Falsche Buhmänner

Christian Werthschulte war beim NSU-Prozess in München und hat sich sehr gewundert. Er meint: Nicht der Betroffenheits-Pop zum Keupstraßen-Gedenktag ist das Problem, sondern die Entwicklung des Prozesses. Ein Kommentar

Es muss endlich Schluss damit sein, auf »Arsch huh, Zäng ussenander« einzuprügeln. Wenn die üblichen Pop-Betroffenen am 9. Juni in Mülheim ihren nächsten Auftritt haben, muss man einfach zugeben: Gemeinsam BAP, Brings und die Bläck Fööss zu durchleiden schweißt zusammen. Das Bekenntnis zu »ethnisch-kultureller Vielfalt« und einer Gesellschaft, in der »rechtes Gedankengut nicht mehrheitsfähig ist«, wie es in der Ankündigung zum Konzert heißt – geschenkt. Diese kleinste Grundlage für ein zivilisiertes Zusammenleben wird in Köln eh kaum jemand in Frage stellen wollen.

Zweieinhalb Jahre nach dem Auffliegen des NSU muss man aber auch konstatieren, dass das gemeinsame Erinnern folgenlos bleibt, sobald parteipolitische Interessen ins Spiel kommen. Im Mai kündigte die Fraktion der Piratenpartei im Landtag an, dass sie einen Untersuchungsausschuss zum Versagen der Behörden nach den NSU-Attentaten in Köln und Dortmund beantragen will. Unterstützung hat den Piraten bislang lediglich die CDU zugesichert, die anderen Parteien stemmen sich dagegen. Ihr Verhalten ist parteipolitisch motiviert. Die SPD stellte zur Zeit der Anschläge in der Probsteigasse 2001 und in der Keupstraße 2004 mit Fritz Behrens den Innenminister, die Grünen regierten damals wie heute mit. Und der Mord an Mehmet Kubasik in Dortmund im Jahr 2006 fällt in die Amtszeit von Innenminister Ingo Wolf (FDP). Die Piraten haben wegen der parteipolitischen Querelen ihren Antrag bis Juni aufgeschoben, wenn Europa- und Kommunalwahlkampf vorbei sind.

 

Der Aufklärung schaden würde dieser Ausschuss nicht. Nach einem Jahr NSU-Prozess werden langsam die Grenzen des Strafverfahrens deutlich. Die Ungereimtheiten bei den beiden Kölner Bombenanschlägen wie die weiterhin ungeklärte Anwesenheit zweier Zivilpolizisten in der Keupstraße spielen nur eine marginale Rolle für die Beweisführung gegen Beate Zschäpe. Die Nebenkläger, die auf eine umfassende Untersuchung des NSU und seines Umfelds drängen, stoßen vor Gericht und in der Öffentlichkeit auf Widerstand. Sie sind in die Rolle des Buhmanns geraten und werden für den schleppenden Prozessverlauf verantwortlich gemacht. Federführend sind hierbei die öffentlich-rechtlichen Medien. Der SWR beschuldigte die Nebenkläger in einem Kommentar sogar, die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens zu gefährden. Trauriger Höhepunkt war ein Gespräch mit dem Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler im Deutschlandradio. Nachdem er dem Moderator in seiner Einschätzung der politischen Konsequenzen des NSU-Skandals widersprochen hatte, brach dieser das Gespräch ab.

 

Gegen Bier und Rockmusik auf der Keupstraße kann niemand ernsthaft etwas haben. Wohl aber gegen Erinnerungsrituale, die übertünchen, dass sich für eine ernsthafte Aufarbeitung des Anschlags immer weniger zu interessieren scheinen.