Von Wuchtbrummen und geilen Töchtern

Moritz Sostmanns Adaption von Kafkas »Amerika« verblüfft als skurrile Burleske

Oberköchinnen müssen schnell sein. Doch so schnell wie Grete Mitzelbach ist keine. Bruno Cathomas in braunschwarz gestreiftem Kleid mit astreiner grauer Helmfrisur und Sonnenbrille macht aus der Küchenmamsell eine hinreißend wuselige Wuchtbrumme, die der Hauptfigur Karl Rossmann ihre Hotelwelt zu Füßen legt. Der 16-Jährige im Matrosenanzug sieht auch einfach zu gut aus. Das scharfkantige Gesicht, die großen staunenden Augen hinter der dünnrandigen Brille: Ein Frauenschwarm — auch wenn Karl nur eine Puppe ist.


Regisseur Moritz Sostmann, der am Schauspiel Köln bereits Brechts »Guten Menschen aus Sezuan« mit Puppen inszeniert hat, nimmt sich Franz Kafkas Roman »Amerika« vor. Dessen unvollendeter Erstling trägt schon die Merkmale späterer Werke wie wuchernde Bürokratie und Einsam­keit, vergisst weder die Kälte des Kapitalismus noch den Humor. Vor allem den lässt sich die Regie nicht entgehen. Neben der Oberköchin hat Bruno Cathomas auch noch einen Auftritt als dralle Sängerin Brunelda in metallic-blauem Fatsuit oder als Kapitalist Herr Pollunder mit Zylinder und Zigarre. Dela­marche und Robinson (Philipp Plessmann und Johannes Benecke) kommen als durchgeknallte Tagelöhner daher. Sostmann presst alle Skurrilität aus den Figuren, denen Karl Rossmann begegnet. Selten hat man »Amerika« so burlesk gesehen. Das geht allerdings nicht ohne Verluste ab. Die Anfangsszene zwischen Rossmann und dem Heizer, die von Gerechtigkeitsempfinden und Klassendifferenz erzählt, verkommt zu wütendem Gebrüll. Vor allem zu Beginn fließen die Erzählpassagen zäh, die szenische Verdich­tung bleibt dürftig. Was an Klemens Kühns schwarz-weiß gekachelter Breitwandbühne samt Brüstung und Video-Leinwand liegen dürfte, die mit ihren Klappen weniger raum-, als auftrittsorientiert gestaltet ist. Jedoch nutzt die Regie die Weite, um aus »Amerika« auch das Roadmovie zu destillieren. Berührend die Szene, wenn der kleine Karl mit  Delamarche und Robinson die Landstraße entlangzieht. Die Erfahrungen, die der 16-Jährige bei seinem Trip macht, sind vor allem sexueller Natur. Ob schwule Herr Pollunder, seine geile Tochter Clara in Bikini unter Pelzmantel (Magda Lena Schlott ) oder das einsame Zimmermädchen Therese, diese erotischen Abenteuer widerfahren Rossmann eher, als dass er sie sucht.

 

Am Ende landet der kleine Kerl im »Naturtheater von Oklahoma«, einer trashigen Kostümshow, die bei Kafka allerdings als Verheißung gilt. Nicht alles gelingt an diesem Abend. Aber man sollte hingehen.