Eine bessere Welt im Kleinen

Sie gründen Baugruppen, suchen für ihre Pläne einen Investor oder bilden Genossenschaften. Immer mehr Menschen schließen sich zusammen, um gemeinschaftlich zu wohnen.

Es ist ein verstörendes Merkmal großer Städte: Obwohl so viele Menschen auf engstem Raum wohnen, bleiben sie einander fremd. Das warf schon immer die Frage auf, ob diese Anonymität wesentlich zur Metropole gehört — oder ob Großstädte nicht ganz anders sein könnten: Orte der Gemeinschaft. 

 

Die Versuche, städtisches Leben neu zu denken, sind so alt wie die Städte selbst. Wenn die Stadt nicht per se als Grund allen Übels angesehen wurde, dann sollte die bessere Gesellschaft — sei sie nun gottgefällig, tugendhaft oder solidarisch — eben auch durch den Bau besserer Städte befördert werden. Die großen Staatsutopien waren daher stets auch Anleitungen zur Reorganisation des städtischen Lebens. Städtebau und Architektur sollten Gemeinschaft schaffen, verfestigen und letztlich ein Ausscheren unmöglich machen — das ist der totalitaristische Kern all dieser Entwürfe. Dazu zählen Platons Politeia ebenso wie Thomas Morus’ Utopia sowie all die Planstadt-Entwürfe der Renaissance. Aber auch noch der Städtebau des 20. Jahrhunderts versuchte mittels Architektur Gemeinschaft zu programmieren: Die Hochhaussiedlungen der späten 60er Jahren, in Köln das »Demonstrativ-Bauvorhaben« in Porz oder die »Neue Stadt« in Chorweiler, sind Beispiele dafür. 

 

Eine Stadtplanung, die individuelle Bedürfnisse aus dem Blick verliert, ist heute verdächtig. Planungen sollen am besten nicht mehr von oben diktiert, sondern — unter fachkundiger Moderation — von unten entwickelt werden. Individualität und Gemeinschaft, so die Überzeugung heute, schließen sich nicht aus. Im Jargon der Planer heißt die leitende Kategorie »Durchmischung«, sowohl sozial (Milieus, Alter, Lebensformen) als auch funktional (Arbeiten, Wohnen, Freizeit) und architektonisch — denn die gängigen Grundrisse genügen längst nicht mehr den vielfältigen Bedürfnissen moderner Lebensentwürfe. 

 

Dazu gehört ebenso der Trend, sich zu Gemeinschaftsprojekten zusammenzuschließen, um in der Gruppe zu bauen und auch zu wohnen. Was die Menschen antreibt, den bürokratischen und organisatorischen Aufwand auf sich zu nehmen, ist die Hoffnung auf ein Leben in einer Gemeinschaft, die umfassender ist als die Kleinfamilie. Eine Sehnsucht, die ebenfalls in einer langen historischen Tradition steht: von den Klöstern des Mittelalters, über die frühsozialistischen Lebens- und Arbeitsgemeinschaften bis hin zu Kibbuz und Kommune. Deren Kritik am Privateigentum klingt in den heutigen Baugruppen in abgeschwächter Form nach: Die private Wohnung in Baugruppen ist häufig klein, manchem reichen Bett, Bad und Schreibtisch. Das Leben findet in Gemeinschaftsräumen statt: Treffpunkte, in denen man plant, Streit schlichtet, um Konsens ringt. Aber auch große Küchen und Esszimmer gehören dazu, außerdem oft Gemeinschaftsgarten, Bibliothek, Sauna oder Fitnessraum. 

 

Was Baugruppen und die großen Utopien jedoch unterscheidet, ist das Bekenntnis zum Individualismus. »Die Bedürfnisse der Baugruppen sind so individuell, dass Architekten und Investoren vor anspruchsvollen Aufgaben stehen«, meint Christl Drey, die Vorsitzende des Haus der Architektur Köln (hdak), das in Köln das »Netzwerk für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen« koordiniert. Hinzu kommt, dass die Mitglieder von Baugruppen in der Regel Eigentümer werden wollen. Was sie bauen, dient immer auch der Alterssicherung, samt erhoffter Wertsteigerung. Die neuen Wohn-Gemeinschaften bauen bevorzugt in innerstädtischen Lagen. »Neue Wohnprojekte am Stadtrand gibt es kaum«, bestätigt Christl Drey. »Die meisten Baugruppen bevorzugen die städtische Infrastruktur.« Dazu gehören gute Verkehrsanbindung, das kulturelle Angebot einer Metropole, Einkaufsmöglichkeiten und eine gute medizinische Versorgung. Eben das unterscheidet sie von früheren Formen alternative Wohnens. Die bessere Welt im Kleinen ist heute denn auch oft Endpunkt eines individuellen Lebensentwurfs, nicht Ausgangspunkt eines gesellschaftlichen Wandels. 

 

Aber obwohl die alten Utopien der 70er Jahre längst dem Pragmatismus gewichen sind, gehören Baugruppen doch zu einem Trend, der die Auffassung von städtischem Leben derzeit verändert. Immer mehr Menschen finden sich zu gemeinschaftlichen Projekten zusammen. Das reicht von Urban Gardening und alternativen Straßenfesten über selbstorganisierte Hilfen, etwa bei der Kinderbetreuung, bis hin zu Initiativen für eingeschränkten Autoverkehr im Viertel. Dabei galt die Idee von engagierter Nachbarschaft bereits als veraltet. Weil längst alle Lebensbereiche flexibilisiert sind: Der Wohnort ist nicht mehr Heimat. Viele Menschen halten sich länger an ihren oft weit entfernten Arbeitsplätzen auf, und auch die Freizeit verbringen sie anderswo. Hinzu kommt, dass sie den Arbeitsplatz häufiger wechseln und häufiger umziehen. Dass nun Nachbarschaft, Gemeinschaft und Solidarität beschworen werden, kann man daher auch als Reaktion auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen verstehen. Fast alle Baugruppen fühlen sich einem — vage formulierten — sozialen Ansatz verpflichtet. 

 

So findet sich in vielen Konzepten der Anspruch, alte Menschen zu integrieren. Auch, weil diejenigen, die in Gemeinschaft bauen und wohnen, selbst zu den sogenannten jungen Alten gehören. Auf die Pflege durch ihre Kinder können sie sich nicht verlassen, denn die arbeiten in anderen Städten oder sind beruflich eingespannt. 

 

Viele Baugruppen bestehen daher aus solventen Best-Agern, die das erforderliche Eigenkapital besitzen, um zu bauen, zugleich aber auch die Ideale eines sozialen Miteinanders pflegen. Andere wiederum bestehen aus jungen Familien, die ein angenehmes Umfeld in der Stadt für ihre Kinder suchen und denen die Reihenhaushälfte am Stadtrand zu bieder ist. Wieder andere planen Wohnprojekte, bei denen sich die Lebensstile mischen: jung und alt, Singles, lleinerziehende und Familien, Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher sexueller Orientierung auch. 

 

Solche Baugruppen schauen zunächst, ob sie als Gruppe zusammenpassen, klären ihre Erwartungen und Ansprüche und beginnen dann, mit Architekten die passende Wohnform zu entwickeln. Wenn sie einziehen, kennt sich die Gruppe bereits so gut, dass sich weniger Probleme ergeben als in Zweckgemeinschaften. Der Unterschied zu den alternativen Wohnprojekten der 70er und 80er Jahre ist aber, dass die Projekte von einer bürgerlichen Klientel getragen werden. Jene soziale Vielfalt, die viele Baugruppen anstreben, findet man nur selten verwirklicht. Die Bebauung des ehemaligen Kinderheim-Geländes in Sülz im Jahr 2009 hat, was die architektonische und stadtplanerische Qualität betrifft, viel Anerkennung gefunden. Die soziale Einheitlichkeit lässt das Projekt aber heute wie ein Bullerbü für Besserverdienende erscheinen. 

 

Dass sich das in naher Zukunft ändern wird, ist nicht wahrscheinlich. In Nippes werden gerade sechs Baufel der im neuen Clouth-Quartier vergeben. Gut zwei Dutzend Baugruppen haben sich dort beworben, insgesamt sind das knapp tausend Menschen, die Eigentum in einem Gemeinschaftlichen Wohnprojekt bilden wollen. Eine unabhängige Jury entscheidet, wer im Mai den Zuschlag erhält. Der Quadratmeter Bauland kostet 850 bis 950 Euro. Hinzu kämen Baukosten von mindestens 2200 Euro pro Quadratmeter, rechnet Peter Heinzke vom Kölner »Netzwerk für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen« vor. »Noch viel mehr Menschen würden gern gemeinschaftlich wohnen«, sagt er. »Aber ihnen fehlt das notwendige Geld.« Immerhin hätten beim Wettbewerb um die Baufelder des Clouth-Geländes jene Baugruppen bessere Chancen, die auch Mitglieder mit Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein in ihren Reihen haben. 

 

»Baugruppen sind keine Möglichkeit, die Wohnungsnot zu dämpfen«, stellt Christl Drey vom Haus der Architektur klar. Mehr Menschen mit günstigem Wohnraum zu versorgen, das könne nur die Aufgabe der städtischen Wohnungsbaugesellschaft sein. Durch Baugruppen könnten aber Viertel lebendiger werden. Das bestätigt auch Maria Kröger, Leiterin des Amts für Stadtentwicklung. Und man könne durch Gemeinschaftliche Wohnprojekte Familien in der Innenstadt halten, die sonst an den Stadtrand zögen. Kröger nimmt die Baugruppen auch gegen den Vorwurf in Schutz, sie beförderten die Gentrifizierung. »In Berlin ist das durchaus zum Problem geworden«, so Kröger. »In Köln ist der Trend noch zu schwach, als dass man dies hier konstatieren könnte.« Das Kölner Problem besteht vielmehr darin, dass die Stadt zu wenig Grundstücke bereitstellen kann, auf denen Baufelder für gemeinschaftliches Wohnen angeboten werden können. Doch die Nachfrage steigt. 

 

Das Kölner »Netzwerk für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen« triftt sich seit vergangenem Herbst. Die Veranstaltungen im hdak-Kubus vor der Zentralbibliothek stehen jedem offen und sind gut besucht. Auf den Treffen erlebt man viel Euphorie für das gemeinschaftliche Wohnen, die Mitglieder knüpfen Kontakte zu anderen Netzwerken. Vor kurzem haben einige von ihnen befreundete Projekte in Stockholm besucht. Peter Heinzke versichert, dass das Netzwerk weiter bestehen werde, wenn die Jury entschieden habe, wer den Zuschlag im neuen Clouth-Quartier bekommt. Heinzke und seine Mitstreiter planen nun einen weiteren »Wohnprojekte-Tag« in Köln, der erste fand im März statt und war ein voller Erfolg. Zudem fordert Heinzke, die Stadt solle eine Vermittlungsstelle für Interessierte einrichten. Bislang sind die Interessenten auf die Kleinanzeigen auf der Websiete des Netzwerks angewiesen — oder auf Mundpropaganda bei den Treffen. Die Stimmung ist familiär. Beim Treffen Ende April fragt Heinzke drei neue Gäste, wo sie herkommen, was sie planen. Es geht wie so oft um gemeinschaftliches Leben im Alter. »Okay«, sagt Heinzke. »Und wo wollt ihr das am liebsten umsetzen?« — »Na, wo wohl?«, fragt eine der Frauen keck zurück. »Beste Innenstadtlage. Was sonst?« Man kann das als vermessene Anspruchshaltung werten. Man kann aber auch sagen: Die Utopien drängen ins Zentrum der Städte.