Scary Movie

Die Tage selbstreflexiver Horror-Komödien sind hoffentlich endlich vorbei. Danny Boyles Zombie-Film »28 Days Later« ist vor allem eins: gruselig

Vielleicht könnte man sogar von einem Akt der Selbstbefreiung sprechen. Lange genug hatte es so ausgesehen, als ob das »Scream«-Modell und seine schlechten Kopien, Ableger und Parasiten das Horror-Genre einigermaßen im Griff hätten. Seit dem Erfolg von Wes Cravens erstem Teil der Trilogie 1996 wuchsen Selbstbezug und -persiflage zusehends zum Motor der einzelnen Filmerzählungen und schließlich des gesamten Genres. Bitte bringen Sie mich nicht um, ich möchte in der Fortsetzung dabei sein: Das Spiel mit den eigenen Regeln sicherte zudem die Zielgruppenerweiterung in Richtung Comedy – zumindest so lange, bis sich der Spaßtyrann der Selbstreflexivität mit Filmen wie »Scary Movie 2« selbst enthauptet hatte.
Nun jedoch scheint es, als setze sich tatsächlich jener bereits vom »Blair Witch Project« 1999 angezeigte Wechsel durch, der so genannten klugen Horror nicht länger mit Selbstironie und smarten Querverweisen kurzschließt. Das US-Remake von »The Ring« und Claire Denis’ Vampir-Drama »Trouble Every Day« sind zwei aktuellere Beispiele dieser Entwicklung des Horrorfilms, der nun auch die Zombies wieder für sich entdeckt. Das war auch dringend nötig, nachdem sich jüngst »Resident Evil« nur jenen Fingerbreit für die Zombie-Geschichte interessierte, den es braucht, um den Abzug des Ego-Shooter-Videospiels zu betätigen.

Ein Albtraum von Realismus

In Danny Boyles »28 Days Later« hingegen geht es primär um das Zombie-Motiv. Nach einem rabiaten Prolog, in dem Tierschützer aus einem Labor von Viren befallene Schimpansen befreien, springen wir 28 Tage in die Zukunft. In einem ausgestorbenen Londoner Krankenhaus erwacht der Fahrradkurier Jim (Cillian Murphy) aus dem Koma. Er kommt gleichsam noch einmal zur Welt, und noch bevor wir die ersten Zombies zu sehen bekommen, die die letzten Überlebenden der Epidemie fressen/infizieren, präsentiert »28 Days Later« seine erste visuelle Sensation.
Jim stolpert durch die leeren Straßen Londons, lässt die verwaiste Westminster Bridge hinter sich und landet am Piccadilly Circus, der in den Totalen der digitalen Kamera wohl niemals zuvor in der Filmgeschichte eine derartige Einsamkeit verbreitet hat. In diesem Albtraum von Realismus machen die Zombies nun Jagd auf Jim. Schneller als in der Zombie-Trilogie von George A. Romero kommen sie voran, aber nicht ohne das symptomatisch steife Schlurfen, das die Untoten von den Lebenden trennt. Jim hat allein keine Chance; er bekommt sie erst durch die junge Afro-Engländerin Selina (Naomie Harris), die die Protagonisten-Politik George A. Romeros fortsetzt. Aus dem »schwarzen« Helden, der einer »weißen« Zombie-Übermacht in Romeros »Die Nacht der lebenden Toten« (1968) gegenübersteht wird hier eine junge Frau, die sich unter Monstern und Männern als die versierteste Kämpferin und als doppelt bedroht erweist.
Romero bleibt ein Bezugspunkt: Die Flucht vier Überlebender aus einer von Untoten regierten Großstadt – in »28 Days Later« lassen Jim und Selina zusammen mit dem Witwer Frank (Brendan Gleeson) und dessen Tochter Hannah (Megan Burns) London hinter sich – stammt aus »Dawn of the Dead« (1980). Ihr neuer Zufluchtsort – ein in einem Herrenhaus verschanzter Militär-Restposten – erinnert an das Setting von »Day of the Dead« (1985). Und wie bei Romero entspringt auch hier das größte Grauen den Rudimenten der westlichen, spätkapitalistischen Zivilisation und nicht allein den wilden Toten. So kommt die blutigste Szene in Danny Boyles Zombie-Film dann auch komplett ohne Zombies aus: Sie ist vielmehr die Folge des Kampfes zwischen Jim und Resten des britischen Militärs, die sich auch diesmal als das größere Übel entpuppen.

Ein zutiefst englischer Zombie-Film

Dennoch ist es das vielleicht größte Verdienst dieses Films, sich nicht allein auf eine kluge Ausbeutung der Vorbilder zu konzentrieren. In zwei Schritten tritt »28 Days Later« aus der Zombie-Filmgeschichte heraus: zum einen mit der Entscheidung zur Videoästhetik, die nicht nur mobil düsterer Action ohne künstliches Licht zu folgen vermag, sondern auch die Rezeption des Subgenres wachruft. Gerade weil die mit der Zensur ringenden Zombie-Filme seit den 70er Jahren ihr Publikum größtenteils lediglich als Videokopien erreichten, wird »28 Days Later« zur Fortsetzung und Reflexion gleichermaßen.
Zum anderen gelingt es hier, einen zwar mit US-Geldern finanzierten, aber doch zutiefst englischen Zombie-Film zu entwerfen. Dafür ist das entmenschte London ebenso wichtig wie jene Momente, in denen nach der Flucht aus der Metropole grüne Auen und frei laufende Pferde jenes »green and pleasant land« bebildern, als das England in William Blakes berühmtem Kirchenlied »Jerusalem« besungen wird. »And was Jerusalem builded here among these dark satanic Mills?« Die Antwort bleibt offen: »28 Days Later« hat einen Weg gefunden zwischen diesem (religiösen) Prinzip Hoffnung und dem harten Materialismus der Romero-Schule.
Jan Distelmeyer
28 Days Later (dto) GB/USA, R: Danny Boyle,
D: Cillian Murphy, Noah Huntley, Naomie Harris, 112 Min. Start: 5.6.