Nachbarschaftssehhilfen

My Personal Title #2: Kunstkritiker Jens Peter Koerver über die Neu­präsentation des Museum Ludwig

Für einschlägig Interessierte und hierorts Lebende ist das Museum Ludwig so etwas wie ein Trainingsort des eigenen Sehens. Mit der Zeit ergaben sich hier Museumssehgewohnheiten und schließlich Übersehensgewohnheiten. Da ist ein Trainerwechsel nicht schlecht. Das Vorhandene ist nun komplett um- und neu aufgestellt, manches kam weg und anderes überhaupt mal wieder zum Vorschein. Solches Umräumen räumt auch mit den eigenen Gewohnheiten auf, und man reibt sich verwundert, erstaunt, relativ erfreut die Augen.
So monumental und skulptural, klar und raffiniert, aber auch raumverschwenderisch und selbstgefällig war das Treppenhaus lange nicht mehr zu erleben: Die schwarzweißen, groß dimensionierten Arbeiten von Louise Lawler und Fernand Léger lassen die Architektur zur Geltung kommen, ohne selbst demütig zu sein. Wie überhaupt die Kunst des augenöffnenden Zusammenspiels, die erhellende Nachbarschaftspflege ein wesentlicher Gesichtspunkt der umfassenden Ludwigerfrischung ist.

 

Endlich darf eine Merzcollage von Kurt Schwitters aus den 20er Jahren neben Rauschenbergs und Jasper Johns Malerei- und Objektgebilden hängen und zeigen, wie nah sich das vermeintlich Entfernte ist. Die Zusammenschau von Fotografien, die Ruth-Marion Baruch 1968 von Protesten der Black Panther Party machte, mit Warhols »Red Race Riot« von 1963, zeigt den raffinierten Bildverwerter als aufmerksamen Diagnostiker seiner Zeit, wie auch sein enormes Gespür für einen neuen Umgang mit Bildern in der aktuellen Präsentation anschaulich wird. Kombinationen wie diese sind — mit der riesigen fotografischen Sammlung des Hauses im Rücken — nahe liegend, einige gelungene Arrangements in dieser Richtung sind bereits zu sehen. Weitere könnten jeweils ausweitend, vertiefend, intensivierend wirken.
Angesichts vieler lohnender Ausgrabungen aus den Beständen, gerade zur Kunst um 1970, erweisen sich etliche dem vorwiegend spröden Geist dieser Epoche verpflichtete Neuankäufe von Werken der unmittelbaren Gegenwart als deren akademische Widergänger: überaufwändig bei geringem Erkenntnisgewinn, von Schaulust ganz zu schweigen. Die entsprechenden Nachbarschaften — in Reinform im Untergeschoss zu besichtigen — sind konsequent, doch leider reibungslos.