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Inklusion — all together now!

Manche ­nennen sie »gemeinsamen Unterricht«, andere »inklusives Lernen«, die meisten einfach nur »Inklusion«. Ab August soll »Förderbedarf« auch gesetzlich kein Hindernis mehr sein bei der ­Schulwahl. Fest stehtt, dass die Inklusion in Köln weder zu Hoffnungen auf die Schule der Zukunft noch zu Ängsten vor der Bildungskatastrophe Anlass gibt. Sondern vor allem ein hartes Stück Arbeit ist.

»Oh, Mann! Rechtschreibung«, ruft ein dunkelhaariges Mädchen nach einem Blick auf den Stundenplan an der Tafel und verzieht das Gesicht zur Grimasse. Am Nebentisch wippt ein Junge vor und zurück und murmelt ein wenig unverständlich vor sich hin, während Schulbegleiter Martin Thelen einen Jungen im Rollstuhl in die Klasse schiebt. Vorne steht Anne Bailly, schlägt die Klangschale und bittet um Ruhe. Zehn nach acht, Unterrichtsbeginn in der Erdmännchenklasse.

 

An der Gemeinschaftsgrundschule Mainzer Straße in der Südstadt wird seit beinahe drei Jahren das praktiziert, was ab August dieses Jahres an allen Schulen in Nordrhein-Westfalen die Regel sein soll: inklusiver Unterricht. 24 Kinder sind in der Klasse, darunter ein Schwerst-Mehrfachbehinderter, ein autistischer Junge und ein paar lernschwache Kinder. »Wir haben eine große Bandbreite«, sagt Bailly.

 

Mit dem »9. Schulrechtsänderungsgesetz« setzte das nordrhein-westfälische Schulministerium im Oktober 2013 die UN-Behindertenrechtskonvention von 2006 um. Für Eltern von »Kindern mit Förderbedarf«, egal ob mit Lern- und Entwicklungsstörungen, einer geistigen oder körperlichen Behinderung wurde damit das Recht verankert, ab dem 1. August 2014 frei zwischen einer Regelschule und einer Förderschule wählen zu können. Kölner Eltern können dies schon länger. »Wir haben 2010 die ›Klaglosstellung‹ für Eltern erreicht«, erzählt Ulrike Heuer vom Amt für Schulentwicklung. Eltern können ihre Kinder mit Förderbedarf auch ohne aufwändige Gerichtsklagen auf der Regelschule anmelden.

 

34 Prozent beträgt die Inklusionsquote in Köln im laufenden Schuljahr, 2100 Schüler mit Förderbedarf besuchen den gemeinsamen Unterricht. In ganz NRW waren es 2012/ 2013 rund 25 Prozent. Aber die Ziele sind ehrgeizig — 85?Prozent aller Schüler mit Förderbedarf sollen im Jahr 2020 in der Regelschule unterrichtet werden. Soviel Ehrgeiz schürt Ängste. Lehrer fühlen sich überfordert, weil sie nicht für den Umgang mit Förderkindern ausgebildet wurden. Manche Eltern fürchten um die Bildungsbiografien ihrer Kinder. Und andere sind glücklich, dass ihren Kindern solche erst ermöglicht werden.

 

»Vielfalt ist eine Chance, und ein Gewinn für alle«, sagt Barbara Sengelhoff. Die 66-Jährige war sieben Jahre lang Schulleiterin an der Offenen Ganztagsschule KGS Mainzer Straße. Seit Februar ist sie im Ruhestand. Sengelhoff hat das Prinzip der Inklusion verinnerlicht, das merkt man. Sie spricht von »verhaltens­originellen« Kindern, und sie erzählt aufmunternde Geschichten. Wie die, dass fast alle Schüler, wenn sie in der Klasse Gänsehautmomente erzählen sollen, Erlebnisse mit ihren behinderten Klassenkameradinnen wählen.

 

Lehrerin Anne Bailly unterrichtet seit einem Jahr in der Südstadt. »Auf Kinder mit Förderbedarf bin ich nicht vorbereitet worden. Aber ich habe mein Referendariat an einer inklusiven Schule absolviert, und dort gute Erfahrungen gemacht«, erklärt die 28-Jährige. Bereut hat sie ihre Wahl bislang noch nicht. »Es gibt immer so viele positive Überraschungen – beim sozialen Verhalten der Kinder miteinander, aber auch beim Lernerfolg. Da haben Kinder mit Förderbedarf auf ein Mal geglänzt, nachdem sie zuvor lange hinterherhinkten«, erzählt sie.

 

In der Erdmännchenklasse lernen Kinder der zweiten und dritten Klasse gemeinsam. Wie viele Kinder mit Förderbedarf in die Klasse gehen, will und darf Bailly nicht sagen. Das sei Gesetz an der Mainzer Straße, auch die Eltern erführen das nicht. »Davon soll es ja weggehen, von diesem Stempel. Es geht um Vielfalt«, erklärt Elke Krutz. Sie ist Sonder­schullehrerin, seit zweieinhalb Jahren unterstützt sie die Lehrerinnen an der Mainzer Straße.

 

In der Südstadt versucht das Lehrerkollegium, alle Kinder ausnahmslos in die Schulaktivitäten einzubeziehen — auch den schwerst-mehrfachbehinderten Jungen. Selbst artikulieren kann er sich nicht, aber er hat einen Sprachcomputer, auf den seine Mutter draufspricht, was sie am Wochenende gemacht haben. So kann er Montag morgens an der Erlebnisrunde teilnehmen. Klar sei die Arbeit auch anstrengend, und aufgrund der vielen unterschiedlichen Lernziele der Kinder vor allem logistisch aufwändig. »Aber ich würde keines der Kinder hergeben wollen«, sagt Bailly.

 

Eva-Maria Thoms hört solche positiven Geschichten gerne. »In den vergangenen eineinhalb Jahren wurde fast nur noch darüber geredet, wie schwierig und teuer das alles ist. Es ging nur noch um Belastung, um Zumutung, um überforderte Lehrer.« Für Thoms ist klar: »Die Stimmung ist schlimmer als die Lage.«

 

Die 51-Jährige gründete 2006 mit anderen Eltern den Verband mittendrin e.V. . Thoms wollte ihre behinderte Tochter damals an einer Regelschule anmelden und scheiterte. Das Schulamt erteilte eine Zuweisung zur Förderschule. Thoms zog vor das Verwaltungsgericht und gewann. »Ich fand es einen ungeheuerlichen Skandal, dass der Staat meint, in die Familien reinregieren zu können, nur weil die Kinder eine Behinderung haben. Das ist eine Frage der Bürgerrechte.«

 

Mit einigen Mitstreiterinnen organisierte sie damals einen bundesweiten Kongress zum Thema Inklusion — der Geburtsmoment des Elternverbands. Heute arbeiten fünf Menschen in der Kerngruppe, zwei davon bezahlt. Im Mai vergangenen Jahres eröffneten sie eine Beratungsstelle an der Luxemburger Straße. Sie organisieren Elterncafés, bei denen sich Eltern behinderter und nicht-behinderter Kinder austauschen können, und Workshops, bei denen Lehrer ihre Erfahrungen an Kollegen weitergeben.

 

Auch Ex-Direktorin Barbara Sengelhoff hat hier schon gesprochen. Sie möchte den Lehrern vor allem Mut machen, die neuen Aufgaben anzugehen. »Die ersten Kinder, die ich damals noch an meiner vorherigen Stelle in Mülheim hatte, mit Rolli wegen einer Querschnittslähmung, die haben wir auf den Rücken gepackt und die Treppe raufgetragen, weil wir keine Rampe hatten. Auch das funktioniert. Die wichtigste Voraussetzung ist die Haltung.«

 

An der richtigen Haltung mangelt es auch Friederike Struss nicht. »Die Integration von förderbedürftigen Kindern und Jugendlichen ist wichtig und notwendig«, sagt Struss. »Ich will das auch, aber nicht unter den aktuellen Rahmenbedingungen.« Die 51-Jährige unterrichtet seit 20 Jahren an der Johannes-Gutenberg-Realschule in Godorf die Fächer Kunst, Technik, Deutsch und Politik. Seit dem vergangenen Schuljahr ist sie die Klassenlehrerin einer Inklusionsklasse, der ersten an ihrer Schule. 18 Schüler gehen in ihre Klasse, drei von ihnen mit Förderbedarf »Soziale und emotionale Entwicklung«.

 

»Die UN-Konvention ist einfach umgesetzt worden, ohne die entsprechen­den Rahmenbedingungen zu schaffen«, klagt Struss. »Es stehen nicht genügend finanzielle Mittel zur Verfügung.« So müsste es einen zusätz­li­chen Raum direkt neben jedem Klassenraum geben, in den sich die Schüler gemeinsam mit der Förderschullehrerin zurückziehen können, wenn sie sich nicht mehr konzentrieren können und daher den Laden aufmischen. Auch die Stundenzahl von Inklusionslehrern müsste reduziert werden, weil es ein erheblicher Mehraufwand ist, findet Struss. »Und in die Stundenpläne müssten Konferenzstunden miteinbezogen werden. Das gibt es bislang alles nicht«, klagt sie. Ihre Hauptkritik richtet sich indes auf die fehlende Doppelbesetzung im Klassenzimmer: omentan ist für elf Stunden eine Förderlehrerin in der Inklusionsklasse — bei insgesamt 32 Wochenstunden. »Das ist viel zu wenig, um den Schülern — ob behindert oder nicht behindert — gerecht werden zu können. In allen Stunden müssten ein Fachlehrer und ein Förderlehrer anwesend sein«, sagt sie.

 

Dass dem nicht so ist, liegt am Schlüssel, mit dem das NRW-Schul­ministerium die Anzahl der Förderschullehrer berechnet. Dieser richtet sich nach den Schülern mit Förderbedarf. Um eine volle Sonderpäda­gogenstelle zu erhalten, muss eine Klasse sechs Schüler mit einer körperlichen Behinderung aufnehmen. Geht es um sehbehinderte Kinder, erhöht sich diese Zahl auf acht. Bei Kindern mit Lern- und Entwicklungsstörungen allerdings wird die Anzahl der Stellen budgetiert und den Schulen pauschal und nicht mehr pro Förderkind zugewiesen.

 

»Für uns sind diese Pauschalen fatal«, berichtet Marietta Gawert, ­stell­vertretende Schulleiterin der Rosenmaargrundschule in Höhenhaus. Seit 1981 wird dort inklusiv unterrichtet und zwar jahrgangsübergreifend im Team aus Grundschul- und Förderlehrkraft. »Es kann vorkommen, dass ein behindertes Kind zu mir eine engere Beziehung aufbaut als zur Förderschulkollegin. Die aber ist mir wiederum im Musik­unterricht auch bei den Regelkindern eine große Hilfe.« Diese Lehrmethode ist durch die veränderte Stellenzuweisung gefährdet. Förderlehrer werden zukünftig nicht mehr nur zwischen den Klassen, sondern auch zwischen den ­Schulen springen müssen. »Wir werden dabei vermutlich Stellen ver­lieren«, meint Marietta Gawert. »Dabei hat NRW-Bildungsministerin ­Sylvia Löhrmann versichert, dass gut geführte Schulen mit gemeinsamem Unterricht durch die breite Inklusion nicht benachteiligt werden sollen.«

 

Auch Anne Bailly kennt derlei Ängste. Von einer ständigen Doppelbesetzung ist die Erdmännchenklasse an der Mainzer Straße bereits heute weit entfernt. Ihre Förderschulkollegin Elke Krutz hat 18 Stunden insgesamt, kümmert sich aber um zwei Klassen und muss noch weitere Beratung an der Schule leisten. Bailly mag ihren Job und schätzt die Herausforderung, aber ab und an bricht es auch aus ihr heraus. »Alle wollen Inklusion, aber keiner will zusätzliches Geld dafür ausgeben. Da sollte mal einer von oben einen Tag kommen, um zu sehen, wie das ist. Damit man sieht, dass es das wert ist, Geld zu investieren.«

 

Dass Geld investiert werden muss, ist allen Beteiligten klar. Unklar ist, wessen Geld es sein soll. Bislang ist die Finanzierung der Schule arbeitsteilig geregelt. Die Kommunen kümmern sich um die Schulbauten, das Land um die Bezahlung der Lehrer. Dieser Grundsatz bleibt auch bei der Inklusion weitgehend erhalten. Aber die Kommunen pochen auf das Konnexitäts-Prinzip: Werden Umbauten an einer Schule fällig, weil eine Rampe, ein Aufzug oder ein Therapieraum eingerichtet werden müssen, sollen diese vom Land bezahlt werden, weil dieser Umbau durch das neue Landesschulgesetz nötig geworden sei. Eine andere Forderung der Kommunen ist, dass das Land einen Teil der Finanzierung der Schul­begleiter, die einzelnen Förderkindern im Unterricht helfen, übernimmt. Im Moment regelt die bundesweite Sozialgesetzgebung, dass diese von den Kommunen bezahlt werden müssen.

 

Nachdem der Konflikt lange schwelte, bot die Landesregierung im Februar einen Kompromiss an. Bis 2019 erhalten die Kommunen 25?Millio­nen Euro pro Jahr für den Aus- und Umbau von Schulgebäuden. Dazu kommen 10 Millionen jährlich für Schulsozialarbeiter, Psychologen und Schulbegleiter. Der Städtebund, in dem die kreisfreien, über­wiegend SPD-regierten Städte wie Köln, Essen oder Düsseldorf organisiert sind, hat dem Kompromiss bereits zugestimmt. Der Städte- und Gemeindebund, in dem die kleineren Gemeinden vertreten sind, hat seine Mit­glieder zur Verfassungsklage aufgefordert. Vielen Eltern erscheint der Streit unwürdig: »Sinnvolle Berechnungen, was das kosten wird, gibt es sowie­so nicht«, meint Eva-Maria Thoms. »Wir dürfen uns nicht über ­Ressourcen streiten, und dann Kindern das Recht auf Inte­gration ver­weigern.«

 

Aber was sagen eigentlich die Kinder selbst zur Inklusion? Nathalie Dedreux besucht die achte Klasse der Integrierten Gesamtschule Holweide. Auch hier gibt es seit 1986 gemeinsamen Unterricht. An einem Freitag im März sitzt die 15-Jährige mit Down-Syndrom auf der Couch in der Mülheimer Wohnung ihrer Familie und macht, was 15-Jährige so machen: Sie kichert mal albern, mal schüchtern und erzählt von den Jungs auf ihrer Schule. Zwischendurch sagt sie einen Satz wie »Inklusion ist wichtig, damit Schule für alle da ist« und erzählt von einer Schülerdemonstration für Inklusion, an der sie teilgenommen hat. »Es ist beeindruckend, was Natha­lie an Allgemeinwissen an der Gesamtschule aufschnappt«, erzählt ihre Mutter Michaela Dedreux. »An der Förderschule wäre das nicht möglich gewesen.«

 

Elise und Ingo Schirrmacher aus Niehl sehen das ähnlich. Jeden Morgen geht ihre Tochter Helene auf die andere Straßenseite, biegt rechts um die Ecke und steht auf dem Schulhof ihrer Grundschule an der Halfengasse. »Ich habe immer gedacht, dass es total komisch wäre, wenn Helene hier nicht zur Schule geht«, erzählt Elise Schirrmacher. Im Kindergarten wurde bei der Siebenjährigen das Asperger-Syndrom diagnostiziert. Heute besucht sie die dritte Klasse, drei Tage in der Woche wird sie dabei von einer Schulbegleitung unterstützt. »Helene kommt gut im Unterricht mit und hat keine Probleme«, berichtet Ingo Schirrmacher. Hinter dieser Normalität stecken gute Rahmenbedingungen, viel Arbeit und mindestens ebensoviel Glück. Die Rahmenbedingungen hören auf den Namen »Individualisierter Unterricht« und richten die Lernziele stärker an den Fähigkeiten der einzelnen Kinder aus.

 

Die Arbeit leisten alle Beteiligten: Die Lehrerschaft der Grundschule, die sich verpflichtet hat, die Mehrarbeit des Gemeinsamen Unterrichts auf sich zu nehmen; Helenes Klassenlehrerin, die ihren Unterricht mit Hilfe von Icons und einer Verhaltensampel so gestaltet, dass Helene sich gut zurechtfindet; Und die Schulsozialarbeiterin, die bei Konflikten zwischen den Kindern vermittelt, egal ob diese einen Förderbedarf haben oder nicht. Hinzu kommen ein paar glückliche Zufälle. Helene ist ein kognitiv sehr weit fortgeschrittenes Kind, das eher zurückhaltend und introspektiv ist, anstatt wie manche Asperger-Kinder ausfallend zu werden. Und ihre Mitschülerinnen und deren Eltern akzeptieren sie. »Wir haben nicht erlebt, dass Eltern uns ins Gesicht sagen, dass Helene ihnen Bildungschancen wegnimmt«, berichtet Elise Schirrmacher.

 

Die Schirrmachers hoffen, dass ihre Tochter nach der Grundschule weiter im Regelschulbetrieb lernen und das Gymnasium in Riehl besuchen kann. »Das Gymnasium ist überschaubar und in der Nähe. Das ist gut für Helene«, erzählt Elise Schirrmacher. »Außerdem gehen ihre Freunde auch dorthin.« Indes — bei den weiterführenden Schulen sind die Gymnasien am weitesten entfernt vom Inklusionsgedanken. In Köln arbeiten aktuell erst vier von 34 Schulen inklusiv. »Die Gymnasien haben von ihrer Tradition her eher wenig mit Heterogenität zu tun gehabt und immer schon mehr gesiebt als andere Schulen. Jetzt ganz bewusst auch Kinder mit herausforderndem Sozialverhalten aufzunehmen, ist schon ein Schritt«, sagt Sven Trapp.

 

Trapp ist Klassenlehrer der inklusiven 5. Klasse am Albertus-Magnus-Gymnasium. Seit dem vergangenen Jahr gibt es insgesamt vier Förderkinder in den Klassen 5 und 6, die meisten von ihnen mit emotional-­sozialem Förderbedarf. Im nächsten Jahr sollen es noch mehr werden — bis zu acht Plätze bietet das Ehrenfelder Gymnasium dann an.

 

Im Gegensatz zu Gesamt- und Realschulen findet hier keine ziel­differenzierte, sondern nur zielgleiche Inklusion statt: Alle Kinder sollen die Schule mit Abitur abschließen. Für Lern- und geistig Behinderte war die Tür am Albertus-Magnus-Gymnasium und fast allen anderen Gym­nasien somit bislang verschlossen. Man kann diesen Kindern kaum etwas anbieten, nur wenige Gymnasien in Nordrhein-Westfalen arbeiten bislang zieldifferent, im Kölner Raum die Geschwister Scholl-Schule in Pulheim. Gymnasien müssten sich noch mehr in Richtung Inklusion bewegen, findet Trapp. Bislang kamen nur Kinder mit Gymnasialempfehlung, in Ausnahmefällen auch mit Realschulempfehlung an die Gymnasien. »Aber wenn man Inklusion konsequent weiterdenkt, dann sollte jede Schule natürlich irgendwann für alle offen sein,« sagt Trapp.

 

Wenn die Regelschulen irgendwann für alle offen sind — was passiert dann eigentlich mit den Förderschulen? »Wenn wir das gut hinkriegen, besteht in 20 oder 25?Jahren kein Bedarf mehr an Förderschulen«, sagt Eva­-Maria Thoms. An den Förderschulen sieht man das ein wenig anders. »Es ist unbedingt zu begrüßen, dass Eltern demnächst entscheiden können, wo sie ihr Kind anmelden wollen«, sagt Klaus Keyser, Leiter der Förder­schule Lernen am Rosenzweigweg in Zollstock. Aber es sei unvernünftig, dass die Förder­schulen perspektivisch komplett wegfallen ­sollen. »Förderschulen sind ein Schonraum. Es gibt Kinder, die diesen Schonraum brauchen. Den finden sie vielleicht nicht immer an der Regelschule. Es gibt Stärken beider Systeme, und es gibt Schülertypen für beide Systeme.«

 

Das Ende der Förderschulen scheint politisch gewollt. Die Mindestgrößen der Förderschulen wurden 2013 von der Landesregierung neu bestimmt. Sinkt die Schülerzahl der Förderschulen unter eine gewisse Mindestgrenze, muss der Schulträger sie auflösen — oder mit anderen Schulen zu Verbundschulen zusammenschließen, wie in Köln bereits mit den Förderschulen am Thymianweg und an der Leyendecker Straße geschehen. Vor allem Förderschulen mit dem Schwerpunkt Lernen sind davon betroffen. In den vergangenen Jahren mussten bereits drei Schulen schließen. Das Wahlrecht der Eltern — Kernforderung der Inklusionsbefürworter — werde so natürlich perspektivisch ausgehebelt, erklärt Keyser. »Wenn es keine oder kaum noch Förderschulen gibt, gibt es auch keine Wahlmöglichkeit mehr.«

 

Keyser spricht einen wichtigen Punkt an: Pauschalisierungen helfen in der Diskussion um Inklusion nicht weiter. Es gibt zu viele Variablen: Die unterschiedlichen Arten des Förderbedarfs lassen sich kaum ver­gleichen, ebensowenig die Schulform, und auch das Einzugsgebiet der Schule spielt eine Rolle. »Ob sie in Marienburg oder in Meschenich am Kölnberg sind, das ist ein gravierender Unterschied«, sagt Realschul­lehrerin Struss. Auch die Reaktion der Eltern auf die Inklusionspläne fällt je nach Wohnort unterschiedlich aus. »In ›belasteten‹ Stadtteilen bringt eh jedes Kind sein Päckchen mit«, schildert Ursula Heuer vom Amt für Schulentwicklung. »Da ist Inklusion selbstverständlicher.« 

 

Trotz aller Hindernisse – die Bedeutung von Inklusion für einen ­Wandel der Schule unterschätzt niemand. »Das ist ein Generationen­projekt«, meint Ulrike Heuer. Marietta Gawert ergänzt: »Letztlich werden sich durch die Inklusion andere Lernziele herausbilden müssen.«

 

»Wir müssen uns entscheiden: Was wollen wir von Schule?«, sagt auch Friederike Struss. »Wollen wir die Schüler nur auf die Bedürfnisse der Wirtschaft vorbereiten? Dann wird das Konzept der Inklusion scheitern. Man kann diese ganzen vollgestopften Lehrpläne in so einem Rahmen dann nicht mehr erfüllen.«

 

Zu den großen Fragen nach Gerechtigkeit, Lebenschancen und Schulkultur gesellen sich die kleinen Probleme des Alltags. Wer betreut ein geistig behindertes Kind während der 13 Wochen Schulferien, wenn die Eltern nur sechs Wochen Urlaub nehmen können? Wie lässt sich eine Schule so gestalten, dass ein Kind im Rollstuhl nicht erst fünf Minuten das Schulgebäude durchqueren muss, um in der 15-minütigen Pause mit dem Aufzug auf den Schulhof zu gelangen? Und wer bezahlt das alles? »Es wäre schrecklich, wenn die Inklusion wegen solcher Details letztlich scheitert«, meint Michaela Dedreux. »Und dann die Verantwortlichen sagen können: ›Aber wir haben es doch probiert!‹«