Dies ist kein Text

Propaganda für die Wirklichkeit: Die Leverkusener Ausstellung

beleuchtet das Verhältnis von Kunst und sichtbarer Welt

Es ist eines der einflussreichsten Bilder des 20. Jahrhunderts, eine Ikone, endlos zitiert und kopiert: die realistisch gemalte braune Pfeife, bei deren Anblick man fast imaginären Tabakduft zu erschnüffeln vermeint, darunter in akkurater Schreibschrift jener Satz, der uns den Boden der Gewissheit wegzieht: »Ceci n’est pas une pipe« (Dies ist keine Pfeife). Eine Pfeife ist eine Pfeife, die Darstellung einer Pfeife ist keine Pfeife, ein Bild ist ein Bild ist ein — ein ganz schön vertracktes Ding. Damals, vor gut achtzig Jahren, und heute erst recht.
René Magrittes 1929 entstandenes Gemälde trägt den Titel »La trahison des images« (Der Verrat der Bilder). Beeinflusst von Wittgensteins und de Saussures Sprachtheorien, galt Magrittes Interesse dem Verhältnis von Worten und Bildern zur sichtbaren Welt. In der Ausstellung »Propaganda für die Wirklichkeit« im Leverkusener Museum Morsbroich ist die »Pfeife« nicht zu finden, aber auch 2014 kommt die künstlerische Befragung der Realität nicht ohne Rückgriff auf den folgenschweren »Verrat« aus. Wie lässt sich Wirklichkeit ins Bild fassen, kommunizieren? In welcher Relation stehen Realität, Abbild und Wahrnehmung? In der Ausstellung verhandeln Magrittes Enkel und Urenkel diese Fragen, ausgestattet mit der Erfahrung und dem technischen und intellektuellen Rüstzeug virtueller Welten und digitaler Bildproduktion.

 

Fünfzig klug ausgewählte Arbeiten von 24 Künstlern von den 60er Jahren bis heute hat Kuratorin Stefanie Kreutzer versammelt. In verschiedenen Medien — Gemälde und Skulptur, Computerbild, Fotografie, 16mm-Film, Video, Diaprojektion, Spiegelbild, Sprachbild, Röntgenbild — untersuchen sie die Abbildungsrelation, was so erkenntnisträchtig wie verunsichernd gerät und zuweilen wunderbar poetisch wie bei Hiroshi Sugimoto. Der Japaner platziert seine analoge Kamera in historischen Kinosälen und fotografiert mit extremer Langzeitbelichtung einen kompletten Film ab. Auf dem Schwarz-weiß-Abzug befindet sich demnach die gesamte Information des Films, entzieht sich aber gänzlich: Das »überbelichtete« Rechteck der Leinwand erscheint als weiße Fläche, ein leuchtendes, energetisch aufgeladenes Feld.

 

Es wird sichtbar gemacht, getäuscht, verführt, manipuliert, nicht zuletzt Dank digitaler Technik. Thomas Ruffs großformatiges »Fotogramm« — die direkteste, sinnlichste Lichtzeichnung auf Fotopapier — sieht zwar aus wie ein solches, der Vorgang wurde aber vollständig am Computer simuliert. Mit 3D-Programmen konstruiert sind die Bilder des Düsseldorfer Duos Cieslik und Schenk, dem im oberen Stockwerk ein ganzer Raum gewidmet ist. Architekturen und Objekte, Reflexe, Schatten, nichts existiert »wirklich«. Wohl aber der QR-Code auf der Abbildung eines Holztellers, er ist »real«, fungiert als Schlüssel zu einer Fantasy-Welt. Der Amerikaner Paul Pfeiffer durchkreuzt mit »Morning after the Deluge« gewohnte Sichtweisen: Er blendet einen in Echtzeit gefilmten Sonnenaufgang und Sonnenuntergang übereinander, so dass nun die Sonne mittig als Fixpunkt erscheint und die Horizontlinie wandert. Was den physikalischen Tatsachen näher kommt als unsere »natürliche« Wahrnehmung — die rote Sonne versinkt auch bei Capri nicht im Meer, wir befinden uns auf einer rotierenden Kugel.

 

Es geht aber auch einfacher, kleiner und analog. Alicja Kwade richtet zwei Schreibtischlampen auf dem Boden so gegeneinander, als würden sie sich anschauen, dazwischen ein Spiegel. Beim Umrunden fügen sich für den Betrachter Spiegelbild und reales Objekt zu immer neuen Ansichten. Überhaupt, die Spiegel, diese Scharniere zwischen der dinglichen und einer anderen Wirklichkeit. Jörn Stoya verwendet sie als selbsttätigen Bildgrund. Die Engländerin Bethan Huws setzt in einer funktionalen Hänge-Vitrine mit weißen Plastikbuchstaben den Satz »Ceci n’est pas un miroir«, dies ist kein Spiegel. Magritte 2006, spiegelverkehrt?

 

Nein, hier schließt sich kein Kreis. Die Ausstellung verzichtet auf eine steile These, sie versammelt höchst unterschiedliche Positionen, um ein uraltes Thema neu zu erkunden. TV-Formate und Erzählweisen werden hinterfragt (Omer Fast), die Realitätsparameter Raum und Zeit (Francis Alys), das fotografische Porträt. Ein biografisches Dokument? Rodney Graham inszeniert sich auf einem Großbilddia als Alt-Punk in einer öffentlichen Telefonzelle, woanders als gepflegt ergrauter »renaissance man« mit Blockflöte.

 

Im gleichen Raum, einem der gelungensten, zwei perspektivisch verwirrende Objekte von Robert Gober, an der Wand prangt Lawrence Weiners Satz »TURNED AS THE WORLD TURNES«. Verrat? Längst wissen wir, dass Bildern nicht zu trauen ist. Dennoch manipulieren sie uns. Und wir sie, bis sie ihre eigene Wirklichkeit behaupten. Der Rest ist Propaganda.