So weit ist es schon gekommen: die Mieter müssen auf der Straße stehen | Foto: Manfred Wegener

Kalle Alaaf!

In Köln gehen immer mehr Mieter für ihre Rechte auf die Straße

An beiden Seiten der kleinen Stichstraße im Agnesviertel stehen ein paar kleine Barrikaden, die Sambagruppe spielt sich warm, auf den Treppen im Haus Nummer 5 sitzen Aktivisten bis unter das Dach, von den Nachbarhäusern hängen Transparente mit dem Slogan »Kalle bleibt«. In der »Vorstadtprinzessin« in Kalk treffen sich 50 Leute zu einem Nachbarschaftstreffen. Sie reden über Direktkredite für ein Wohnprojekt in der Robertstraße und über die Mieten in ihrem Stadtteil. An der Hausfassade eines alten GAG-Hauses am Höninger Weg hängt ein Plakat. »Stoppt die Mietspirale« steht darauf. Drinnen sitzen Herbert Bretz und Brigitte Leyendecker im Wohnzimmer einer Zwei-Zimmer-Wohnung und erzählen von Holzfenstern, Denkmalschutz und Dämmwerten.

 

Drei Szenen, eine Stadt. Ob­­wohl Wohnen in Köln schon seit längerem eine eher anstrengende Angelegenheit ist, hat es bis zu diesem Winter gedauert, bis Mieter ihre Rechte auf die Straße trugen. Der Mieterverein vermeldet zwar einen Mitgliederrekord, gilt aber als wenig klagefreudig. Auch das aus erfahrenen Polit-Aktivisten bestehende Bündnis »Recht auf Stadt« dümpelte lange vor sich hin, bis Karl-Heinz Gerigk sich auf einem Treffen zu Wort meldete und beschrieb, wie sein Vermieter ihn wegen Eigenbedarf zwangsräumen lassen wollte.

 

Gerigk ist das, was man eine »Identifikationsfigur« nennt: Einer von uns — ordentlich angestellt, beliebt bei den Nachbarn und mit einem reimfähigen Vornamen. »Alle für Kalle« war der Slogan, mit dem das »Recht auf Stadt«-Bündnis gegen die Zwangsräumung mobilisierte — mit Erfolg. Mitte Februar konnten 300 Menschen die erste Zwangsräumung verhindern, ein zweiter Termin wurde von Mitte März auf den 16. April verschoben.

 

Auch Brigitte Leyendecker stand Mitte Februar vor dem Haus von Kalle. Irgendwann sprach sie am Megafon von ihrer Wohnung in der GAG-Siedlung am Höninger Weg. »Luxussanierung« sei das, was dort passiere. Drei Wochen später berichtet die Pädagogin in Altersteilzeit im Detail von den Sanierungsplänen: »Allein für die neuen Fenster zahle ich bis an mein Lebensende 40 Euro pro Monat.« Diese »neuen Fenster« sind Sprossenfenster aus Holz und nach den Erforderungen des Denkmalschutzes geplant. Sie sind Teil einer Sanierung der alten GAG-Siedlung, die auch eine neue Außendämmung und eine neue Heizung vorsieht. »Dagegen wehren wir uns nicht«, erzählt ihr Nachbar Herbert Bretz, der seit 1982 in der Siedlung wohnt. Aber es gebe Mieter, die nach der Sanierung »über 50 Prozent ihres Einkommens« für die Miete aufwenden müssten. »Die sagen: ›Ich kann das nicht‹.« Also gründeten die beiden mit ein paar anderen Siedlungsbewohnern einen Mieterbeirat und stellten Forderungen: Verzicht auf die Sprossenfenster und Mieterhöhungen bei Mietern mit niedrigem Einkommen sowie ein genereller Verzicht auf Mieterhöhungen für die nächsten fünf Jahre. »Man muss die GAG beim Wort nehmen«, meint Brigitte Leyendecker. »Ständig reden sie vom Aufbau von Nachbarschaftsnetzen. Und hier werden sie zerschlagen.«

 

Auch die Bewohner der Robertstraße 12 in Kalk sind wegen der Aktivität ihrer Vermieter in Aufruhr — obwohl bei der Erbengemeinschaft eigentlich eher fehlende Aktivität das Problem war. »Sie reden nicht miteinander«, erzählt Jenny Bertram. Also sollte das Wohnhaus für nur 305.000 Euro zwangsversteigert werden. »Das ist ein Problem«, meint Johannes Schmitt, »weil es viele Menschen als Schnäppchen sehen.« Das zieht Investoren an. Die Hausgemeinschaft, die das Haus in den vergangenen Jahren mit Reparaturen und Renovierungen in Schuss gehalten hat, hatte dagegen andere Pläne: »Wir bieten mit.« Mit Hilfe von Direktkrediten wollen sie das nötige Geld für die erste Rate aufbringen, ein Bankkredit soll den Rest der Kaufsumme abdecken. Der Plan der Mieter war, das Haus danach vom Markt zu nehmen. »Wir wollen uns keinen Alterssitz schaffen, sondern billigen Wohnraum erhalten«, erläutert Jenny Bertram. Die Hausgemeinschaft wollte das Haus als Teil des »Mietshäuser Syndikats« bewirtschaften, in dem sich mehrere Hausinitiativen aus ganz Deutschland zusammengeschlossen haben. Die Versteigerung war für den 26. März angesetzt, fand dann aber nicht statt. Einen Tag zuvor hatte sich die Erbengemeinschaft mit einem Kaufinteressenten geeinigt. Nun hat die Hausgemeinschaft neue Vermieter, über die bislang keine Informationen bekannt sind. Kampflos aufgeben wird die Hausgemeinschaft aber nicht, so Jenny Bertram: »Gegen neue Vermieter und höhere Mieten kann man sich ja wehren.«

 

So sprechen viele Aktivisten: selbstbewusst, kämpferisch, aber frei von billigem Politpathos. Den findet man an anderer Stelle. Mitte März saßen ein paar Langhaarige auf dem Sudermann-Platz, malten Transparente mit dem Slogan »Spekulantenbrot ist Wohnungsnot« und hingen sie an ein leerstehendes Altbauhaus. Dort werden seit langem luxussanierte Wohnungen für 600.000 Euro angeboten. Eine Szene wie aus dem Lehrbuch, aber für die Mietkämpfe in Köln vollkommen irrelevant: Es handelte sich um eine Filmkulisse.