Die Stille nach dem Knall

Die Politik ist zögerlich, die Bürger desinteressiert – Köln verdrängt die katastrophalen Zustände in der Shell-Raffinerie im Kölner Süden, meint Bernd Wilberg

 

Unfälle gehören in der Rheinland-Raffinerie des Mineralöl-Konzerns Shell zum Arbeitsalltag. Es geht scheinbar nicht ohne. Am 9. Januar dieses Jahres explodiert im Godorfer Werk ein Tank, das Gift Tuluol tritt aus, stundenlang steht die Rauchwolke am Himmel. Am 25. Februar zieht ein übler Geruch über der Stadt, im Wesselinger Werk ist Schwefelwasserstoff ausgetreten. Zwei Jahre zuvor verursachte Shell einen immensen Umweltschaden: eine Million Liter Kerosin versickern im Februar 2012 am Wesselinger Werk im Boden – bis heute ist die Sanierung nicht abgeschlossen. Mehrfach muss der Konzern von der Bezirksregierung aufgefordert werden, besser zu kooperieren. Auch in der Zwischenzeit gibt es immer wieder Unfälle, Pannen, Störungen.

 


Shell sitzt all das beharrlich aus. Der Konzern, der eine Bohrinsel in der Nordsee versenken wollte und in Nigeria eine ökologische Katastrophe angerichtet hat, setzt auf Informationsvermeidung. Die Meldungen zu den Unfällen werden in den Untiefen der Internetseite verklappt. Sie kommen spät, sind äußerst knapp und der Tonfall ist läppisch – ein Beispiel für arrogante Krisen-PR.

 


Dass Shell offenkundig unfähig ist, die Chemieproduktion verantwortlich zu organisieren und die Sorgen der Anwohner ignoriert – das ist die eine Sache. Die andere ist, wie lustlos die zuständige Bezirksregierung unter Gisela Walsken (SPD), NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) und die Kölner Politik reagieren. Walsken lässt sich von Shell mit immer neuen Versprechungen hinhalten, und im Rat der Stadt Köln halten SPD und Grüne im Februar lieber eine Aktuelle Stunde zu einer Störung bei der KVB ab, anstatt das Desaster im Kölner Chemiegürtel auf die Tagesordnung zu setzen.

 


Und wo ist die Hysterie in den sozialen Netzwerken, auf die doch sonst immer Verlass ist? Während Unwichtigeres mit überhitztem Furor und der nächsten Online-Petition bedacht wird, herrscht hierzu Funkstille. Die gut vernetzten Umweltschützer bleiben heute in ihren Innenstadt-Vierteln. Die Chemieanlagen am Stadtrand scheinen weit weg. So fordert man  denn einen Autofreien Sonntag im eigenen Veedel oder engagiert sich mit Gleichgesinnten aus der Kreativszene für Urbanes Imkern.

 


Nach erneuten Zwischenfällen im Chemiegürtel scheinen zumindest SPD und Grüne aufgewacht zu sein. Pünktlich zum Wahlkampf gibt es einen gemeinsamen Antrag für die Ratssitzung am 8. April. Die Stadtverwaltung soll Auskunft geben, ob in den Anlagen die Sicherheitsstandards eingehalten werden und ob im Fall einer Katastrophe die Bevölkerung rechtzeitig gewarnt werden kann. Keinesfalls aber wolle man mit dem Antrag »einzelne Unternehmen an den Pranger zu stellen« – warum eigentlich, wenn die nicht fähig oder willens sind, für einen störungsfreien Betrieb zu sorgen?