Gruppenbild mit Bürger­meisterin: Elfi Scho-Antwerpes beim Cologne Pride | Foto: Manfred Wegener

Unbehagen in der Behaglichkeit

Joachim Kardinal Meisner abberufen, Pro-Köln-Vereinnahmung verhindert – für die schwul-lesbische Community gab es zuletzt positive Nachrichten. Trotzdem sollte man weiter wachsam sein. Ein Streifzug zwischen CSD und Wellness-Specials

»Die heterosexuelle Ehe ist die unaufgebbare Keimzelle des Staates, gleichgeschlechtliche Partnerschaften hingegen nur eine Form des sexuellen Zusammenlebens.« Was klingt wie aus einem Handbuch zur Errichtung einer totalitären Gesellschaft, ist 2012 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen und stammt von Joachim Kardinal Meisner. Nicht zum ersten Mal richtete der nunmehr abberufene Kölner Erzbischof, der nach eigenen Angaben gern im Sturm der Auseinandersetzung steht, sein giftiges Gebläse gegen Schwule und Lesben. 2011 wetterte er, dass der Allmächtige gleichgeschlechtlichen Lebensentwürfen keinen Raum geschaffen habe. Würde Gott Homosexualität gutheißen, so der damals 74-Jährige, hätte er ja nur Männer oder Frauen schaffen brauchen. Und 2003 vertrat Meisner noch die These, Homosexuelle seien eine Bedrohung der Werteordnung Europas, sie seien ein Gift, das die Gesellschaft ausschwitzen müsse.

 

Mit dem Ende der Ära Meisner macht sich Entspannung breit in Köln. Manch ein Emanzipationskämpfer hofft, dass man sich auch im Erzbistum Köln endlich wichtigen Dingen wird widmen können, etwa der Unterstützung der verfolgten Schwulen und Lesben in Russland oder Uganda. Denn eigentlich ist Köln doch ein ganz passabler Ort für nicht-heterosexuelle Menschen. Mit Elfi Scho-Antwerpes haben sie eine unermüdliche Fürsprecherin im Rathaus, und mit Jürgen Roters einen Oberbürgermeister ohne Berührungsängste. Köln hat den größten CSD der Republik, einen schwulen Weihnachtsmarkt, und selbst bei Karneval und Fußball schaut man mit »StattGarde Colonia Ahoj« beziehungsweise dem Fußballfanclub »Andersrum-rut-wiess«  hier und da durch eine rosarote Brille.

 

Auch in der Community ist man sich eher einig, als das man sich streitet. Hier und da mal Hickhack zwischen den Wirten von Altstadt und Bermudadreieck, aber zerfleischende Diskussionen wie in Berlin etwa um die korrekte Bezeichnung der Pride-Veranstaltung gibt es nicht. Die kölsche Selbstzufriedenheit macht in dieser Stadt auch nicht vor ihren Schwulen und Lesben halt. Aber genau diese Behaglichkeit, mit der sich Schwule und Lesben in den von ihnen erkämpften Freiräumen einrichten, vernebelt, welchen Herausforderungen sie sich in Zukunft stellen werden müssen.

 

Mit der Anmeldung  von Pro Köln zur Parade 2013 schlitterte der Cologne Pride nur knapp an einer Katastrophe vorbei. Eine rechtsextreme Partei im Rosa Karneval, die vorgibt, den Schutz wehrloser Schwulen und Lesben vor der Islamisierung auf sich zu nehmen — das hätte fatale Auswirkungen haben können. Für einen Moment schien alles auf den Kopf gestellt. Es wurde diskutiert, gestritten und Stellung bezogen: In einem sogenannten Streitgespräch mit Pro Köln in der Online-Ausgabe des Szenemagazins blu inszenierte sich Markus Danuser, ehemaliger Vorstand der Aids-Hilfe und des Kölner Lesben- und Schwulentags (KluST), als Schlichter — und verschaffte gerade dadurch den Rechtspopulisten von Pro Köln ein Forum, um ihr menschenverachtendes Parteiprogramms in einem schwulen Medium zu präsentieren. Die Wellen schlugen hoch. Offene Briefe diverser Einrichtungen prangerten den Tabubruch an, und Wirte kloppten die RiK, eine weitere Zeitschrift des Berliner blu-Verlegers Olaf Alp, auf Facebook in die Tonne.

 

Doch der neue Vorstand des KLuST reagierte souverän und ließ seine Mitglieder über den Rauswurf der Rechten entscheiden. Mit einem spektakulären Coup erklärte der KLuST den CSD für abgesagt — um dann umgehend eine neue Veranstaltung mit geänderten Teilnahmebestimmungen anzumelden. Doch das gerade noch verhinderte Horror-Szenario wurde schnell vergessen. Die Stadt und ihre Lesben und Schwulen gingen zum Tagesgeschäft über, und ein paar Wochen später erinnerten in der Parade selbst nur wenige Fußgruppen an das Debakel.

 

Auch die Community besteht eben nicht per se aus guten Menschen, die sich für hehre demokratische Ziele engagieren. Die Community besteht aus durchschnittlichen Bürgern, die einerseits vielleicht ein wenig mehr Sensibilität für die Befindlichkeiten von Minderheiten mitbringen, andererseits aber genau so anfällig für populistische Propaganda sind wie der Rest der Gesellschaft. Das Gerücht, junge muslimische Männer seien für einen Großteil der homophoben Gewalttaten verantwortlich, lässt sich durch keine seriöse Statistik belegen, dennoch wabert es beständig durch die Köpfe. Und auch mancher Schwule und manche Lesbe mögen im Falle von Pro Köln ganz in Matussek-Lewitscharoff-Manier gedacht haben: Das wird man ja wohl sagen dürfen!

 

In diesem Jahr ist keine politische Vereinnahmung des CSD zu erkennen. Wie in jedem Jahr werden die Parteien auf dem Heumarkt Einigkeit im Kampf gegen Homophobie demonstrieren. Homophobie wird nicht geduldet, wird es heißen, auch wenn so mancher FDP-Politiker in der Vergangenheit im Bundestag anders gestimmt hat oder die SPD um der Großen Koalition willen die Entscheidung über eine schwul-lesbische Gleichstellung dem Bundesverfassungsgericht überlässt. Mag es hier und da auch zu Buhrufen kommen — so wie die Politiker sich auf der Bühne einig zeigen werden, ist sich das Publikum davor einig in seinem Glauben, dass man die Reden hinter sich bringe muss, um sich dem eigentlichen zu widmen — dem Biertrinken. Sogar wenn es beim Thema »sexuelle Selbstbestimmung« ans Eingemachte des schwulen Selbstverständnisses geht, bleibt es beunruhigend ruhig. Selbst die aktuelle Diskussion um die Verhinderung von »Vergnügungstätten«  im Rahmen der neuen Bebauungspläne, mit denen en passant die Einrichtung von Darkrooms verhindert würde, ließ bei den betroffenen schwulen Männern nur kurz das Licht angehen.

 

Bei den vielen Events und Partys gilt es aber, die Notwendigkeit schwul-lesbischer Selbstorganisation nicht aus den Augen zu verlieren. Auch wenn den nachkommenden Generationen die Notwendigkeit von geschützten Räumen nicht mehr unmittelbar ersichtlich ist, die wichtigsten Initiativen und Institutionen entstanden unter dem Druck von außen, weil man damals nicht umhin kam, sich zu wehren, zusammenzufinden, Solidarität zu üben. Die Aids-Hilfen sind so entstanden oder das SCHuLZ, einst das größte schwul-lesbische Zentrum in Europa. Am ehesten lässt sich diese Verschiebung von Dringlichkeiten in der schwul-lesbischen Medienlandschaft der Stadt verorten. Sie entstand 1985 mit einem kopierten Veranstaltungskalender mit dem Titel Raus in Köln (RiK), auf den ambitionierte Projekte wie die Queer im monatlichen Zeitungsformat folgten, und ist heute zu einer gewaltigen Dauerwerbesendung mit Mode-, Möbel- und Wellness-Specials verkommen. Und den Untergang von Flash, der letzten originären Kölner Initiative, vermochte im vergangenen Jahr auch eine Crowdfunding-Kampagne nicht mehr zu verhindern.

 

Das Leben von jungen Schwulen und Lesben unterscheidet sich eben grundsätzlich von dem der Älteren, die sich noch gegen handfeste Diskriminierungen durch den Paragrafen 175 oder aufgrund der Aids-Krise wehren mussten. Aber auch wenn es in Köln keine homophoben Proteste wie in Frankreich gibt und kein Aufruf gegen die Behandlung von gleichgeschlechtlichen Lebensentwürfen im Schulunterricht gestartet wird wie in Baden-Württemberg  — Schwule und Lesben sind auch in Köln eine Minderheit, deren Rechte und Freiräume man auch abseits der Events und Medienspektakel sorgsam im Auge behalten sollte.

 

Die Meisner-Nachfolge wird sich hinziehen. Frühestens Ende des Jahres ist mit einem neuen Erzbischof in Köln zu rechnen. Genug Zeit, sich vorzubereiten. Denn gleichgeschlechtliche Partnerschaften sind weitaus mehr als nur eine Form des sexuellen Zusammenlebens. Homophobie aber ist die Keimzelle einer undemokratischen Gesellschaft.