Foto: Manfred Wegener

smokers welcome!

Vom sommerlichen Vergnügen mit Ein-weg-grill zur Wissenschaft mit Edelstahl-Grillpinzette: Johannes J. Arens hat sich mit den Facetten des Grillens beschäftigt

Samstag, 13 Uhr. Es regnet ein wenig, also eigentlich das ideale Wetter, um sich vor der Anschaffung eines Grills mal ausführlich zu informieren, ohne das Gefühl zu haben, draußen etwas zu verpassen. In der alten Fabrikhalle mit den unverputzten Backsteinwänden in Mülheim dudelt dezente Country-musik. 300 Grills hat der nach eigenen Angaben größte Anbieter Deutschlands auf insgesamt 1200 Quadrat-metern Ausstellungsfläche aufgebaut. »Der ist doch schön«, sagt eine jüngere Frau zu ihrem deutlich älteren Partner. »Das ist kein Grill«, entgegnet der barsch, »das ist ein Smoker«. Vor den beiden Kassen stehen bereits lange Schlangen. Grills werden gekauft, aber auch Zubehör wie digitale Funkthermometer, Marinade-Spritzen oder Edelstahl-Grillpinzetten. Dazu kommen Must-haves wie »BBQ-Rub Dancing Sirtaki«, die »Texas Butter injectable all-natural Marinade« oder der »Australian Tomato Ketchup for Grown-ups«. In den anschließenden Hallen begutachten sportlich gekleidete Paare Modelle wie den »Ultra Chef« mit vier Edelstahlrohrbrennern für 579 Euro, den »Spirit« mit Aromaschienen aus Edelstahl für 999 Euro oder den »Broil King« mit Cabinet--Unterwagen samt Flaschenintegration für 1599 Euro. »Das hier ist der große Bruder von dem von eben«, erklärt ein Verkäufer mit einem Bluetooth-Headset, »der hat dann auch die Seitenbrenner und die Spießbratenfunktion«.

 

Grillen war einmal ein hochsommerliches Ausnahmevergnügen für Besitzer von Einfamilienhaushälften oder Schrebergärten, die im Unterhemd und mit Grillzange und Bierflasche bewaffnet große Mengen von Koteletts und Bratwurst erst auf den Grill und dann auf Papp-teller bewegten. Dazu wurden Kartoffel- oder Nudelsalat und Curry-Gewürz-ketchup aus einer roten Plastikflasche gereicht. Es gab drei-beinige Grills aus dem Katalog und solche, die mehr oder weniger geschickte Heimwerker, mehr oder weniger ästhetisch ansprechend in eine Ecke ihres Gartens gemauert hatten.

 

Die Verkaufsgespräche an diesem Samstagmorgen in Mülheim erinnern eher an Unterhaltungen in einem Autohaus. Es geht nicht bloß um Kotelett und Wurst, es geht um Meisterschaften, Championate und Expertise. Zwischen Verkäufern und Käufern geht es um solide Verarbeitung, werden Leistung und Zusatzausstattung diskutiert. Size matters. Kaum eine Zubereitungsart, die wir für ursprünglicher und damit immer noch für männlicher halten als das Grillen von Fleisch über Holzkohle, einer Gasflamme oder notfalls auch unter einer Elektrospirale. Der richtige Grill ist wie ein Auto, das man eigentlich nicht braucht und das man sich vielleicht auch gar nicht leisten kann, das man sich aber trotzdem zulegt, um die Nachbarn zu beeindrucken. 

 

In Deutschland ist das Grillen als prestigeträchtige Tätigkeit eine vergleichsweise neue Erscheinung. Noch 1968 geht es in einem Kochbuch von Dr. Oetker unter dem Stichwort »Grillen« ausschließlich um Gerichte für den Gas- oder Elektro-Ofen. Der Outdoor-Spaß und vor allem die Anschaffung des richtigen Gerätes, das — schwarzlackiert oder aus poliertem Edelstahl — gegenwärtig den ganzen Stolz des Grillmasters ausmacht, findet keine Erwähnung. Grillen lernte man früher durch Zugucken und Ausprobieren. Grillen konnte man, oder auch nicht. Ein halbes Jahrhundert später ist die korrekte Bedienung eines BBQ-Smokers zu einer Wissenschaft geworden, deren Kenntnis erst einmal mit Büchern, TV-Sendungen und Apps erworben werden muss.

 

»Grillspaß! Es muss nicht immer Bratwurst sein«, steht auf einem zwischen den Büchern platzierten Schild auf einem Thementisch im Obergeschoss einer großen Buchhandlung in der Innenstadt. »Heute mal grillen« heißt ein Titel, und »Grillen, so geht’s und so geht’s nicht« ein Band von der Stiftung Warentest. Es gibt auch Alternativen mit Gemüse, »Die besten vegetarischen Grillrezepte« oder »Das Veggie-Grillbuch« mit Rezepten von Aubergine bis Zucchini. Im Erdgeschoss finden sich Kochzeitschriften mit ausführlichen Strecken zum Thema. Und Beef!, das Magazin für -»Männer mit Geschmack«, beschäftigt sich in gleich sechs Beiträgen mit dem Thema Grillen: vom Testbericht von Schwenkgrills mit und ohne Klemmhebelverschieber bis hin zu einer Reportage über die Überwindung gesellschaftlicher Kluften mittels nationaler Barbecue-Tage in Südafrika.

 

Der Hype um an der frischen Luft gegartes Fleisch ist ein anschau-liches Beispiel für den Paradigmenwechsel von der Versorgungs- zur Eventküche in Europa und Nordamerika. Bis weit ins 20.?Jahrhundert hinein ging es bei der alltäglichen Ernährung weiter Teile der Bevölkerung um Notwendigkeiten, um die Versorgung mit Kalorien für mehr oder weniger schwere körperliche Arbeit. Heute assoziieren wir Kochen hingegen mit Begriffen wie Freizeit, Geselligkeit und Wochenende. Die Zubereitung von Essen hat sich zu einem Event gewandelt, und der Grill ist zu einem nicht nur mehr hoch-sommer-lichen Werkzeug dieser Inszenierung von Individualität geworden. Das funktioniert mit schwerem Gerät, gut sichtbar auf der Veranda positioniert, aber auch ganz simpel mit dem Einweggrill im Stadtpark. Denn Grillen vermittelt, abseits von teuren Anschaffungen und über Jahre aufgebauter Expertise, weitaus mehr als ver-meint-liche Ursprünglichkeit in der industrialisierten Alltagsernährung: Es ist ein soziales Ereignis. 

 

Schwerer Dunst hängt über der Wiese. Zahllose Gruppen lagern auf Inseln aus Decken und Matten. Drumherum liegen Schuhe, Kühlboxen, Fahrräder und Tüten aus dem Supermarkt. Hier und da ein Bollerwagen. Alle handels-üblichen Grill-Variationen sind vertreten — Kugelgrills aus dem Baumarkt, Dreibein-Klassiker von der Tankstelle und Einweggrills aus dem Büdchen um die Ecke. Aus der Ferne hört man Getrommel, links spielt jemand Gitarre und rechts plärrt ein auf höchste Lautstärke gestelltes Smartphone. Paare spielen Federball, Studenten werfen sich oben ohne Frisbees zu oder versuchen sich im Kreis am Volleyball. Aufgedrehte Hunde schwirren den Leuten zwischen den Beinen umher und schnuppern an Papp-tellern mit Ketchup- und Nudelsalatresten. Es riecht nach Anzünder und verbrannter Bratwurst. Ein Mann, der ein T-Shirt mit der Aufschrift »I love Cologne« trägt, zieht sich die Schuhe an und verschwindet zum Pinkeln in einer der schmalen Baumreihen. 

 

Die Zubereitung von Lebensmitteln in den Kölner Parks ist, wie in Deutschland zu erwarten, eine klar geregelte Angelegenheit und in einem Dokument mit dem Titel »Ordnungsbehördliche Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in den öffentlichen Grünflächen der Stadt Köln« festgehalten. Dort heißt es unter anderem: »Grillen ist auf öffentlichen Grünflächen […] erlaubt, soweit für andere Personen oder die Umgebung Brand-gefahren oder erhebliche Belästigungen durch Rauch, Geruch oder Flugasche nicht zu befürchten sind.« Ausgenommen sind die botanischen Gärten und hochfrequentierte Parkflächen wie der Rheingarten. 

 

Das »Angrillen« ist vor allem unter Studenten zu einem Event geworden, zu einer Rückeroberung des öffentlichen Raums, zum ungezwungenen Lagern auf der Rasenfläche von städtischen Parks und Grünanlagen, wo noch vor wenigen Jahrzehnten Schilder mit der Aufschrift »Betreten verboten« zu finden waren. Ohne Belästigung funktioniert dies angesichts jährlicher Kosten von etwa 500.000 Euro für die Entsorgung von zusätzlichem Müll nur bedingt. Und dennoch ist das Grillen an genau diesen Orten ein wertvolles Gut. Ob am Aachener Weiher oder am Rheinufer, es geht um sehr viel mehr als um Würstchen und Kotelett — es geht um die Erfahrung von Gemeinschaft. Und genau die sollte, bei aller notwendigen Vermeidung von Brandflecken im Gras und der wilden Entsorgung von Papptellern und Plastikbesteck, der Stadt und ihren Bürgern etwas wert sein.

 

Johannes J. Arens ist als Kulturanthropologe und Autor auf die Zusammenhänge von Stadt und Ernährung spezialisiert. In seinem Buch »Nachschlag Köln. Vom Essen und Trinken in der Rheinmetropole«, erschienen im Vergangenheitsverlag, schreibt er zwar nicht über Grillen, aber über alle möglichen anderen Sitten und Gewohnheiten der Stadt und ihrer Bewohner