Der Junge und das Glück

Es herrscht Krieg. Dennoch begibt sich in Martin Kordics »Wie ich mir das Glück vorstelle« ein Junge allein auf eine große Reise. Im Gepäck hat er nur wenige ärm­liche Dinge. Die Erinnerungen und Erfahrungen aber, die er mit sich herumträgt, reichen für mehr als ein Leben aus.

 

Der Roman, für dessen Entwurf Kordic 2010 das Kölner Brinkmann-Stipendium erhielt, spielt vor dem Hintergrund des Balkankonflikts. Kordics junger Held ist von Geburt an versehrt. Nur in ein Korsett gezwängt kann er aufrecht durchs Leben gehen. Eine Anspielung auf den Nationalstaat Jugo­slawien, der nach der Diktatur Titos eigentlich kaum zusammenzuhalten war. Neben dem körperlichen Defekt nimmt der Junge die Welt auf eine ganz eigene Weise wahr, scheint nicht ganz richtig im Kopf zu sein. Als Leser studieren wir seine Aufzeichnungen. Simpler Satzbau und einfache Wortwahl machen den Stil aus. Zudem schreibt »der Junge«, wie er sich selbst nennt, nur im Präsens — auch wenn er von der Vergangenheit erzählt.

 

Was zu Beginn der Lektüre sperrig wirkt, entfaltet im Laufe des Romans eine ganz eigene Dynamik, lässt den Jungen und seine Welt sehr plastisch erscheinen. Ohne dass man es merkt, hat man ihn dann schon in sein Herz geschlossen und begleitet ihn bei der Trennung von seiner Familie, seinem Aufenthalt bei Gebetsschwestern und letztlich seiner Reise. Kordic erzählt das nicht chronologisch, sondern in kurzen Kapiteln, die geschickt ineinander verschraubt sind. Die Handlungsstränge wechseln sich ab und ergeben so erst nach und nach das Bild eines sonder­baren Menschen in einer verrückten und vom Krieg ausgebluteten Welt.

 

Bei all dem Schrecken und Elend, das die Geschichte beinhaltet, erhält das Geschehen durch die Erzählperspektive eine fast nüchterne und kindlich naive Anmutung. Dieser Kunstgriff Kordics ist eine fruchtbare Herangehensweise, sich einem so großen Thema anzunähern. Auch ohne viel Blutvergießen sind die Ereignisse schrecklich und verstörend. Der Junge aber formuliert in seinen Notizen alles unpathetisch und sachlich. Durch diesen Kon­trast macht sich der Leser seinen eigenen Reim auf die Schilderungen, wodurch die Ereignisse umso intensiver gegenwärtig werden. Ein unaufgeregtes und weltkluges Buch. Martin Kordic hat ein Debüt vorgelegt, das aufhorchen lässt und nachhallt.