Meike Wulf

Time to go

Neulich auf dem Wochenmarkt: »Jetzt haben wir endlich wieder Obst to go«, sagte die Gemüsehändlerin meines Vertrauens mit Blick auf eine Kundin, die ihre Kirschen direkt aus der Papiertüte futterte, die rechte Wange hamsterdick gefüllt mit zwischengelagerten Kernen. Ein ohne Zweifel mobiler Genuss, und doch meilenweit entfernt von den portionsweise in Plastikschälchen samt praktischer Einweggabel abgepackten Fruchtwürfeln, die üblicherweise als Vitamindosis zum Mitnehmen angeboten werden. 

 

Diese allgegenwärtige to-go-Kultur ist natürlich längst nicht mehr neu. Kaffeespezialitäten für unterwegs gibt es inzwischen an jedem Büdchen, mancherorts bekommt man gar »Cocktails to go«. Supermarktketten betreiben in bester Innenstadtlage Fachgeschäfte für Mitnahme-Speisen. Und doch: Ist nicht auch der beste Kaffee in einer überfüllten U-Bahn stehend durch einen Plastikdeckel geschlürft das Gegenteil von Genuss? Und sind nicht im Preis für eine Tasse koffeinhaltigen Milchschaum auch der Blick aus dem Fenster, die angenehme Musik oder die schöne Einrichtung des Cafés enthalten? Zumal die Mitnahme-Variante meist keineswegs günstiger ist. Nur hat für solcherlei Müßiggang vermeintlich kaum noch jemand Zeit.

 

Denn Zeit ist ja angeblich Geld. Dieser Logik folgt auch der russische Gastronom Ivan Meetin — allerdings in völlig entgegengesetzter Weise. Er unterhält unter dem Namen Ziferblat eine kleine Kette sogenannter Zeitcafés, unter anderem in Moskau, Kiew und London, eine Dependance in Berlin soll in Kürze folgen. Das Besondere an den  Zeitcafés: Hier bezahlt man nicht für Speisen und Getränke, sondern für die Dauer des Aufenthalts — Kaffee, Tee und Kekse sind inklusive. Ob der Kaffee des Zeitverkäufers allerdings auch schmeckt? Denn das bleibt doch das Allerwichtigste: Das Leben ist schließlich viel zu kurz für schlechten Kaffee.