Fotografie als Bekenntnis

Ohne ihn ist die Geschichte der Fotometropole Köln nicht zu erzählen: L. Fritz Gruber, Sammler, Entrepreneur und engagierter Kunstvermittler. Zum 95. Geburtstag ehrt ihn das Museum Ludwig mit einer Ausstellung. Kerstin Stremmel traf den Jubilar vor der Eröffnung

Es gibt nicht mehr viele Kölner, die damals bei Konditormeister Bremer in Lindenthal ihre Brötchen gekauft haben. Vielleicht nur noch einen, der zu dem Fotografen, der den selbstbewussten Hand-werker 1928 in einem einprägsamen Portrait frontal ablichtete, eine enge Beziehung hatte. L. Fritz Gruber kannte August Sander, er ging mit seinem Sohn zur Schule, verkehrte in seinem Haus und widmete ihm 1951 auf der Photokina eine umfangreiche Ausstellung – zu einem Zeitpunkt, als Sander in Köln fast vergessen war.
Von 1950 bis 1980 leitete Gruber den kulturellen Teil der Fotoindustriemesse und zeigte neben allen Facetten des Mediums auch künstlerische Fotografie, sowohl Gruppenausstellungen zeitgenössischer Fotografen wie wichtige Einzelpositionen, von denen er viele auch in seinem opulenten Buch »Große Photographen unseres Jahrhunderts« von 1964 vorstellte. Dazu gehörten Man Rays experimentelle Bilder ebenso wie Irving Penns nüchtern-perfekte Portraits oder die verspielten Aufnahmen, die Jacques-Henri Lartigue von der französischen Bourgeoisie machte. Wilfried Wiegand bedauert wohl zu recht in seiner Gruber-Hommage »Gentleman und Citoyen«, dass »jener entdeckerische Glanz, den Grubers beste Photokina-Ausstellungen verbreitet haben, jene selbstverständliche Internationalität, jene Atmosphäre aus Wagemut und Engagement« nach Grubers Ausscheiden im Jahr 1980 verschwunden sind.
Ohne Gruber wäre Köln nie die sogenannte deutsche Fotometropole geworden. Er ist letztes lebendes Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Photographie, und er hat ein Jahrhundert lang in Deutschland dieses Medium durch Vermittlungsarbeit so befördert wie kein anderer. Wie viele Fotografen er persönlich kannte, kommt auch in seiner Sammlung zum Ausdruck, die er 1977 an das Museum verkaufte, nachdem Kulturdezernent Hackenberg bei einer Ausstellung im Kölnischen Kunstverein richtig erkannt hatte: »Das muss in Köln bleiben«. Dieses Konvolut, mittlerweile durch viele Schenkungen Grubers ergänzt, ist Grundstock der Fotosammlung des Museums.
Eine kleine feine Auswahl der Sammlung ist anlässlich von Grubers 95. Geburtstag derzeit im Museum Ludwig zu sehen. Nach Einschätzung des Jubilars ist Direktor Kasper König ein großer Coup mit dem Kurator Jan Ketz aus der »Enkelgeneration« gelungen: »Er hat zu meiner Befriedigung etwas ganz anderes gemacht als ich die letzten 30 Jahre. Jetzt sind erstmals die großen Ikonen zu sehen.« Das ist neben der unbestrittenen Qualität von legendären Aufnahmen wie der perfekt inszenierten Gabel von André Kertész oder Man Rays »Selbstportrait mit Kamera« deshalb interessant, weil gleichzeitig die Geschichte von L. Fritz Gruber erzählt wird. Mit Man Ray etwa verband ihn eine besonders enge Freundschaft; ablesbar sind persönliche Beziehungen häufig auch an den Widmungen auf den Fotografien. Grubers Geschichte muss natürlich beginnen mit August Sanders Portrait von Dr. Paul Bourfeind, Grubers Deutschlehrer, in dessen Salon er unter anderen Alfred Döblin und Thomas Mann begegnete und der als sozialdemokratischer Stadtverordneter bei seinem Lieblingsschüler politisches Interesse weckte. So rief Gruber mit einem Freund den »Kölner Kurier« ins Leben und ist nach wie vor stolz, im Verbotsedikt von 1933 als verantwortlicher Redakteur genannt zu sein.
Gruber ist in der Ausstellung nicht selbst als Fotograf zu sehen, obwohl es zum Beispiel eine Anzahl Fotografenportraits von ihm gibt. Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass ihm stärker an der Vermittlung von Fotografie lag: »Ich bin nie mit meinen persönlichen Aufnahmen in den Vordergrund getreten.« Die Frage nach seinem Lieblingsfotografen beantwortet er spontan mit Irving Penn, dessen großartiges Portrait von Jean Cocteau aus dem Jahre 1948 in der Ausstellung vertreten ist. Aber der diplomatische Grand-seigneur ergänzt diesen Namen sogleich um viele andere. Die Fotografen, deren Werke in der Ausstellung zu sehen sind, hat der Sammler bis auf zwei Ausnahmen persönlich gekannt. So glückt in »Eine kleine Geschichte zur Fotografie«, was Jacques-Henri Lartigue ihm 1967 in einem Brief zugedacht hat: »Cher Fritz, what decoration should photographers give you? Unfortunately I am not very gifted for allegorical photography, but I can very well visualise the image, you surrounded by photographers you have encouraged.« (»Lieber Fritz, welche Auszeichnungen könnten Dir Fotografen verleihen? Leider habe ich kein großes Talent für allegorische Fotografie, aber ich kann mir sehr gut folgendes Bild vorstellen: Du inmitten all der Fotografen, die Du ermutigt hast.«)
Aber so überwältigend Grubers Erinnerungsschatz ist – dieser Mann sagt Sätze wie »Die zwanziger Jahre waren wunderbar« –, so interessiert verfolgt er auch das aktuelle Fotogeschehen. Die Schnelligkeit der digitalen Fotografie erscheint ihm als Symbol unseres Lebens, Fast-food-photography, die bislang noch nichts Großartiges hervorgebracht habe. Die Arbeiten von Gursky gefallen ihm jedoch trotz der Manipulation am Bildmaterial: »Ich bin sehr beeindruckt von dem, was die Becher-Schüler machen, in den Ausmaßen sprengt es meine Möglichkeiten, räumlich wie finanziell.«
Gruber hat sich selbst gerne fotografieren lassen, ein besonders gelungenes Bild ist das Portrait von Tillmann/Vollmer, das ihn in Pablo-Picasso-Pose zeigt, eine Nachstellung des berühmten Portraits von Irving Penn. Daran lässt sich zumindest dreierlei erkennen: Der Mann ist nicht uneitel – zu gut macht er sich in der Rolle des stolzen Spaniers – er verfügt über Humor, und er hat Spaß am Experiment. Im übrigen hat er zu den »Meisterwerken der Fotokunst«, wo »Pablo Gruber« neben anderen geistreichen Adaptionen abgebildet ist, ein sympathisches Vorwort geschrieben: »Denn, von Sammler zu Sammler gesprochen, nichts ist so langweilig und tödlich wie die unumstößliche Gewissheit«. Auch in der Ausstellung ist ein beeindruckendes Beispiel zu sehen, ein Gruber-Portrait von Hugo Erfurth: Das 1941 entstandene Bild schönt ihn nicht, zeigt ihn etwas erschöpft aber gelassen. Gruber hat in einem Artikel über Erfurth geschrieben: »Er suchte die Natürlichkeit, das schlichte vielsagende Antlitz«. Dass auch zahlreiche Dokumente aus dem Historischen Archiv in die Ausstellung integriert sind, komplettiert das Bild des Sammlers.
Eine Vielzahl der mehr als 2400 Fotografien umfassenden Sammlung Gruber sind persönliche Geschenke der Fotografen an den Sammler, der betont, dass er nie aus kommerziellen Gründen gesammelt habe. Gruber erwähnt zwar beiläufig, dass der Verkauf seines Konvoluts vielleicht etwas voreilig geschehen sei, da es angesichts der Preisentwicklung auf dem Fotosektor ein Vermögen wert wäre, doch hat man den Eindruck, dass er mit dem Verzicht auf Auktionsbeteiligungen eine seltene Form von Integrität bewahrt hat. Sollte allerdings die Sammlung nicht kompetent weiter betreut werden, wäre das ein Jammer. Eine feste Zusage für einen Fotokurator wäre eigentlich ein angemessenes Geburtstagsgeschenk gewesen. Der aufwändig gestaltete Katalog, die beeindruckende, den Objekten dienende skulpturale, gefaltete Ausstellungsarchitektur von Nikolaus Hirsch und Michel Müller, die sorgsam zusammengestellten Höhepunkte der Sammlung sind ein hervorragender Neubeginn des Umgangs mit einer der wenigen integrativen Persönlichkeiten der Fotoszene. L. Fritz Gruber ist nicht nur weit gereist und weltläufig, sondern hat ein Faible für die Stadt, die sich derzeit vieler kultureller Grundlagen beraubt.

Museum Ludwig, Bischofsgartenstr. 1, di 10-20, mi-fr 10-18 , sa+so 11-18 Uhr, bis 24.8.