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Navid Kermani: »Große Liebe«

»Das erste Mal hat er mit 15 geliebt und seither nie wieder so groß«, da ist sich der Protagonist sicher. Auch 30 Jahre später noch, als er die Geschichte erinnert, aufschreibt, reflektiert und andere Gewissheiten von damals befremden — dass nur die Verhinderung des  Nato-Doppelbeschluss den Weltuntergang aufhalten kann, alles Private politisch, die Birkenstocksandale nicht nur eine orthopädische Haltungsfrage ist. So war das in den 80ern, als die Friedensbewegung auch jene westdeutsche Kleinstadt erreicht, wo der 15-Jährige sich unsterblich in »die Schönste des Schulhofs« verliebt. Wie groß, wie lächerlich, wie zerrüttend kann Liebe sein? Befördert sie die pubertäre Identitätssuche, oder ist sie vielmehr die gewaltigste Erfahrung von Selbstvergessenheit, Ich-Verlust? Navid Kermani, Jahrgang 1967, konfrontiert die durchaus komische 80er-Geschichte mit dem hohen Ton arabisch-persischer Liebesmystik. Das ist gewagt, hochpoetisch, verwirrend schön — und eine besondere Stimme in der eher risikoscheuen deutschen Gegenwartsliteratur.

 


Hanser 2014, 224 Seiten, 18,90 €