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Spinner, Spanner und Spione – Ausgezeichnete Überwacher

Sich gegen Überwachung durch den Staat oder Unternehmen zu wehren, ist schwierig. Die Initiatoren des »Big Brother Awards« versuchen es mit Humor

Aktionen, die auf die überhandnehmende Überwachung aufmerksam machen, gibt es durchaus. Manche drehen den Spieß einfach um. Ein Beispiel ist die Spionage­attacke der Schweizer Journalisten Dominik Gross und Jan Jirát. Für die Wochenzeitung WOZ überwachten sie Markus Seiler, den Schweizer Geheimdienstchef. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie unter dem Titel »Der überwachte Überwacher«. Ein weiteres Beispiel sind die Big Brother Awards, die seit dem Jahr 2000 jährlich vom Verein Digital­courage für das besonders dreiste Über­wachen oder Sammeln von Daten verliehen werden. Bereits 1998 wurden die Awards unter dem Namen ­Winston Awards, benannt nach der Hauptfigur aus Orwells »1984«, in England vergeben. Schon ein Jahr später gab es weitere Preisverleihungen in Österreich und den USA. Die Bielefelder Künstler und Netzaktivisten Rena Tangens und Padeluun initiierten die Verleihung ­für Deutschland. Inzwischen hat die Idee in mehr als ein Dutzend Staaten Nachahmer gefunden, zum Beispiel in Australien, Tschechien und Südkorea.

 

Der erste deutsche Preisträger in der Kategorie ­»Business & Finanzen« war 2000 die »Loyalty Partner Gesellschaft für Kundenbindungssysteme«. Mit der von ihnen eingeführten Payback-Karte werden in einem ­Ausmaß Daten gesammelt, wie sie für ein reines Rabatt-System keinesfalls notwendig sind: Neben persönlichen Daten wie Geburtsdatum, E-Mail-Adresse und Telefonnummern werden nämlich auch alle Daten über die mit Payback-Karte getätigten Einkäufe gesammelt — und auf unbestimmte Zeit gespeichert.

 

Besonderes Aufsehen erregte 2004 die Vergabe des Awards an die Lidl Stiftung GmbH & Co. Die Mitarbeiter der Discounter-Kette wurden systematisch von Kameras überwacht. Außerdem verbat man ihnen Toilettengänge während der Arbeitszeit, und bei Krankmeldung bekamen die Lidl-Angestellten auch schon mal zu Hause Besuch. Die öffentlichkeitswirksame Verleihung des Big Brother Awards zwang die Lidl-Stiftung dann, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Mit Hilfe einer PR-Agentur bemühte sich Lidl, den Imageschaden zu begrenzen. Sechs Jahre später entschuldigte sich der Konzern bei seinen Mitarbeitern und Kunden. Gewerkschaften sind bei Lidl nach wie vor unerwünscht.  

 

Die jüngsten Big Brother Awards gingen an die ­Apple Retail Germany GmbH für die Videoüberwachung ihrer Mitarbeiter in allen Geschäftsräumen. Auch die ­Bundespolizei erhielt für das sogenannte »Ethnic Profiling«, das Kontrollieren von Menschen aufgrund ihres Aussehens ohne weiteren Verdachtsmoment, eine Auszeichnung. In der Vergangenheit wurde auch schon das eine oder andere »Lebenswerk« gekürt. Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) bekam 2005 den ­Big-Brother-Lifetime-Award, unter anderem für seine »Verdienste um den Ausbau des deutschen und euro­päischen Überwachungssystems auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte«. Als haupt­­sächlicher Grund für die Verleihung an Schily wurde »die übereilte Einführung des biometrischen ePasses mit unausgereifter Techno­logie und ohne parlamentarische Legitimation« angeführt, ein Jahr später wurde bekannt, dass Schily ein ­Aufsichtsratsmandat im Unternehmen Safe ID Solutions AG bekleidet, die Sicherheitstechnik für den von Schily eingeführten ePass herstellte. 2011 meldete das Unternehmen Insolvenz an.

 

Verstöße gegen den Datenschutz kann jeder, auch anonym, bei der Jury anzeigen, die dann aufgrund der Hinweise weiter recherchiert werden.

 

Die Entscheidung dürfte der Jury dieses Jahr nach den zahlreichen Enthüllungen 2013 nicht leicht fallen. Natürlich hätte die NSA den Negativ-Award verdient — aber da über diesen monströsen Überwachungsskandal schon umfassende Berichterstattung folgte, wird es ­spannender sein, welche bisher unbekannten Übergriffe und Spionagefälle bekannt gemacht werden.  


Die nächsten Big Brother Awards werden am 11.4. in Bielefeld vergeben.
Infos: bigbrotherawards.de