Interview zum CSD

Der CSD Köln hat einen neuen Namen – Cologne Pride. Vom 4. bis 6. Juli wird in der Kölner Altstadt gefeiert, die Veranstalter erwarten eine Million BesucherInnen. Das diesjährige Motto heißt: »Liebe deine Nächsten – Antidiskriminierungsgesetz jetzt!«. Yvonne Greiner hat mit Gerhard Grühn über die Hintergründe eines Antidiskriminierungsgesetzes gesprochen.

StadtRevue: Warum wird ein Gesetz, das sowieso kommen wird, ins Zentrum des diesjährigen CSD gestellt?

Gerhard Grühn: Die EU-Richtlinien stellen nur Mindestnormen dar. Wir wollen darüber hinausgehen und alle Beweggründe für Diskriminierung, die gesellschaftlich relevant sind, einbeziehen. Nur so macht das Sinn. Vorurteile und Diskriminierung entstehen aus einer Grundhaltung. Wer Juden ablehnt, wird auch Schwule und Migranten ablehnen. Wer hingegen tolerant ist, der setzt sich mit Vielfalt auseinander. Einer einzelnen Minderheit ist nicht geholfen, wenn die anderen ausgeschlossen sind. Damit würde auch eine Rangfolge der Minderheiten etabliert – das wollen wir nicht. Deshalb fordern wir – und das ist auch neu für den CSD –, dass nicht nur einzelne Bestimmungen geändert werden, sondern ein umfassendes zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz für alle von Diskriminierung betroffenen Bevölkerungsgruppen.

Wo geht der Entwurf der lesbian and gay liberation front über die EU-Richtlinien hinaus?

Die sogenannte EU-Rassenrichtlinie gilt nur für »Rasse« und ethnische Herkunft, aber für verschiedene Diskriminierungsbereiche. Die Rahmenrichtlinie für Beschäftigung und Beruf gilt zwar für die Beweggründe Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung aber eben nur für den Bereich Beschäftigung und Beruf. Wir fordern ein Antidiskriminierungsgesetz für alle betroffenen Bevölkerungsgruppen, also auch für die Diskriminierung aufgrund von Sprache, Hautfarbe, Nationalität, sozialer Herkunft oder Stellung. Und das fordern wir für alle Bereiche wie z.B. Waren und Dienstleistungen, Soziale Sicherheit, Gesundheitsversorgung und Bildung. Dazu kommen spezielle Bereiche, in denen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender diskriminiert werden, wie z.B. gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, Strafvollzug, Datenschutz sowie Einwanderung und Asyl.

Im offiziellen Programm des CSD finden sich jedoch keine politischen Veranstaltungen zu dem Thema.

Wir werden anderthalb Stunden Programm auf der Hauptbühne während des CSD gestalten und die bundesweite Unterschriftenliste, die seit Anfang April läuft, an einen Vertreter der Bundesregierung übergeben. Aber: Diskriminierung ist ein hässliches Thema, da finden sich nicht spontan 1.000 Leute, die sich stark machen und Veranstaltungen planen. Es ist prinzipiell schwierig, bei der Planung eines CSD die richtige Balance zu finden – einigen ist der CSD nie politisch genug, andere wollen nur feiern. Doch auch die Kids, die extensiv feiern, stehen für einen politischen Prozess, denn sie haben die Opferrolle verlassen und treten selbstbewusst und offen auf. Dafür haben wir 30 Jahre gekämpft. Also kann ich mich jetzt nicht beschweren, wenn sie es tun und feiern wollen. Der CSD ist in Köln ja nur so groß geworden, weil wir 1991 die rein politische Ausrichtung verlassen haben. Wir haben immer CSDs veranstaltet, aber damals waren es politische Demos mit 350 Leuten. 1991 haben wir die neue Form entwickelt und damit eine Größenordnung und Öffentlichkeitswirksamkeit erreicht, die für mich rechtfertigt, dass der politische Aspekte bisweilen etwas in den Hintergrund tritt. Stattdessen haben wir eine Durchschlagskraft erreicht, von der wir vor zehn Jahren nur hätten träumen können.

Wie groß ist die Akzeptanz für das Thema in der schwul-lesbischen Szene?

Das Interesse ist groß, es gibt inzwischen zahlreiche Organisationen, die unseren Forderungskatalog vertreten. Aber dass das Thema nun alle Lesben und Schwule aus den Schuhen reißt, das kann man wirklich nicht sagen.

Warum nicht?

Vielen Menschen ist das Ausmaß an Diskriminierung nicht bewusst. Vielleicht muss man es auch verdrängen, um seines Lebens noch froh zu werden. Viele fragen sich auch, was ein Gesetz bringt. Natürlich verschwinden durch ein solches Gesetz nicht von heute auf morgen Diskriminierung und Vorurteile. Aber die Diskussion darüber, und dass Diskriminierte damit zum ersten Mal die Möglichkeit hätten, sich juristisch dagegen zu wehren, ist wichtig. Wichtig ist auch, dass den Bürgerinnen und Bürgern mal klar gesagt wird, wo und wie sie diskriminieren – und dass das verboten ist.

Ist das Antidiskriminierungsgesetz also in erster Linie ein Instrument zur Bewusstseinsbildung?

Auch, aber nicht nur. Als 1969/1971 der Schwulenparagraph liberalisiert wurde, hatte das auch nicht sofort Auswirkung auf die Diskriminierung von Lesben und Schwulen. Aber es hat die Möglichkeit geschaffen, dass eine Lesben- und Schwulenbewegung entstand, die ihre Rechte einfordern und durchsetzen konnte. So sehe ich das mit dem Antidiskriminierungsgesetz auch.

Auf der Homepage zum Cologne Pride wird das Motto »Liebe deine Nächsten – Antidiskriminierungsgesetz jetzt« als »bewusst auch leicht provozierend« eingestuft. Was ist daran provokant? Wen soll das provozieren?

Das weiß ich auch nicht.

Anders gefragt: Warum die Nähe zum christlichen Gebot?

Weil es eigentlich selbstverständlich sein sollte. Und der Plural steht drin, weil die Frauen auch geliebt werden möchten.

Und der kirchliche Anklang hat keinen Hintergrund?

Wenn man das reinlesen will, gerne! Aber ursprünglich war es der Versuch, dieses hässliche Thema in einer einigermaßen erträglichen Form zu präsentieren. Also nicht nur zu sagen, was alles nicht sein soll und verboten werden muss, sondern es positiv zu wenden. Ein Antidiskriminierungsgesetz heißt ja nicht, dass ich in Zukunft niemanden mehr kritisieren darf und zu allen nett sein muss.

Aber dazu fordert das Motto doch auf?

Im Grunde handelt es sich um die plakative Aussage eines ganz allgemeinen ethischen Prinzips, ähnlich wie Kant das schon gesagt hat: Behandle andere so wie du selbst behandelt werden möchtest. Das soll damit zum Ausdruck gebracht werden.

Euer Forderungskatalog liest sich ähnlich wie der der Kampagne »Köln für ein Antidiskrimierungsgesetz – jetzt«. Tut Ihr Euch zusammen, wenn der CSD vorbei ist?

Wir haben bereits eine erfreuliche Zusammenarbeit, die immer enger wird.

Gibt es Reaktionen von den Bundesparteien?

Die CDU hält ein Antidiskriminierungsgesetz für überflüssig, die FDP ist zwar für die Antidiskriminierung, aber nicht für ein derartiges Gesetz, die SPD ist zögerlich. Die Grünen sind die einzige Partei, die damit jetzt Ernst macht. Es gab Ende Mai eine öffentliche Fachanhörung zum Thema. Dort wurde mitgeteilt, dass die Grünen bis zum 17. Juli einen neuen Gesetzentwurf vorlegen wollen.

Gibt es Kontakt zu den örtlichen Parteigliederungen?

Im Arbeitskreis Antidiskriminierung sind neben allen wichtigen Schwulen- und Lesbenorganisationen alle Parteien vertreten. Die lokalen Parteienvertreter befürworten das Gesetz, das heißt aber noch nicht, dass die Bundesgliederungen das unterstützen. Wir konnten z.B. die CDU in unseren Aufrufen nicht nennen, weil der Bundesverband der Lesben und Schwulen in der Union ein Antidiskriminierungsgesetz, wie wir es fordern, nicht gutheißt.

Wer sind die Hauptgegner eines Antidiskriminierungsgesetzes?

Die Hauptgegner sind einerseits die Amtskirchen, die um ihre Privilegien im Rahmen ihrer Religionsfreiheit fürchten. Die katholische Kirche z.B. möchte nach wie vor alle Leute, die ihr nicht passen, entlassen können. Die Deutsche Bischofskonferenz hat gerade beschlossen, dass alle Beschäftigten, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, entlassen werden. Der zweite Hauptgegner sind die Spitzenverbände der Wirtschaft, die argumentieren, die Vertragsfreiheit würde auf unzumutbare Weise eingeschränkt. Auch die Gay Manager warnen, so wörtlich, »vor Eingriffen in die Privatautonomie«. Die Gegner übersehen jedoch gerne, dass in unserem Vorschlag für ein Gesetz eine Öffnungsklausel enthalten ist. In ausdrücklich begründeten Ausnahmefällen wird dadurch eine Diskriminierung zugelassen. Ein Beispiel: Natürlich kann keiner von der katholischen Kirche verlangen, jemanden als Priester einzustellen, der Atheist ist. Aber jemand, der die Kirche putzt, muss nicht dem katholischen Glauben angehören. Insgesamt vermitteln die Stellungnahmen der Wirtschaftsverbände den Eindruck, dass die Abschaffung von Diskriminierung das Ende der freien Marktwirtschaft sei.

Dabei ist die EU doch zu ganz anderen Schlüssen gekommen...

Die EU hat in den 90er Jahren erkannt, dass Vorurteile und Diskriminierung in den Mitglieds- und Beitrittsländern tief verwurzelt und weit verbreitet sind. Die EU hat auch erkannt, dass man so keine Völkerverständigung zustande bringt, dass Diskriminierung Sand im Getriebe des gemeinsamen Marktes ist und die Wirtschaft viele Milliarden Euro kostet. Das haben auch in Deutschland – trotz des Widerstandes der Wirtschaft – einige große Unternehmen eingesehen, die gute Antidiskriminierungsarbeit leisten. Die Ford-Werke beispielsweise haben eine Betriebsvereinbarung beschlossen, die unmissverständlich klarstellt, dass die Beschäftigten sich nicht diskriminieren dürfen. Die Deutsche Bank und die Deutsche Bahn unternehmen ähnliche Anstrengungen.

Wie geht es weiter nach dem CSD?

Wir werden das Gesetzgebungsverfahren begleiten und versuchen, Einfluss zu nehmen. Außerdem planen wir für Ende des Jahres einen bundesweiten Betroffenenkongress in Köln. Doch schon im Rahmen des CSD werden wir versuchen, alle Betroffenen-Organisationen an einem Tisch zu versammeln und dort eine Resolution verabschieden mit der Aussage, dass alle Minderheiten dieses Gesetz gemeinsam fordern.

Zur Person:
Gerhard Grühn (54) ist seit über 30 Jahren in der Kölner Lesben- und Schwulenbewegung aktiv. Er ist Koordinator des Arbeitskreises Antidiskriminierung der lesbian and gay liberation front (lglf), der sich Anfang des Jahres gegründet hat. Gerhard Grühn ist Mit-Initiator des diesjährigen CSD-Mottos: »Liebe deine Nächsten – Antidiskriminierungsgesetz jetzt!«.

Antidiskriminierungsgesetz
1997 hat die EU im Amsterdamer Vertrag den Grundsatz der Antidiskriminierung verankert. Um diesen Grundsatz umzusetzen, hat die EU-Kommission erstens die Geschlechterrichtlinie überarbeitet, zweitens die so genannte Rassenrichtlinie und drittens die Rahmenrichtlinie für Beschäftigung und Beruf erlassen. In dieser sind einzelne Diskriminierungsgründe wie z.B. Alter, Behinderung oder sexuelle Identität genannt. Die EU verlangt von den Mitglieds- bzw. Beitrittsländern die Umsetzung der Richtlinien in nationale Gesetzgebung noch in diesem Jahr. Der Arbeitskreis Antidiskriminierung der lglf fordert dagegen ein umfassenderes Gesetz, das deutlich über die Richtlinien hinausgeht.

CSD-Bühnenprogramm
des Arbeitskreises Antidiskriminierung der lglf e.V.
Samstag, 5.7.03, 15.30 bis 16 Uhr: Moderation Georg Roth
Sonntag, 6.7.03 von 16 bis 17 Uhr:
Moderation: Bernd Plöger und Jörg Teschke
Vorläufige Programmplanung in Abstimmung mit dem Kölner Lesben- und Schwulentag:
Zum Thema Antidiskriminierung werden die Ford-Werke und die Deutsche Bahn ihr Diversity Management vorstellen und die International Lesbian and Gay Association ihre europaweite Kampagne zur Umsetzung der EU-Richtlinien zur Antidiskriminierung.
Aus künstlerischer Sicht werden sich Claus Vincon und Stephan Runge dem Thema Antidiskriminierung annehmen, Jean Cristoph wird singen, Lola Lametta mit großem Orchester auftreten und die Roma- und Sinti-Musikgruppe Romano Trayo auftreten.
Am Sonntag werden gegen 17 Uhr die Unterschriften der bundesweiten Unterschriftenaktion zum Antidiskriminierungsgesetz an BundespolitikerInnen übergeben.

Außerdem in der aktuellen StadtRevue:

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Der CSD zwischen Politik und Party. Von Brigitte Maser