»Frauen sind zwar mittlerweile genauso in der Welt des Internet angekommen wie Männer, sind aber als Produzentinnen eher im Web-Design aktiv« | Foto: Manfred Wegener

Codes und Cupcakes

Noch sind weibliche Programmierer in der IT-Welt eine Minderheit. Die Rails Girls wollen das ändern und Frauen die Scheu vor Syntax und Stylesheets nehmen. Ein Selbstversuch mit Laptop

Ein kalter Winterabend in Kalk. Im Café Fatsch an der Josephskirche wird emsig nach der letzten freien Steckdose gesucht. Tische werden verrückt, Jutebeutel beiseite geräumt – und siehe da, im hintersten Winkel des wohnzimmergroßen Ladenlokals stößt eine aufmerksame Besucherin doch noch auf die erhoffte Stromquelle. Wäre jetzt auch ziemlich blöd gewesen, wenn nicht, schließlich müssen hier gleich über ein Dutzend Notebooks mit Strom versorgt werden, wenn über Variable, Arrays und Datenbanken gefachsimpelt wird.  

 

Einen Laptop mitzubringen war die einzige Voraussetzung, damit ich am monatlich stattfindenden Kölner Rails Girls-Treffen teilnehmen kann. Seit Ende 2010 gibt es solche Zusammenkünfte schon, in denen Frauen in lockerer Atmosphäre das Programmieren lernen. Begonnen hat alles in Helsinki, wo vor drei Jahren der erste große Workshop stattfand. Seitdem verbreiteten sich die Rails Girls in Windeseile um den ganzen Globus. Egal ob Tel Aviv, Brüssel oder Warschau, fast in allen Großstädten sind die Rails Girls mittlerweile vertreten. Der Eintritt zu den Veranstaltungen ist kostenlos, jede kann mitmachen. Die Rails Girls verstehen sich als global agierende Non-Profit-Initiative mit DIY-Philosophie. Aus diesem Grund kann auch jede mit ein wenig Organisationstalent, technischem Know-How und passender Location solch ein Treffen veranstalten. Eine Anleitung mit den dazugehörigen Richtlinien findet man im Netz, frei verfügbar auf der Webpräsenz der Rails Girls.

 

Von den Veranstaltern bis hin zu den Coaches arbeiten alle ehrenamtlich für die Sache. So wie die Organisatorinnen der Kölner Treffen. Die 34-jährige Tatjana Lajendäcker und die ein Jahr jüngere Liane Thönnes würden sich beide sofort als Tech-Geeks bezeichnen, sind aber trotz ihrer Berufe bei einer Kölner Webagentur bislang nur wenig mit der Programmier-Welt in Berührung gekommen. »Frauen sind zwar mittlerweile genauso in der Welt des Internet angekommen wie Männer, sind aber als Produzentinnen eher im Web-Design aktiv«, erklärt Lajendäcker. Der gesamte Bereich der Webentwicklung sei hingegen immer noch eine Männerdomäne. ­Lajendäcker und Thönnes wollen das ändern. Auch, um in der Mittagspause endlich mit ihren nerdigen Programmierkollegen mitreden zu können.

 

Seit über einem Jahr veranstalten die beiden jetzt schon die Rails Girls-Events in Köln. Den Auftakt machte ein Programmierwochenende in Deutz. Vorkenntnisse waren bei dem Workshop ausdrücklich nicht erwünscht. Auf die 60 ausgeschriebenen freien Plätze bewarben sich mehr als doppelt so viele Frauen aus dem Rheinland und darüber hinaus. Eine Teilnehmerin reiste sogar aus Irland an. Überwältigt von dem durchweg positiven Feedback beschloss man kurzerhand, das Event monatlich in kleinerem Rahmen fortzuführen. »Es wäre schade gewesen, die Veranstaltung als einmaliges Projekt im Sande verlaufen zu lassen«, so Lajendäcker. »Also haben wir einfach weitergemacht, auch um ehemaligen Teilnehmerinnen die Möglichkeit zu geben, ihr Wissen zu vertiefen oder an eigenen Projekten weiterzuarbeiten.«

 

Mehr als 20 mit Laptops bewaffnete Interessierte haben sich heute im Café Fatsch eingefunden. Und es stellt sich heraus: Die Rails Girls sind keine reine Frauenveranstaltung. Der Anteil weiblicher Teilnehmer überwiegt zwar, doch es gibt auch einige, vornehmlich Kapuzenpulli tragende Männer. Im Laufe des Abends entpuppen sie sich – auch das noch – fast alle als Coaches, die Anfängern wie mir bei Problemen und Fragen zur Seite stehen. Zum Beispiel Marco, einer der erwähnten nerdigen Programmierkollegen der Veranstalterinnen. Marco ist Anfang 30 und Software-Entwickler. Er bedient heute Abend im Café Fatsch den Beamer.

 

Also gut, dann eben mit Männern — hauptsache, ich lerne heute etwas übers Programmieren. Bevor es mit der obligatorischen Eröffnungspräsentation losgeht, will Marco wissen, auf welchem Kenntnisstand wir sind. Ich rutsche nervös auf meinem Stuhl herum, doch sämtliche Ängste sind unbegründet. Fast alle sind auf demselben Anfänger-Niveau, haben also noch nie in ihrem Leben programmiert und verfügen wie ich maximal über rudimentäre HTML-Kenntnisse.

 

Entspannt lauschen wir dem Vortrag, der in groben Zügen einen Überblick vermittelt, was Ruby – die Programmiersprache, in die wir heute eingeführt werden – eigentlich ist, und was sie so besonders macht. Mitte der 90er Jahre in Japan erfunden, eroberte Ruby die Programmiererherzen im Sturm. Nicht, weil man damit zwangsläufig bessere Programme schreiben kann, sondern weil die Skriptsprache einfach zu lernen ist und sich durch eine elegante Syntax auszeichnet. Noch simpler wird das Ganze durch das Programmiergerüst Ruby on Rails, dem die Rails Girls auch ihren Namen verdanken. Anders als Ruby erledigt Rails viele Dinge automatisch anhand vorgefertigter Bausteine.

 

Was man damit genau macht? Jegliche denkbare Art von Webanwendungen erstellen. Denise Schynol, die beim ersten Workshop Feuer gefangen hat und seitdem am Ball geblieben ist, bastelt momentan an ihrer ersten App, einem veganen Guide für Köln. Eine andere möchte mehr Einfluss auf die Gestaltung ihrer Homepage nehmen. Doch dafür müssen wir erstmal die erforderliche Software und die benötigten Tools auf unseren Notebooks installieren. Bei 20 Teilnehmern dauert das eine Weile, aber zum Glück lässt sich die freie Zeit im Café Fatsch bestens mit den leckeren Cupcakes überbrücken.

 

Danach fühle ich mich für meine ersten Gehversuche mit Ruby gerüstet und klappe meinen Laptop erwartungsfroh wieder auf. Doch wie öffnet man nochmal das Terminalfenster? Und wo genau versteckt sich die Kommandozeile? Einer der zahlreichen Coaches eilt sofort herbei und gibt Hilfestellung. Nach wenigen Schritten poppt der erhoffte schwarze kleine Kasten auf, in dem ein weißer Balken freudig blinkt und auf meine Befehle wartet. Wie so häufig bei Anfängern gestaltet sich die Praxis deutlich schwieriger als die Theorie, aber genau dafür sind die regelmäßig stattfindenden Meet-Ups ja auch gedacht.

 

»Es geht nicht, nach nur einer Sitzung zum IT-Spezialisten zu werden. Vielmehr wollen wir die Leute spielerisch ans praktische Programmieren heranführen. Und mit Ruby lassen sich eben schnell Lernerfolge erzielen, die Mut machen sollen, weiterzumachen« erklärt ­Lajendäcker. »Wir wollen den Leuten die Scheu vor dem Programmieren nehmen und Berührungsängste abbauen. Außerdem macht Ruby Spaß«, fügt Thönnes hinzu.  

 

Die Zeiten, in denen weltfremde Computernerds stundenlang einsam im Keller an ihren Rechnern rumschrauben, scheinen jedenfalls endgültig vorbei zu sein. Findet auch Schynol, die den spielerischen Zugang der Rails Girls zu vermeintlichen Jungs-Geek-Themen schätzt und an diesem Tag wieder ein kleines bisschen mit ihrer Vegan-App vorangekommen ist. »Ohne die Rails Girls wäre das sicher nicht möglich gewesen. In der Gruppe ist es eben einfacher.«    

 


Die monatlichen Treffen finden an wechselnden Orten statt, die vorab über FB und Twitter bekannt gegeben werden:
facebook.com/RailsGirlsCologne
twitter.com/railsgirls_cgn