Stinkt gewaltig: Primark-Filiale am Neumarkt | Foto: Manfred Wegener

Boykott ist auch keine Lösung

Der Textildiscounter Primark hat eine Filiale in Köln eröffnet

Schlangen bis zum Neumarkt, 3000 Menschen bei der Eröffnung, T-Shirts für 4 Euro — Anfang Mai hat Primark seinen Flagship-Store in Köln eröffnet. Für den Textil-Discounter ist er ein Prestigeobjekt, für seine Gegner eine weitere Gelegenheit, Kritik an den Zuständen in der Bekleidungsindustrie zu üben, die der irische Konzern wie kein zweites Unternehmen verkörpert.

 

»Primark bedient stark das Konsummuster ›Viel Kaufen für wenig Geld‹«, meint Kirsten Clodius von der Kampagne für Saubere Kleidung. Nicht nur die niedrigen Preise, auch die Einrichtung der Läden unterstützt dies. Am Eingang erhält man einen großen Korb, die Klamotten stapeln sich auf den eng zugestellten Etagen. »Den Preis dafür zahlen die Näherinnen in Bangladesch« ist das Standardargument gegen diese Zustände. Das stimmt. Und es stimmt es nicht. In seinen Fabriken in Bangladesch zahlt Primark den gesetzlichen Mindestlohn von rund 50 Euro. Nur reicht dieser gerade mal zum Überleben. Gewerkschaften und NGOs fordern deshalb schon länger einen »Living Wage«, einen Existenzlohn, für die Textilbranche, der in Bangladesch bei 259 Euro im Monat läge. Laut einem aktuellen Bericht der »Clean Clothes Campaign« ist Primark bei der Einführung des Existenzlohns weiter als höherpreisige Textilherstellern wie Esprit oder Versace. Primark erkenne die Notwendigkeit eines Existenzlohns an, bislang ließen sich jedoch keine konkreten Schritte zur Einführung erkennen, so der Bericht. »Primark ist gut in der Außendarstellung«, erläutert Kirsten Clodius.  Beim Fabrikeinsturz in Rana Plaza im vergangenen Jahr habe das Unternehmen schnell von sich aus Zahlungen an die Hinterbliebenen angeboten.

 

An den Arbeitsbedingungen ändert das freilich wenig — auch in Deutschland. Beim Schlendern durch den Kölner Primark fällt sofort der starke Chemie-Geruch auf, dem die Mitarbeiter während ihrer Arbeitszeit ausgesetzt sind. »Es gibt Gesundheitsprobleme«, berichtet Karin Zennig von der Frankfurter Verdi, wo sie Kontakt zum dortigen Primark-Betriebsrat hat. In Köln existiert ein solcher noch nicht, weil die Filiale noch zu jung ist. Rund 800 Menschen arbeiten in der Kölner Filiale, 700 davon in Teilzeit. Im Internet wirbt Primark mit Hilfe der Zeitarbeitsfirma Studitemps kurzfristig um Arbeitskräfte: Der Stundenlohn beträgt 9 Euro, die Wochenarbeitszeit 20 Stunden. Deklariert ist der Job als Nebenjob.

 

»Der tarifliche Stundenlohn liegt bei 14 Euro«, führt Benedikt Frank von der Kölner Verdi aus. Die Strategie der Textilbekleidungsketten: Angestellte werden für 20 Stunden eingestellt, der restliche Bedarf wird über Überstunden abgedeckt. Sozialleistungen richten sich aber nach der regulären Arbeitszeit. Auch bei Primark greift diese Strategie: Die Personalkosten liegen im einstelligen Prozentbereich. »Üblich sind im Textilhandel um die 20 Prozent«, erläutert Frank. Der Grund dafür ist die Abwesenheit von Beratung, die sowohl zeit- als auch personalintensiv ist. Die Verkäufer im Primark sind dagegen überwiegend mit dem Nachfüllen der Regale oder dem Auffalten von Ware beschäftigt.

 

Nicht nur die Arbeitssuche und Produktion hat Primark ausgelagert, auch die Werbung wird von den jungen Kunden selbst auf Instagram oder YouTube erledigt. »Haul« – »Ausbeute« — heißen die Videos, in denen Teenager ihre Einkäufe in die Kamera halten, den Preis erwähnen und zeigen, wie sie ihre neuen Klamotten miteinander kombinieren. Auf diese Weise schöpft Primark neben dem klassischen Mehrwert auch noch das ab, was der Postoperaist Matteo Pasquinelli als den »Netzwerk-Mehrwert« bezeichnet: die Aufmerksamkeit und Werturteile, die von den Nutzern sozialer Medien erzeugt werden.

 

Wie bei jedem postfordistischen Unternehmen wird die Ausbeutung also bis zum Kunden verlängert. Was aber kann man dagegen tun? Ein Konsumverzicht sei keine Lösung, meint Kirsten Clodius. »Die Näherinnen aus dem Süden, mit denen wir in Kontakt sind, bitten uns immer wieder, nichts zu fordern, was ihre Arbeitsplätze gefährdet.« Auch eine Fair-Trade-Option wie beim Kaffee existiere bei Kleidung nicht, man könne sich höchstens an Siegeln wie Fairwear orientieren.

 

Auch Karin Zennig überschätzt die Macht der Verbraucher nicht: »Die Lösung muss politisch sein.« Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen sei die sogenannte Eigentümerhaftung. In der Textilbranche ist es üblich, das Nähen an Subunternehmen weiterzugeben, die dann für die Arbeitsbedingungen in den Fabriken verantwortlich sind. Auf diese Weise sind die Textilketten aus der unmittelbaren Verantwortung entlassen. Das Prinzip der Eigentümerhaftung setzt dagegen den Auftraggeber, also die Textilkette, in die Position des Verantwortlichen. In Indien ist sie bereits Gesetz, um sie auch im Nachbarland Bangladesch einzuführen, ist vor allem Druck nötig. »Man muss die Selbstorganisation der Arbeiter unterstützen«, so Zennig. Gemeinsam mit Medico International vernetzt sie Textilarbeiter aus Bangladesch und Textilverkäufer aus Deutschland, damit diese ihre gemeinsamen Interessen in einer globalisierten Produktionskette vertreten können. »Wenn Sie nur in Bangladesch Druck aufbauen, ziehen die Firmen nach Burma«, meint Benedikt Frank. »Und wenn Sie nur in Deutschland Druck aufbauen, machen die Hersteller ein hübsches Label mit ein paar Blümchen drauf.«

 

Von: Christian Werthschulte

 

 

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