Als die Kunst sich entmischte

»1914 — Die Avantgarden im Kampf« in der Bundeskunsthalle zeigt den Opportunismus der Kunst und später ihre Verzweiflung angesichts der Massenschlächterei

Zu Beginn informiert eine Tafel, dass in dieser Ausstellung Werke für oder gegen den Krieg und solche, die unter dem Druck oder die trotz des Krieges entstanden seien, gezeigt werden. Damit ist nolens volens das Dilemma der Ausstellung benannt, dass sie nämlich nicht zu einer zugespitzten Aussage gelangen kann. Oder besser: damit ist ihre eigentlich völlig trostlose Botschaft benannt.

 

Um es gleich vorweg zu sagen: Sie besteht darin, dass mit der Kunst — gerade auch in ihren visionärsten, kühnsten, kurzum: avantgardistischen Varianten — alles möglich ist. Kriegsbegeisterung wie Gegnerschaft, blutrünstiger Patriotismus wie verstörte Verarbeitungen der erlebten Gräuel. Wer glaubt, es gäbe einen kunstimmanenten Kern, der den Wirren der Zeit standhalte — irgendwie —, kann sich in dieser Ausstellung auf das Ausführlichste enttäuschen lassen: Es gibt ihn nicht.

 

Es gehört zur Ironie der Ausstellung, dass sie dabei kunstimmanent vorgeht. Man muss ihr das vorwerfen. Es fehlt die Didaktik, konkret: die Engführung der Kunstproduktion mit den Daten und Ereignissen des Ersten Weltkrieges; auch mit seiner Vorgeschichte und seinen verzweifelt-hoffnungsvollen Folgen, den proletarischen Revolutionen und Revolutionsversuchen in Russland, Deutschland, Österreich-Ungarn und Italien. Ein Beispiel: Der Ausstellungsgang fängt thematisch mit den »Vorahnungen« an — mit apokalyptischen Bildern und Grafiken, die vor 1914 schon die totale Verwüstung vorwegnehmen. Die fantastisch-futuristischen Arbeiten von Alfred Kubin sind an erster Stelle zu nennen, ein früher Höhepunkt der Ausstellung, sie erzählen eigentlich schon die ganze Geschichte des Krieges. Präsentiert man — wie hier geschehen — diese Vorahnungen »einfach so«, erscheinen uns die Künstler als übermenschlich visionär. Hätte man den zeithistorischen Zusammenhang hinzugenommen — also die Kriege vor dem Weltkrieg, die auf eine globale imperialistische Schlacht hinausliefen, der russisch-japanische Krieg, der Balkankrieg, die italienische Libyen-Kampagne —, wäre klar, dass etwa Kubin »nur« das reflektiert, was bereits abzusehen war.

 

»Die Avantgarden im Kampf«, das klingt fast sportlich, aber es geht um Krieg, eine rücksichtslose Entmischung, man kann sie an zwei Momenten ablesen: Da ist zunächst die institutionelle Entmischung der Avantgarde, die vor 1914 europäisch vernetzt und eben keine nationale Angelegenheit war. Ihr transnationaler Zusammenhang ist nach dem Sommer 1914 wie weggeblasen. Man kann abgeschmackt patriotische Bilder auch im avanciertesten Kubismus-Stil malen, wie Fernand Léger leider demonstriert. Aber die Entmischung findet auch in der Kunst selbst statt, etwa wenn die italienischen Futuristen den technisch-konstruktiven Charakter ihrer Kunst ganz in den Dienst der Vergötzung der Kriegsmaschinerie stellen — kein Platz mehr für Ambivalenz. Oder noch brutaler: Wenn Franz Marc, schon bald ein namenloses Opfer auf den endlos weiten Kriegsfeldern, die Techniken des Kubismus für die Camouflage des Kriegsgerätes adaptiert.

 

Früh dämmert allen — der Krieg wird nicht im Winter 1914/15 beendet sein. Ab dem Herbst 1916 wird in Deutschland gehungert, es schmeckt nach Aufstand und Streik. Verwirrung, Verbitterung, Verstörung, der Verlust der Sinne — das alles macht sich auch in der Kunst bemerkbar, als eine Art Katzenjammer. Die besoffenen Kriegshelden — es sind tatsächlich nur wenige Künstler, die sich dem realen Wahnsinn durch vorgespielten (freiwillige Psychiatrisierung) oder Exil in der Schweiz entziehen — lecken ihre Wunden, buchstäblich. Die Arbeiten, die ab 1916 entstehen, etwa von Ludwig Kirchner oder Max Beckmann, zeugen vom Formverlust und gleichzeitig von der Anstrengung, eine neue Form zu finden. Es sind »arme« Arbeiten, das (Selbst-)Porträt als Resteverwertung, weil man nichts mehr hat außer Körper- und Seelenresten. George Grosz nutzt diese »Chance« und wird zum Chronisten des verkommenen Bürgertums.

 

Die Ausstellung, die vorbildlich gegliedert ihre opulente Materialfülle gut im Griff hat, endet auf einer befreienden dissonanten Note: Dada, dem künstlerischen Totalangriff auf die instrumentelle Vernunft. Aber Dada ist eben nicht nur Chaos gegen Chaos, sondern auch eine Feier anarchistischer Kreativität, die sich ihre eigenen, antiherrschaftlichen Formen schafft. Dada steht in direktem Kontakt zu den Aufständen und Revolutionen ab 1917. Auch darauf findet sich in der Ausstellung kein Hinweis.

 

Stattdessen folgt eine kitschige Coda: Hat man den Rundgang beendet, kann man noch in die Räume »Missing Sons« gehen. Zwar eine (Foto-)Ausstellung für sich, dürfte sie aber von den meisten als assoziierter Teil der vorhergehenden verstanden werden. Hier wird ganz allgemein getrauert, und das entlädt sich in einem zwangsläufig undifferenzierten »Brei des Herzens« (Hegel). Die toten Söhne an der Front sind im Tod alle gleich — aber das zu zeigen, reicht nicht. Hier rächt sich, dass vorher keine historisch-politische Einordnung dieses imperialistischen, vom deutschen Reich entscheidend forcierten Massakers stattgefunden hat.