Eine Stadt liest ein Gedicht

»Das/ Soll tatsächlich mal/ Ein Platz gewesen sein./ Hier trifft man sich/ Und wartet/ Auf das Ampelgrün,/ Um von hier wegzukommen./ Die Kinos warten,/ Die Geschäfte,/ Kneipen, Restaurants, Cafés,/ Boutiquen, Banken, Discotheken,/ Autohäuser, Peep-Kabinen,/ Nachtclubs, Plattenläden, Bars./ Und die elektronischen Abenteuer/ Der Spielhallen.«

 

»Fragmente vom Rudolfplatz« heißt der Text aus Jens Hagens experimentellem Köln Poem »Nie ankommen.« Von 1978 bis 2003 arbeitete der Kölner Künstler, Foto-graf und Schriftsteller an dem Werk. Eine Langzeitbeobachtung mit der Anmutung einer assoziativen Momentaufnahme im Stile Rolf Dieter Brinkmanns, ein nimmermüder stream of consciousness, hastig und atemlos, sehr unmittelbar, sehr dringlich. Hagen schöpft aus seiner Zeit als Polizeireporter für den Express, als Popfotograf, als politischer Aktivist. »Das ist schon eine Art Schlüsselwerk, ein Vermächtnis«, erklärt Dorothee Joachim.

 

Die Künstlerin und einstige Lebensgefährtin Hagens veröffentlichte im Mai 2014 das aus vier »Kapiteln« bestehende Köln Poem erstmals vollständig als Buch. Anlässlich des 70. Geburtstags und zehnten Todestages des Künstlers finden zudem reichlich Veranstaltungen zu seinen Ehren statt. Noch bis August gibt es eine Ausstellung in der Zentralbibliothek zu sehen. Höhepunkt dürfte aber eine Performance von »Nie ankommen« sein, die im Juli in Zusammenarbeit mit dem Drama Köln am Rudolfplatz stattfindet.

 

Vier Schauspieler lesen das Poem gemeinsam mit zufällig vorbeikommenden Passanten vor. Die Zuschauer sind via Kopfhörer mit dabei, zu den vorgelesenen Texten gesellen sich Geräusche aus vergangenen Zeiten, schließlich war Hagen auch Hörspielmacher: Eine Demonstration zieht vorbei, Studenten blockieren die Straßenbahn, irgendwo spielt eine Band. Ein akustisches Wimmelbild an der Schnittstelle von Performance und Lesung. Und eine Neuinterpretation: »Durch die Übertragung in den öffentlichen Raum und auf eine andere Generation bleibt das Werk lebendig«, so Joachim.

 

»Und eine Haltestelle weiter/ Besorgt ein Mann sich Stoff/
Für seinen goldenen Schuß.«