»Ich würde auch im Andromeda-Nebel drehen«

Werner Herzog ist neben Rainer Werner Fassbinder und Wim Wenders einer der einflussreichsten und streitbarsten deutschen Nachkriegsregisseure. Mit »Invincible«, der teilweise in Köln produziert wurde, kommt im Herbst zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder ein Spielfilm von ihm in die Kinos. Ein Interview mit dem Neu-Amerikaner über den deutschen Film und die Suche nach der ekstatischen Wahrheit.

Es schien, als hätte Werner Herzog eine lange Schaffenspause eingelegt, ehe er vor zwei Jahren mit »Mein liebster Feind« wieder auf der Leinwand zu sehen war. Seine ambivalente Hommage an Klaus Kinski, mit dem er fünf Filme gedreht hatte, wirkte auch wie ein Blick zurück auf ihre vermeintlich kreative Hochzeit in den 70er und 80er Jahren, als »Nosferatu«, »Aguirre – der Zorn Gottes« oder »Fitzcarraldo« entstanden. Tatsächlich dreht Werner Herzog, der im nächsten Jahr 60 wird, nahezu jedes Jahr einen Film, nur kommen die wenigsten in die deutschen Kinos. Nachdem er in den 90er Jahren nahezu ausschließlich Dokumentarfilme produziert hat, wird er in diesem Herbst mit dem Spielfilm »Invincible« antreten, einer internationalen Großproduktion über den Magier Hanussen und den ehemals »stärksten Mann der Welt« Zishe Breitbart, der am Vorabend der Machtergreifung glaubte, das jüdische Volk vor den Nazis schützen zu können.
Der seit einiger Zeit in San Francisco lebende Herzog ist einer der eigensinnigsten Regisseure, den das deutsche Nachkriegskino hervor gebracht hat, ein Egomane, der immer wieder ein Thema variiert: das des Einzelnen, der die gefestigten zivilisatorischen Wege verlässt und sich Pfade durch eine ungebändigte Natur bahnt. So ist jeder seiner Filme auch ein Film über Herzog selbst, der ohne Strom und Telefon in einem kleinen bayrischen Dorf aufwuchs, und seither immer wieder die abgelegensten Landschaften aufsucht. Wenn die Alpen dafür nicht ausreichen, sind es südamerikanische Urwälder, in deren unerschlossenen Landschaften er die Entsprechungen seiner inneren Landschaften zu finden hofft. Der erklärte Feind der Dokumentarfilmschule des Cinéma Vérité ist auf der ständigen Suche nach der erfassbaren Wirklichkeit, die nicht mit der Wahrheit zu verwechseln sei, denn, so entschied er 1999 apodiktisch in seiner »Minnesota Declaration« (nachzulesen unter www.wernerherzog.com): »Mit Kraft dieser Erklärung ist das so genannte Cinéma Vérité ohne Wahrheit. Es erreicht bloß eine oberflächliche Wahrheit, die Wahrheit der Buchhalter. Der Fehdehandschuh ist hiermit geworfen«.
Werner Herzog war Gast der Filmstiftung NRW auf dem Kölner Medienforum. Wenige Stunden zuvor hatte er noch Opernregie in Buenos Aires geführt, »Tannhäuser«. Wagner, Nietzsche, Ludwig II – das sind Bezugspersonen und Vertraute eines schöpfungsbesessenen Regisseurs, der eigentlich Stipetic heißt und sich den Künstlernamen so sorgfältig wie seine Filmlandschaften wählte.

SR: Wenn sich deutsche Regisseure an der Westküste der USA niederlassen, dann in der Absicht, ein Teil von Hollywood zu werden. Ist das auch Ihre Absicht gewesen?

Herzog: Richtig ist, dass ich seit einigen Jahren in San Francisco lebe, aber das hat rein private Gründe. Es ist nicht so, dass ich jetzt plötzlich auf Hollywood machen will. Meine Frau, die aus Sibirien kommt, lebt schon länger in Kalifornien, nur deshalb lebe ich jetzt auch da.

Gibt es gegenwärtig eine kulturelle Szene, der Sie sich zugehörig fühlen?

Ja, das ist selbstverständlich die bayrische Kultur, der ich mich immer zugehörig fühle! Die deutsche Kultur, mit ihr das Kino, ist seit einiger Zeit von einem Klima der Wehleidigkeit geprägt. Dieses Klima entstand bald nach der Wiedervereinigung, nach dem die erste riesige Euphorie verflogen war. Dieses politische Klima ist dann auch auf die Kultur übergegangen. Und Wehleidigkeit ist das Letzte, was ich ausstehen kann. Das ist vielleicht auch mit ein Grund, in den USA zu sein, weil mir diese Wehleidigkeit wesensfremd ist. Ich war immer mutig in den Dingen, die ich tat. Ärmel hochkrempeln und die Dinge anpacken.

Wie kam es dazu, dass ein bayrischer Neu-Amerikaner in Nordhein-Westfalen dreht und mit der Filmstiftung NRW kooperiert?

Zur Filmförderung hier kann ich sagen, dass beispielsweise in Bayern nicht die Lebendigkeit vorhanden ist, die hier in Nordrhein-Westfalen vorherrscht. Ich war auch hier sehr skeptisch zunächst und habe gefragt: Kann ich dieser Filmförderung trauen? Man kann ihr trauen, hier gibt es erstklassige Leute, damit meine ich nicht nur die Köpfe der Filmförderung, sondern auch die Handwerker, die wir am Set hatten, und die ganz hervorragende Arbeit für den Film geleistet haben. Ich war der hiesigen Filmförderung gegenüber zunächst misstrauisch, weil ich dachte, das sei hier irgendwie über Nacht entstanden, bis ich merkte, dass das gewachsen ist. Diese Kombination der richtigen Kräfte erlaubte mir, mit »Invincible« einen großen epischen Spielfilm zu machen. Ich sitze in der Gewissheit hier, dass wir uns damit nicht verstecken müssen.

Sie haben sich mühselig die Rechte an Ihren alten Filmen zurückgeholt, warum gelingt Ihnen das ausgerechnet beim jüngsten Film nicht?

Bei »Invincible« ließen sich die britischen Partner nicht darauf ein, es war das sine qua non dieses guten und sehr tüchtigen englischen Verleihs – das ist eben die Kehrseite einer facettenreichen Produktion mit sehr vielen Beteiligten und Verleihen in verschiedenen Ländern, in Deutschland, England, USA.

Je mehr Partner an Bord sind, desto größer ist die Anzahl der Kompromisse – das ist Ihrer Arbeitsweise eigentlich sehr fern.

Nein, damit kann ich ganz gut leben. Es war unabdingbar, es so zu machen. Die Frage ist immer, wie man mit den Wünschen der Partner umgeht. In unserem Fall war es relativ einfach. Die englischen Partner verlangten ein bestimmtes Kontingent englischer Mitarbeiter. Also haben wir den Ton und die Nachsynchronisation in England gemacht, die Kostüme wurden in England gemacht, und wir haben einen englischen Schauspieler, Tim Roth. Den wollte ich sowieso haben, da wusste ich noch gar nicht, dass er Engländer ist. Ich dachte, er sei Amerikaner. Natürlich ist auch die Auswahl der Drehorte davon bestimmt. Aber auch das geht, denn ob ich Innenräume in Kiew bauen lasse oder dann in Bad Honnef, weil wir ja auch einen Effekt für die Region hier haben wollten, ist vergleichsweise egal. Die Engländer haben am Ende ein bisschen gemault, dass ich nicht auf ihrem Territorium gedreht habe. Ich habe dann gesagt, dass ich ja ganz unbedingt noch auf den Christmas Islands drehen müsste, und die gehören schließlich zu Australien. Damit waren sie dann halbwegs zufrieden gestellt. Auf diese Voraussetzungen kann man sich also einstellen, wer das nicht kann, ist fehl am Platz. Ich würde auch im Andromeda-Nebel drehen, wenn es denn sein müsste.

Seit einigen Monaten wird hier mal wieder emsig über Zustand und Perspektive des deutschen Films gesprochen, weniger in Bezug auf seine Qualität als auf seine Wettbewerbsfähigkeit, also unter Standortaspekten. Ihre Position?

Mir scheinen die Sorgen übertrieben. Die Schwäche des deutschen Films war, dass sich die Produktionen lange Zeit auf Komödien versteift haben, diese Welle ist jetzt aber endlich abgeebbt. Es sind genügend junge Talente da, das ist gar keine Frage. Ein Problem ist allerdings, dass viele Talente nach ein, zwei guten Filmen verschwinden, und ich weiß nicht wohin. Machen die dann Werbung?

Bavaria-Chef Rohrbach beklagte in der Spiegel-Debatte zum deutschen Film, dass deutsche Produktionen in den USA nicht wahrgenommen werden. Hat er Recht?

Man kann das nicht generalisieren, es sind immer nur einzelne Filme, die wahrgenommen werden, nicht der deutsche Film – oder welcher auch immer – an sich. Wann das der Fall ist, ist mir auch nicht immer durchschaubar. Grundsätzlich interessieren sich die Amerikaner aber nicht für ausländische Filme. Es gibt immer wieder nur Ausnahmen. Vor anderthalb Jahren wurde in den USA »Nosferatu« auf DVD und Video herausgebracht, ein 20 Jahre alter, dort unbekannter Film, von dem dann bizarrerweise 300.000 in fünf Wochen verkauft wurden. Wieso das so ist, kann ich nicht erklären. Interessanterweise waren die Amerikaner, in diesem Fall New Line Cinema, jetzt die Ersten, die bei »Invincible« an Bord waren. Die haben das Buch gelesen und am nächsten Tag gesagt, egal was auch passiert, wir müssen dabei sein. Das war natürlich auch eine Ermutigung für die europäischen Partner, dass sie wussten, der Film kommt auch in den USA in die Kinos.

Sind Wolfgang Petersen und Lothar Emmerich amerikanische Regisseure?

Absolut. Das haben die aber immer schon angestrebt, bereits als sie noch hier arbeiteten. Der Gang nach Hollywood war immer deren Fernziel, daran haben sie immer gearbeitet, das haben die dann ja auch gut gemacht. Deshalb kann man nicht sagen, dass mit Petersen und Emmerich der deutsche Film eine Chance hatte, beide sind von Hollywood völlig absorbiert, sie bewegen sich innerhalb der Definitionsmacht von Hollywood.

Sie haben mit einem der erfolgreichsten Deutschen in Hollywood zusammengearbeitet, mit dem Oscar-ausgezeichneten Filmkomponisten Hans Zimmer. Hat er nicht das Budget gesprengt?

Er wollte mir die Musik sogar schenken, aber dann wäre Schenkungssteuer fällig gewesen. Wir haben uns dann auf einen Dollar geeinigt. Zimmer, den ich sehr schätze, hat mir verraten, dass »Fitzcarraldo« sein Leben verändert hat. Sein Traum war immer, Komponist zu sein, und nach »Fitzcarraldo« wusste er, dass Träume umsetzbar sind. Am selben Tag noch, als er den Film sah, hat er seine damalige Band, ich glaube es war Tangerine Dream (es waren die Buggles, Anm. d. Verf.) verlassen, sich ein fünftklassiges Hotelzimmer in L.A. genommen und sich ganz allmählich zum erfolgreichsten Filmkomponisten heraus gemausert, der jetzt als Musikchef von Dreamworks 1,5 Millionen Dollar pro Film bekommt. Er wollte mir die Rechte auf unbefristete Zeit geben, aber ich habe ihm gesagt, das ist mir zu lang, das macht mir Angst, ich möchte einen Tag abziehen. Jetzt steht im Vertrag: »perpetuity minus two days« – für alle Ewigkeit minus zwei Tagen – weil er für sich auch einen Tag abgezogen hat.

Woher kommen die interessantesten Filme zurzeit, wenn man in regionalen Kategorien denkt?

Aus England, Frankreich oder Polen kommt jedenfalls nichts Weltbewegendes zurzeit. Die besten Filme der Welt kommen seit einiger Zeit aus dem Iran. Ein Teil auch aus China. Warum das so ist, warum manchmal für einige Zeit ein bestimmtes Land das Kino beherrscht, ich weiß es nicht.

Sie haben eine Rolle in dem Dogma-Film »Julien Donkey-Boy« des jungen Regisseurs Harmony Korine übernommen, ein Film, der hier leider keinen Verleih fand. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Ich bin interessanterweise für viele Dogma-Filmer ein Vorbild, obwohl ich selbst nie irgendwelche ihrer Dogmen in meinen Arbeiten angewendet habe. Und auch für Korine, der mit »Donkey-Boy« den ersten amerikanischen Dogma-Film gemacht hat, bin ich eine Art Vaterfigur. Tatsächlich wollte er zunächst auch die Hauptrolle in dem Film spielen, also meinen Filmsohn, aber er hat sich dann auf die Regie beschränkt, weil es ihm zu viel wurde.

Sowohl Ihre Dokumentationen als auch Ihre Spielfilme behandeln immer wieder Individuen, die allein in ein gefährliches und unbekanntes Gelände geworfen werden und dort zu überleben versuchen. Fitzcarraldo, Aguirre oder die einzige Überlebende eines Absturzes im Urwald, Juliane Koepcke. Wieso diese obsessive Variation dieses Themas?

Ich weiß es nicht, weil ich mich nicht mit mir beschäftige und ich will das auch in Zukunft nicht tun. Aber es gibt eine Verwandtschaft der Hauptfiguren und eine Wesensverwandtschaft der Themen in meinen Filmen, und auch eine bestimmte Handschrift, an der meine Filme zu erkennen sind. Tatsache ist, dass diese Genreunterscheidung es nicht genau trifft in meinem Fall; denn meine so genannten Dokumentation sind ebenfalls hoch stilisiert, und meine Spielfilme sind auch dokumentarisch. Wenn sie so wollen, ist »Fitzcarraldo« mein bester Dokumentarfilm. Ich bin immer hinter einer anderen Wahrheit als der Wahrheit des Cinéma Vérités her, die für mich lediglich die Wahrheit der Buchhalter ist. Ich bin hinter einer anderen Wahrheit her, die ich die ekstatische Wahrheit nenne. Eine Wahrheit, die sehr viel tiefer im Kino drin sitzt, wie Sie es auch aus Gedichten kennen, wenn Sie empfinden, dass dort eine Wahrheit verborgen ist, die Sie nicht analysieren müssen.

Aber diese Wahrheit suchen Sie konsequent in unwegsamen Gegenden, in der Natur. Ist ein Herzog-Film in der Stadt denkbar?

»Invincible« spielt schon zu Teilen in der Stadt, auf den Christmas Islands habe ich nur einige Traumsequenzen gedreht. Ich habe auch noch ein Projekt in Planung, das ich in San Diego realisieren müsste. Aber es stimmt schon, ich dreh lieber draußen. Ich funktioniere immer am besten, wenn es physisch wird.

»Invincible« startet am 8.11. in den deutschen Kinos. Eine Besprechung folgt in der Novemberausgabe der StadtRevue.