. VerbraucherschützerInnen verweisen darauf, dass die Schenkungsurkunde nicht rechtswirksam sein kann, weil Pyramidenspiele dieser Art zumindest sittenwidrig, wenn nicht sogar illegal sind. Der private Rahmen, in dem der Herzkreis stattfindet, verkompliziert die Rechtslage in der BRD. In den USA ist nicht nur die Initiierung von derartigen Pyramidenspielen, die dort z.B. »Women Gifting Circles« heißen, sondern auch die Teilnahme verboten.

Hausfrauen aus dem Ruhrgebiet

Auch juristische Bedenken versuchen die Herzkreis-Betreiberinnen an jenem Sonntagnachmittag im Atelier zu zerstreuen. Außer der »Mind map« finde ich auch ein Schreiben des Kölner Rechtsanwalts Pierre Gärtner, der Sittenwidrigkeit zu bedenken gibt, aber angeblich keine Hinweise auf Illegalität und Strafbarkeit des Schenkkreises ausmachen kann. Den anwesenden Spielerinnen ist das sowieso egal. Sie sind im Rausch: Hausfrauen aus dem Ruhrgebiet, Medienschaffende aus Berlin, frauenbewegte Endvierzigerinnen aus Freiburg, denen man zutraut, dass sie den weiten Weg nach Köln auf dem Motorrad zurückgelegt haben. Teuer eingekleidete Damen aus dem Kölner Umland, denen der Kontostand wahrscheinlich noch nie eine schlaflose Nacht bereitet hat, sitzen neben allein erziehenden Müttern mit Geldsorgen und zwei sehr jungen Frauen, die ihre einzelnen Abinoten bestimmt noch aus dem Kopf aufsagen können. Ihr VIVA-Moderatorinnen-Outfit macht es ihnen schwer, sich bequem auf dem Boden zu lümmeln. Zwei der teilnehmenden Frauen wohnen gar in München. Denen war die Anreise zu weit, es gebe jedoch, so sagen die Kontaktfrauen, »nette Telefongespräche« mit ihnen.

Exklusiv in Köln: Turbo-Herzkreise

Die Frauen kommen aus der ganzen Republik, weil derzeit nur in Köln »Turbo-Herzkreise« laufen. Das ist die schnelle Variante des Spiels für »besonders energiegeladene und energische Ladys, die Lust, Spaß und Kraft haben, den ganzen Prozess in nur vier Wochen zu durchlaufen!« So wirbt eine E-Mail im Forum der Homepage www.lichtpyramide.de um Neuzugänge. Ein eher ungewöhnlicher Weg der Anwerbung, bisher wurde über persönlichen Kontakt im Freundes- und Bekanntenkreis für Nachschub in die 8er-Reihe gesorgt. Genau das sei das Tückische an den Herzkreisen, sagt Klara nach ihrem Ausstieg: »Nicht irgendein Mensch macht auf dieses Spiel aufmerksam, sondern eine Vertrauensperson aus dem eigenen Umfeld.« Die mögliche soziale Brandrodung, die das Hineinziehen von Freundinnen und Bekannten in das Pyramidenspiel zur Folge hat, blenden die Herzkreis-Frauen, die sich so sozial und kuschelig gebärden, aus: Was ist das für eine Art von Energie, die intelligente Frauen guten Gewissens ihren miserablen Kontostand mit den Euros einer Freundin ausgleichen lässt, während diese eventuell ihr letztes Geld verliert? Dass die Wahrscheinlichkeit zu verlieren deutlich höher liegt als die zu gewinnen, wissen nicht nur MathematikerInnen: 87,5 Prozent der Beteiligten verlieren ihr Geld, und zwar garantiert. Diese Rechnung wird nachvollziehbar auf der informativen Homepage www.geldspiele-beobachter.de aufgemacht. Auch die Esoterikerinnen unter den Spielerinnen weisen unverblümt auf diesen Umstand hin. »Bevor du den kostbaren und vielleicht für dich neuen Schritt des Schenkens tust«, so steht es bei www.schenkkreise.de, »vergegenwärtige dir bitte Folgendes klar und in Ruhe: Dein Geschenk ist ein Geschenk. Es ist unabhängig von deinem Wunsch und der Möglichkeit, jemals in die Position des Beschenkten zu kommen.«

Dosen mit Schleife

Die soziale Distanz, die dadurch entsteht, dass man die Frauen – meistens aus anderen Städten – nur kurzzeitig und oberflächlich kennt, mag dazu führen, dass das Abzocken in der Turbo-Variante des Spiels leichter fällt. Gespielt wird im Turbo-Herzkreis nach den bekannten Regeln, nur unter Hochdruck. Während in der gängigen Variante keine Zeitvorgaben gemacht werden, sollen in der Turbo-Version wöchentlich 40.000 Euro ausgezahlt werden. Wer diesen Sonntag mit 5.000 Euro einsteigt, so das Versprechen, geht in vier Wochen mit 40.000 Euro nach Hause. Gerade dass der Turbo-Herzkreis bundesweit Neue anwerbe, sei ja sein Vorteil, erklärt mir eine der Frauen. Damit könne man ihn länger am Leben erhalten. Zu den lebenserhaltenden Maßnahmen der Kölner Aktivistinnen gehört derzeit auch, Kleinanzeigen zu schalten (z.B. Express vom 3./4. Mai) und auch Männer für die Teilnahme anzusprechen.
Die Frau, die neben mir im Kreis sitzt und sich das Procedere heute auch zum ersten Mal ansieht, formuliert leise ihr Misstrauen. Bei einer derartigen Geschwindigkeit und mit Frauen, die man zum Teil nicht mal von Angesicht zu Angesicht kennt, könne weder Vertrauen noch wirkliche Unterstützung, geschweige denn Solidariät aufkommen. Ich nicke ihr zu, dann wenden wir uns beide wieder dem Geschehen in der Mitte zu. Eine Beschenkung wird dort zelebriert. Während die meisten Geldgeberinnen die Euroscheine in herzförmigen Dosen oder mit samtenen Schleifen garnierten Schächtelchen überreichen, bereiten die Freiburgerinnen dem quasireligiösen Zeremoniell unfreiwillig ein Ende: Beherzt reißen sie zwei Umschläge auf, fächern die Scheine auf und halten sie den verblüfften Empfängerinnen unter die Nase. »Man muss ja nachzählen können«, sagen sie und lachen laut. Zumindest sie haben das Spiel begriffen.

Außerdem in der aktuellen StadtRevue: Ein Interview mit der Kölner Diplom-Psychologin Marlene Steuber, die die »Herzkreise« untersucht hat.