Migration der Bilder

Das Käthe Kollwitz Museum entdeckt den

Weltreisenden Emil Orlik

Die Welt, ein Dorf. »Dampf und Telegraph verwischen alle Grenzen, erheben von heute auf morgen das örtliche Ergebnis zur Weltpolitik«, so steht es 1902 in einer Ausgabe der Wiener Kunstzeitschrift Die Graphischen Künste. Der Text befindet sich unter der leichthändig-präzisen Kreidezeichnung eines japanischen Mädchens. Ihr nachdenklicher Blick weist ins Nichts. Eine blaue Schraffur am Kragen wirkt modern offensiv der melancholischen Tristesse entgegen. Vielleicht als Skizze gedacht, erscheint das Werk nun zentral im grafischen Œuvre Emil Orliks.

 

Der 1870 in Prag Geborene galt um 1900 in der Wiener Secession als Spezialist für Farbholzs chnitt. Angezogen von der japanischen Tradition bereiste der Künstler 1900 das Land, just als Japans Kultur und Ästhetik den Spät-Impressionismus und Jugendstil enorm beeinflussten. »So ist Japan nach Europa gegangen und einer der Unseren Japaner geworden«, fährt der eingangs zitierte Text fort. Tatsächlich wandelte sich Orliks grafischer Stil auf seinen Reisen, wie in der Sonderausstellung »Zwischen Japan und Amerika« zu erleben ist. Dabei schuf der Vielbegabte Bühnenbilder, Kostüme, Buchschmuck und er photographierte. Sein Plakat für Gerhart Hauptmanns »Die Weber« ist Teil der ständigen Ausstellung. Sein sozialrealistischer Blick zeigt sich besonders in den frühen Werken, entstanden auf Reisen durch Europa. Allein seine Holzschnitte bezeugen bereits ein Interesse an Flächigkeit und dem Spiel der Schatten.
In Japan erfand Orlik sich neu. Nun war grafische Abstraktion und Leben zugleich in allen Dingen. Auch die realistischen Werke faszinieren, nicht allein in technischer Hinsicht, sondern als Blick in eine verschwundene Welt. Was für ein Leben erwartete das Baby auf den Armen seiner Großeltern in der Aquatinta von 1893?

 

Als Orlik 1912 Nordafrika bereist, ist sein Blick weit schwärmerischer, die Linien geraten ihm leichter. Diese Reise bringt ihn auch nochmals bis nach Japan. Doch nun geht seine Vision des Holzschnitts in ihrer Expressivität über das hinaus, was er bei dortigen Künstlern sieht. Wiederum sehr kühle, exakte Zeichnungen berichten Jahre später von einer Reise in die USA.

 

Es scheint, als habe Orlik mit der Wahl der Orte seiner künstlerische Entwicklung eine stets andere Richtung gewiesen. Heute wirkt er als einer der ersten Künstler mit globaler Perspektive, in dessen grafischer Meisterschaft sich Avantgarde und gelebte Eindrücke bereichern.