Foto: Manfred Wegener

»Und plötzlich gilt Ehrenfeld als hip«

Christoph Büchler hat eine neuartige Studie zu Gentrification in Köln

vorgelegt: Der Stadtgeograph erforschte, wie Restaurants und

Kneipen dazu betragen, dass die Mieten im Veedel unerschwinglich

und die alten Bewohner verdrängt werden. Als Grundlage diente

Büchler tagnacht, der Gastro-Guide aus dem StadtRevue-Verlag.

 

Herr Büchler, Sie haben in Ihrer Diplomarbeit die gastronomische Landschaft Kölns untersucht und mit dem aus der Stadtsoziologie bekannten Konzept der Gentrification interpretiert. Was ist neu an Ihrer Studie?

 

Die meisten Gentrification-Studien beschäftigen sich nur mit einem einzelnen Stadtviertel oder Straßenzug, also vergleichsweise kleinen Untersuchungsgebieten. Auf diese Weise kann recht gut untersucht werden wie soziale, bauliche, kommerzielle und symbolische Prozesse zusammenwirken und zu Gentrification führen können. Ich wollte diese Erkenntnisse nutzen, um jetzt auf einer gesamtstädtischen Ebene nach Indizien für solche Entwicklungen zu suchen. Ein besonderes Augenmerk habe ich dabei auf die Veränderung der Gastronomie gelegt.

 


Wie sind Sie vorgegangen?

 

Neben Indikatoren, die auf soziale und bauliche Aufwertungsprozesse hindeuten, wie etwa Bevölkerungsdaten oder Bodenrichtwerte, die den aus Kaufpreisen ermittelten durchschnittlichen Lagewert von Grundstücken abbilden, habe ich Indikatoren verwendet, die auch den Wandel des Raum-Images und den Wandel der Geschäftsstruktur abbilden können. Da die Aufwertung eines Viertels meist mit einer Verbesserung des gastronomischen Angebots und des Viertel-Images einhergeht, habe ich Restaurants, Kneipen und Cafés untersucht. 

 


Dafür haben Sie dann  auf tagnacht zurückgegriffen.

 

Mir ging es ja darum, ein großes Gebiet über die vergangenen 25 Jahren zu betrachten, und in der tagnacht werden alljährlich rund tausend Kneipen, Cafes und Restaurants rezensiert. Mit den 26 Jahrgängen der tagnacht konnte ich durch die Adressangabe und die Beschreibung die einzelnen Angebote dann geografisch und zeitlich zuordnen und typisieren. Die Anzahl und den Typus der rezensierten Kneipen habe ich dann als Indikator verwendet: einerseits für die Zusammensetzung des gastronomischen Angebotes, andererseits auch für die mediale Aufmerksamkeit, die einem Viertel zuteil wird. Für harte Indikatoren wie soziodemografische Kennziffern oder auch für Bodenrichtwerte werden entsprechende Daten amtlich verwaltet. Doch auf gastronomischer Seite gibt es keine amtlichen Daten. 

 


Welche Rolle spielen denn gastronomische Angebote in stadtteilbezogenen Aufwertungsprozessen?

 

Im Laufe einer Gentrification, so die idealtypische Vorstellung, ziehen zunächst Kreative, Künstler und Studenten in ein Viertel. Sie sorgen für ein bestimmtes Flair, das sich in der kulturellen und gastronomischen Infrastruktur widerspiegelt. Das Viertel ist dann angesagt und zieht später auch wohlhabendere Menschen an: meist jene, die einen außerhäuslichen Konsumstil pflegen, also oft in Kneipen, Cafés und Restaurants verkehren. Gastronomie kann für das Viertel wie ein Katalysator im Aufwertungsprozess wirken. Zum einen steigt die Zahl der Leute, die im Viertel entsprechende Angebote nachfragen. Zum anderen wird das Viertel auch wieder als Wohnort interessanter für das entsprechende Klientel. Szene-Magazine oder Gastro-Guides sind für die Gentrification dann auch von Bedeutung, weil mit deren Hilfe Raum-Images konstruiert und kommuniziert werden.

 


Aber Kneipen und Restaurants werden von der tagnacht ja kulinarisch getestet und daher oft kritisch besprochen.

 

Das schon, aber die Aufmerksamkeit ist dennoch auf das Viertel gelenkt. Mediale Berichterstattung, eine funktionierende lokale Gastronomie-Struktur und Menschen, die im Viertel ihren Abend verbringen und ihre Eindrücke anschließend weiterkommunizieren, schaffen ein Raum-Image, also quasi einen symbolischen Raum, der mit dem realen Raum in Wechselwirkung steht. Die Besucher entwickeln allmählich eine bestimmte Vorstellung vom Viertel, und plötzlich gilt etwa Ehrenfeld als hip. 

 


Sind moderne Kneipen und Restaurants also die Ursache von Gentrification?

 

Was Ursache und Wirkung ist, bleibt letztlich offen: Eröffnen die Gastronomie-Betriebe, weil eine neue Nachfragestruktur seitens der Viertelbewohner entstanden ist? Oder wirken die neuen Kneipen und Restaurants als Motor, der zunächst mehr Aufmerksamkeit und später zahlungskräftigere Bewohner ins Viertel zieht? Ich vermute letzteres. 

 


Gentrification ist zu einem politischen Kampfbegriff geworden. Jede unerwünschte Veränderung in einem Stadtviertel wird damit in Verbindung gebracht.

 

Der Begriff Gentrification ist seit jeher ein politisches Schlagwort und wird oft widersprüchlich diskutiert. Bewohner und Besucher eines Viertels profitieren von einer vielfältigen Konsumlandschaft, andererseits werden aber auch die kulturellen Raumqualitäten von Immobilienbesitzern über Mietpreise in Rechnung gestellt. Diese sind dann die eigentlichen Gewinner, da sie höhere Mieten verlangen können, wenn das Viertel über eine interessante Gastronomielandschaft verfügt. Die Opfer sind diejenigen, die höhere Miete nicht zahlen können oder wollen und aus dem Viertel verdrängt werden. Man sollte aber nicht jede Veränderung mit Gentrification gleichsetzen. Dass eine alte Eckneipe zumacht und dort eine Szenekneipe öffnet, muss nicht mit einem Austausch der Bewohner einhergehen. Vielleicht hat auch einfach das gastronomische Konzept der Eckkneipe ausgedient. 

 

Die Südstadt gilt in der Forschung als »durchgentrifiziert«. Das heißt, die Sozialstruktur hat sich komplett gewandelt, die ärmeren Bewohner sind durch hohe Mieten verdrängt worden.

 

Die Südstadt war eines der ersten Viertel, das intensiv wissenschaftlich untersucht wurde. Die eigentliche Gentrification fand in den 80er Jahren statt. In den 90er Jahren galt der Prozess dann als abgeschlossen. Danach wurden wieder andere Viertel interessanter. Auf der gastronomischen Landkarte gewannen jetzt etwa Ehrenfeld oder das Agnesviertel an Bedeutung.  So liest man in der tagnacht etwa Anfang der 90er Jahre, die Südstadt werde vom wochenendlichen Party-Tourismus geprägt. Das ist dann nicht mehr hip. Die jungen Kreativen und Studenten, welche die symbolische, kulturelle und gastronomische Aufwertung eingeleitet haben, sagen dann: Hier ist jetzt Kirmes mit Massenpublikum, da ziehe ich lieber wieder weg. Eine Entwicklung, die sich auch in der sinkenden Anzahl rezensierter Kneipen widerspiegelt. In den vergangenen Jahren wurden in der Südstadt dann wieder mehr Angebote rezensiert. Das könnte man als Zeichen für eine kulturelle Re-Gentrification werten.

 


Das Belgische Viertel gilt ebenfalls als vollständig gentrifiziert. Was sagt die Wissenschaft, wie es dort weitergeht?

 

Das wird so bleiben, bis irgendwann andere Viertel interessanter werden. 

 


Ehrenfeld zum Beispiel ...

 

Ehrenfeld ist zumindest das Viertel, in dem die Anzahl der rezensierten Angebote stark und kontinuierlich gestiegen ist. Ich denke dieser Befund deckt sich mit der öffentlichen Wahrnehmung, aber auch mit der Entwicklung von Bodenrichtwerten und Bevölkerungszusammensetzung.

 


Nippes galt lange als relativ günstiges Wohnviertel. Mittlerweile wird aber auch hier von Gentrification gesprochen. Zu Recht?

 

Auch Nippes wurde in den 90er Jahren beforscht. Im Vergleich zu anderen Vierteln habe ich den Eindruck gewonnen, dass sich Nippes eher langsam, aber konstant entwickelt. Dieser ganze Hype, wie er immer um Ehrenfeld gemacht wird, ist hier nicht so intensiv.  In den letzten Jahren sind viele junge Familien nach Nippes gezogen. Wenn man sich jetzt die Gastronomie im Viertel anschaut, bestätigt sich dieser Eindruck. 

 


Wenn um Gentrification in Köln geht, fällt der Blick selten auf die rechte Rheinseite. Dabei spricht die Forschung auch dort von Aufwertungsprozessen. Im gastronomischen Angebot spiegelt sich das aber nicht allzu stark wider ...

 

Anfang der 90er wurde das rechtsrheinische Köln von tagnacht noch als gastronomische Brache betrachtet. Doch insbesondere in Kalk und Mülheim hat sich einiges getan. Gerade in Kalk sind in den letzten Jahren einige Kneipen entstanden, die ein junges, kreatives Publikum anziehen. Dass diese sich jetzt schon seit einiger Zeit halten können, spricht dafür, dass Kalk jetzt kommen könnte. Nun gut, das sagt man aber auch schon seit zehn Jahren.

 


Sie haben jetzt einige tagnacht-Jahrgänge durchgearbeitet. Was haben Sie dabei gastronomisch für sich entdeckt?

 

Man entwickelt eine andere Blickweise auf die Gastronomie und die einzelnen Viertel. So entdecke ich gerade die Südstadt und Nippes neu. Das Schöne an Köln ist ja, dass sich jede Eckkneipe für den place to be hält, und solange das für die Gäste auch so ist, ist die Welt in Ordnung.