An der Erschöpfungsfront
In der heutigen Arbeitswelt sind wir allumfassend mit allem und allen vernetzt. Berufliches und Privates ist kaum mehr zu trennen — weder in den sozialen Netzwerken noch im Alltag. Die Autorin Felicia Zeller ist eine Spezialistin für solche Überlastungsszenarien der Multioptionsgesellschaft. In ihrem hochtourigen Stück »X Freunde« trifft es Anne Holz, gespielt von Johanna Paliatsou. Seitdem sich die Kreative mit einem Start-up selbstständig gemacht hat, arbeitet sie nur noch. Ihr Ehemann Holger, ein arbeitsloser Koch (Thomas Hupfer), scheitert daran, sie aus ihrem Wahn zu befreien. Sogar im Urlaub versteckt sie sich, um stundenlang geschäftlich zu telefonieren. Auch der befreundete Künstler mit Arbeitsblockade (Sunga Weineck) ist keine Hilfe. Sein Kunstprojekt »X-Freunde« wartet auf die Vollendung. Auch wenn sie gar nicht genau wissen, was, alle drei haben das permanente Gefühl, immer etwas tun zu müssen. Sie reden fast ununterbrochen, sprechen die Sätze aber nicht mehr zu Ende. Dafür fehlt die Zeit. Die Zellersche Sprechpartitur ist hier mal wieder virtuos.
Regisseur Kay Link hat einfache, aber wirkungsvolle Mittel gewählt, um diese Parabel auf die moderne Leistungsgesellschaft zu inszenieren. Im Hintergrund der Bühne assoziieren türgroße Glaswände eine moderne Büroatmosphäre. Immer mehr Post-its kleben an ihnen. Es sind die Termine und Tweets von Anna. Bald sind sie mit vielen kleinen, gelben Zetteln übersät, dass Anna dahinter verschwindet. Ein gelungenes Bild für ihre fortschreitende Isolation. Überhaupt entfernen sich die Freunde immer mehr voneinander. Eindringlich schält Paliatsou dabei das Rabiate aus der Figur der arbeitswütigen Karrierefrau. Besonders komisch gelingt ihre Liebeserklärung an ihren Laptop. Die Verletzlichkeit ihres hilflosen Ehemanns wird glaubhaft von Hupfer verkörpert.
Die Regie verlangt von den Schauspielern ein hohes Tempo, das aber alle drei meistern. Gekonnt wechseln sie zwischen den Textebenen: Innenschau, Dialog und Publikumsansprache. Allein ein Aspekt aus der Vorlage wirkt unspiriert: Es gibt einen signalroten Knopf für den emotionalen Notfall, immer, wenn die Protagonisten ihn drücken, hört man das Wörtchen »Neustart«, bevor es im Palaver-Ton weitergeht. Das wirkt schnell abgegriffen. Dennoch verwischt diese Dauer-Einlage keineswegs den Inhalt. Die erschöpften Freunde bleiben noch recht lange in Erinnerung.