Gebäude 9 will never dead — zumindest bis nächstes Jahr | Foto: Manfred Wegener

Sind die noch zu retten?

Wird der wichtigste Kölner Musikclub »Gebäude 9« abgerissen, um Platz für Wohnungen zu schaffen? Die Proteste gegen die Pläne der Stadt überschlagen sich

Tomte-Sänger Thees Ullmann und Pavement-Boss Stephen Malkmus drückten via Videobotschaft ihre Solidarität aus. Die Kölner Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach appelliert an die eigene Stadtspitze, den Club zu erhalten. Die Ultragruppe »Coloniacs« protestiert beim FC-Heimspiel mit einem Banner. Und die Facebook-Gruppe »Rettet das Gebäude 9« hatte binnen weniger Tage mehr als 15.000 Follower. »Das ist überwältigend«, sagt Jan van Weegen, der mit Pablo Geller den Musikclub an der Deutz-Mülheimer Straße betreibt.

 

Es war am 24. März, als die Bezirksvertretung Mülheim jenen Beschluss fasste, der für so viel Aufregung und Unterstützung sorgte: Auf dem »Euroforum Nord«-Gelände, wo auch die Fabrikhallen stehen, in denen seit 1996 das Gebäude 9 untergebracht ist, sollen knapp 300 Wohnungen errichtet werden. Die Pläne sind Teil der seit 2008 diskutierten Neugestaltung des Mülheimer Südens. Das gesamte Gebiet erstreckt sich vom Rhein bis zur Deutz-Mülheimer Straße und von der Zoobrücke bis kurz vor die Mülheimer Brücke. Die Stadt will auf den alten Industriebrachen dringend benötigten Wohnraum für insgesamt 3000 Menschen schaffen, außerdem sollen Parks angelegt werden und Grünstreifen zum Rheinufer führen.

 

Doch dabei hat man offensichtlich das Gebäude 9 und dessen Bedeutung übersehen. Jenen 1996 eröffneten Laden, der schnell zum renommiertesten Kölner Konzertveranstalter wurde, weil es hier das geschmackssicherste Programm gibt und die interessantesten Musiker und Bands auftreten. Viele  Menschen zwischen 20 und 50 mit Faible für alternative Kultur pflegen ein fast schon romantisches Verhältnis zu dem abgerockten Laden — nicht nur in Köln. Aus all diesen Gründen, die die Stadtverwaltung offenbar nicht kennt, schlagen die Wellen derzeit so hoch. Denn den derzeitigen Plänen zufolge müsste das Gebäude 9 umziehen oder sogar schließen, falls kein Ersatzort gefunden wird.

 

»Ich war überrascht von der Heftigkeit der Proteste«, sagt Franz Josef Höing, Dezernent für Stadtplanung. Bei den Workshops zum Mülheimer Süden habe eine konstruktive Atmosphäre geherrscht, erzählt Höing. Zwischen Oktober und Dezember vergangenen Jahres fanden mehrere Workshops mit zwei Architektenteams statt, bei denen Grundstückseigentümer, Nutzer und Anwohner ihre Vorschläge einbringen konnten. Man traf sich auf dem Gelände, wo sich auch das Gebäude 9 befindet. In den Workshops wurde mehrfach zu Protokoll gegeben, dass das Gebäude 9 erhalten bleiben solle. In dem jetzigen Bebauungsplan-Entwurf ist dem Club allerdings ebenso wenig ein Bestandsschutz eingeräumt worden wie den anderen Mietern auf dem Hofgelände, unter anderem eine Fahrradwerkstatt und mehrere Künstlerateliers. Nur das »Kunstwerk« steht nicht zur Disposition. Der Bestand des Künstlerhauses ist durch einen Erbpachtvertrag garantiert.

 

Im Gegensatz zu Stadtplanungsdezernent Höing ahnte die lokale Politik durchaus die Brisanz ihres Beschlusses. Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs (SPD) ließ die Entscheidung der Bezirksvertretung an die Bedingung knüpfen, »dass sich die Verwaltung gemeinsam mit dem Eigentümer intensiv bemüht, einen geeigneten Alternativstandort für das Gebäude 9 zu finden«. Nach den heftigen Protesten sah sich der zuständige Stadtentwicklungsausschuss am 3. April jedoch außerstande, eine Lösung zu finden. Die heikle Angelegenheit wurde vertagt, nun soll in der Sitzung am 8. Mai der Flächen­nutzungs- und Bebauungsplan beschlossen werden. Man wollte Zeit gewinnen, um in Gesprächen zwischen dem Grundstückseigentümer, dem neuen Investor und den Clubbetreibern doch noch eine Lösung zu finden.

 

Einen ersten Erfolg gab es am 11. April, als sich Vertreter der Stadt, des neuen Investors, der Frey Immobilien AG, und die Gebäude-9-Betreiber einigten, den Mietvertrag zunächst zu den alten Konditionen zu verlängern. Die Kündigungsfrist beträgt ein Jahr —
bis April 2015 ist der Erhalt also gesichert. Des weiteren bleibt die Einigung wenig konkret: man wolle das Gebäude 9 vorzugsweise am bestehenden Ort erhalten, ohne jedoch die für den Wohnungsbau geplante Fläche zu reduzieren.

 

Was müsste geschehen, damit das Gebäude 9 am Ort bleiben kann und trotzdem der Wohnungsbau wie geplant vonstatten geht? Ist das überhaupt möglich, oder wäre der Lärm für die neuen Nachbarn zu hoch? Rechtfertigt allein der Bau von knapp 300 Wohnungen den Abriss dieses Aushängeschilds der Stadt? Und schießlich: Wäre ein Umzug möglich und den Betreibern zuzumuten?

 

Anne Luise Müller, Leiterin des Stadtplanungssamts, ist »trotz des enormen Zeitdrucks zuversichtlich, dass es Lärmschutzmaßnahmen geben kann, die den Bestand auch im geplanten Wohngebiet ermöglichen können«. Müller sagt auch: »Ein Investor wäre sicher schlecht beraten, hier keine Einigung mit dem Gebäude 9 zu erzielen.« Um den Bestand in der derzeitigen Halle zu sichern, müssten aber zunächst Bausubstanz und Brandschutz in der Halle 9 geprüft werden. Jan van Weegen ist skeptisch, ob das Gebäude 9 als Teil eines Wohn- und Gewerbegebiets denkbar ist. »Das ergibt mehr Sinn, wenn man den ganzen Kunst- und Gewerbehof, und auch die benachbarte Gasmotorenfabrik erhält«, sagt er.

 

Thomas Luczak sieht das ähnlich. Der Ehrenfelder Architekt hat sich den Entwurf des Bebauungsplans angeschaut. Seiner Meinung nach gibt es zwei Möglichkeiten für den Erhalt des Gebäude 9: Entweder könnte man den gesamten Hof aus dem Bebauungsplan herausnehmen. Oder man ändert den Plan, auf dem derzeit noch der Kunst- und Gewerbehof zerschnitten ist: Kunstwerk und Kunstetage liegen in einem Gewerbegebiet im Süden des Gebiets, nur der nördliche Teil des Hofes samt Gebäude 9 ist als Mischgebiet ausgewiesen. Luczak empfiehlt, auch den nördlichen als Gewerbegebiet auszuweisen und vom Wohnungsbau freizuhalten. Dann könnte das Gebäude 9 mit einem entsprechenden Schallschutz bleiben.

 

»Aber das ist letztlich Politik«, sagt Luczak. »Wenn man will, dann geht das auch.« Zumal sein Vorschlag, kaum Einschränkungen für den Investor bedeuteten, wie Luczak anfügt. Das direkt anschließende Wohngebiet im Norden müsste lediglich etwas kleiner ausfallen. Wie viele der voraussichtlich knapp 300 Wohnungen bei einem Verbleib des Gebäude 9 wegfielen, ist unklar. Einige Kritiker fragen sich auch, welche Art von Wohnungen hier überhaupt entstehen werden. »Köln braucht Wohnraum, keine Frage«, sagt Thor Zimmermann von der Wählergruppe Deine Freunde. »Entscheidend ist aber, dass die Wohnungen auch mehrheitlich bezahlbar werden«, so Zimmermann. »Das ist ja keine Genossenschaft, sondern ein Investor. Ob das den Druck aus dem Wohnungsmarkt nimmt, bezweifle ich stark«. Planungsdezernent Franz Josef Höing hatte hingegen immer wieder betont, dss bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden solle. Auch wenn die Mieten nicht durchweg niedrig sein würden, so Höing, ergäben sich günstige Effekte auf die Mieten in anderen Vierteln.

 

Sollte sich der Investor aber dagegen sperren, dem Gebäude 9 weiterhin die Halle zu überlassen, gäbe es als Alternative nur noch einen Umzug. Hinter vorgehaltener Hand wird von einem möglichen Ersatzgelände jenseits der ICE-Trasse in Richtung Auenweg gesprochen. Planungsdezernent Höing betont, dass es auch einen Verbleib in direkter Nachbarschaft geben könnte. »Man kann jetzt nicht sagen: Dies oder das ist grundsätzlich unrealistisch«,
so Höing.

 

Könnte man einen Umzug  nicht auch als Chance begreifen? In das Gebäude 9 ist aufgrund der Planungsunsicherheit der vergangenen Jahre kaum investiert worden, die Toiletten sind eine Zumutung, der Sound lässt häufig zu wünschen übrig. Wäre ein Neubeginn und die damit verbundene Planungssicherheit für die Betreiber eine gangbare Option? Jan van Weegen ist auch hier skeptisch. »Ob das an einem anderen Standort funktioniert, kann man nicht sagen. Vielleicht schauen die Leute mal vorbei und sagen dann: Danke, aber das ist nicht mehr das, was wir kannten und gut fanden.«

 

Die Initiative zur Rettung des Gebäude 9 läuft derweil weiter, täglich kommen neue Unterstützer hinzu, werden Videobotschaften von Musikern aus der ganzen Welt hochgeladen. Die daraus entstandene Debatte ist auch unabhängig von der Zukunft des Gebäude 9 wichtig, denn sie zeigt, dass die Politik lernen sollte, nicht nur die Hochkultur in den Blick zu nehmen. Aber auch jene Unterstützer, die aus Stadt und Verwaltung ein kulturfressendes Monster machen, müssen Differenzierung proben. Und schließlich werden grundlegende Fragen gestellt: In was für einer Stadt wollen wir leben? Ist der Wert von Kultur zu quantifizieren, und mit dem Wert von Wohnraum aufzuwiegen? Und natürlich: Wem gehört die Stadt?

 

Jan van Weegen und Pablo Geller haben für derlei Überlegungen wenig Zeit. Neben der Rettung müssen sie sich schließlich um das Tagesgeschäft kümmern. Am Freitag steht eine Party an, am Samstag ein Konzert. Der Laden läuft weiter.