Prinzip Hoffnung

Versprochen ist versprochen? Während die Sparliste der Verwaltung vorsieht, die festen Zuschüsse für die Freie Szene zu streichen – ab 2004 nur noch Förderung einzelner Projekte –, beteuern CDU und Grüne, sie auf dem Stand 2002 halten zu wollen. Ende Juli fällt im Rat die Entscheidung. Über Optimismus, Qualität und politischen Gestaltungswillen sprachen Alexander Haas und Sandra Nuy mit den freien Theatermachern Joe Knipp und Helmut Schäfer.

StadtRevue: Herr Schäfer, die Städte müssen sparen, aber es geht ja auch anders: Die Fördersumme für das Theater an der Ruhr wurde von der Stadt Mülheim in diesem Jahr erhöht. Wie beurteilen Sie vor diesem Erfahrungshintergrund die Kölner Kulturpolitik?


Helmut Schäfer: Das in Köln sichtbare Chaos ist meines Erachtens ein Chaos der Parteien. Es gibt in den Parteien schon seit langem keine kulturpolitischen Konzeptionen. Von außen betrachtet macht es den Anschein einer lächerlichen und nicht sonderlich verantwortungsbewussten Situation. Ich habe nicht den Eindruck, dass hier im Sinne der Verantwortung für etwas gehandelt – oder gedacht wird.


Joe Knipp: Wenn wir über Kultur sprechen, ist natürlich auch politische Kultur gemeint. Und da gibt Köln ein schlechtes Bild ab. Hier gilt es gegenzusteuern. Deswegen muss man gerade angesichts eines Haushaltslochs kulturpolitisch argumentieren. Das bedeutet, sich darüber klar zu werden, dass sich die Bewohner einer Stadt ihre Identität über Kultur schaffen. Und die Impulse in der Kultur kommen nicht zuletzt aus der Freien Szene. Dies braucht eine Entsprechung in der Kulturfinanzierung. Wenn wir immer nur um dieses Haushaltsloch kreisen, fallen wir irgendwann hinein.


Schäfer: In dem Moment, wo Haushalte auszugleichen sind, nimmt die Politik immer die gleiche Position ein: Überall muss etwas weg. Das ist keine politische Entscheidung, sondern eine mathematische, wo etwas in prozentualen Relationen formuliert wird.


Sie würden sich also nicht einlassen auf die Argumentation, dass eine proportional gleichmäßige Kürzung in allen städtischen Ressorts gerecht sei?


Schäfer: Ich bezweifle, dass der Gerechtigkeitsgedanke mathematisch zu formulieren ist. Die Politik entzieht sich eigentlich in dem Moment der Notwendigkeit, sich politisch zu verhalten. Das Beispiel Mülheim zeigt, dass es eine inhaltliche motivierte kulturpolitische Entscheidung geben kann. In Köln hat man nicht den Eindruck, dass es eine Auseinandersetzung mit Inhalten gibt. Aber wenn man eine Summe X einsparen muss, hat man immer die Chance der politischen Entscheidung zu sagen, was auf der Karte der Relevanzen wo steht.


Wo würden Sie auf dieser Karte das Theater platzieren?


Schäfer: Das Theater denkt immer über den Zustand des Menschen in der Zeit nach. Wenn das nicht mehr passiert, wer macht das dann? Oder wer gibt die Möglichkeit dazu? Theater sind die wenigen öffentlichen Orte, die wir haben. Und solche Orte müssen erhalten bleiben. Medien sind keine öffentlichen Orte. Das ist ein Trugschluss. Eine Talkshow ist kein öffentlicher Ort.


Wenn sich die Verwaltung nun doch durchsetzt: Welche Theater könnten denn in der nächsten Saison überhaupt noch arbeiten? Vermutlich ja eher die etablierteren Häuser.


Knipp: Wir befinden uns ja jetzt schon in einem Prozess, in dem Leute entlassen werden. Die Situation der letzten Monate war dramatisch, weil auch die bereits bewilligten Gelder um 20 Prozent beschnitten wurden. Als Vorstand der Theaterkonferenz ermutigen wir momentan die Kollegen – wir dürfen die Lust am Theatermachen nicht verlieren. Und wir hoffen auf die Einlösung der Versprechen von Seiten der Politik und auf die tatsächliche Umsetzung des im Koalitionsvertrag festgeschriebenen politischen Credos, die Förderung der Freien Theater auf dem Stand von 2002 – 1,1 Millionen Euro – zu belassen.


Schäfer: Man muss das auf die Bewerbung zur Kulturhauptstadt hin denken, die eine Chance sein kann, dass die Politik der Stadt sich konzeptionell Gedanken darüber macht, was sie denn in die Waagschale zu werfen hätte. Ein Theater hat jede größere Stadt – aber was denn dazu? Wenn man eine Freie Szene wie die in Köln hat, muss man das entwickeln und fördern. Das heißt nichts anderes, als dass diese Fördersumme nur der Anfang sein kann, aus dem heraus man sich konsequent und konzeptionell auf etwas hin bewegen muss. Das, was ist, reicht nicht für diese Bewerbung.


In welcher Form ist die Freie Szene an den Vorbereitungen zur Kulturhauptstadt-Bewerbung beteiligt?


Knipp: Es gibt verschiedene Arbeitskreise, wo die Freie Szene – auch gemeinsam mit den städtischen Bühnen – vertreten und durchaus federführend beteiligt ist. In diesen Arbeitskreisen werden Profile und Konzepte entworfen. So ein Gedankenaustausch hat oft gefehlt in den letzten Jahren. Die Bewerbung ist eine großartige Möglichkeit, Kultur auf eine ganz andere Art zum Thema in der Stadt zu machen – nach außen und nach innen. Eine Folge etwa war, dass freie Kulturschaffende das spartenübergreifende »KulturNetzKöln« gegründet haben.


»Theater muss sein«, sagt der Deutsche Bühnenverein. Mal provokativ gefragt: Wie viel Theater muss wirklich sein? Die Kölner Freie Szene rühmt sich mit ihren über 60 freien Häusern und Gruppen immer ihrer Vielfältigkeit. Allerdings sind auch viele mittelmäßige Produktionen darunter...


Schäfer: ... es ist eine Qualität
der Kölner Szene, dass sie eine hohe Quantität hat – trotz des Mittelmaßes.


Ein zentraler Gedanke im Theaterförderkonzept der Stadt war die Förderung nach Qualitätskriterien. Wie könnte eine solche Förderung aussehen?


Schäfer: Qualität hat etwas mit Bedingungen zu tun. Die Stadt müsste ein Interesse daran haben, einen wirklich besonderen Ort für die freie Kultur zu kreieren. Ein Ort, der die anderen Orte nicht ersetzt, der aber ein größeres Publikum fasst und wo Arbeits- und Probenbedingungen professioneller Art gegeben sind.


Dieser »Ort« wird in der Diskussion oft als »Theaterhaus« bezeichnet. Teilen Sie die Ansicht von der Notwendigkeit eines Theaterhauses, Herr Knipp?


Knipp: Man könnte das Theaterhaus als eine Art Leuchtturm anpeilen – Stichwort: professionelle Bedingungen – ohne die gewachsene Struktur auf’s Spiel zu setzen. Wir dürfen dadurch nicht von der Stärke Abschied nehmen, die diese Stadt hat, nämlich die Vielfältigkeit. Das Kleinteilige macht eine Stadt ja auch bewohnbar.


Schäfer: Ein Theaterhaus hätte den Vorteil, dass es Konzentrationen geben könnte. Und man die Freie Szene sehr viel stärker wahrnehmen würde.


Der jetzige Theater-Beirat plädiert also nicht mehr wie der Vorgänger für eine Fokussierung der Förderung durch Reduzierung der zu fördernden Gruppen und Häuser, sondern in erster Linie durch die Schaffung eines solchen Ortes?


Schäfer: Es ist peinlich für eine Stadt wie Köln, dass es einen solchen Ort nicht gibt. Dies ist genau das angesprochene Defizit an politischem Handeln. Wenn sich Politik auf das Reagieren reduziert, entsteht nichts.


Im Februar hat der neu gewählte Theaterbeirat ein Votum verweigert, weil er es nicht als seine Aufgabe betrachtet hat, einen Kahlschlag in der Kölner Theaterlandschaft fachlich zu legitimieren. Würde der Beirat mit der Stadt zusammenarbeiten, wenn nur noch über Anträge zu Projektkosten-Zuschüssen zu beraten wäre?


Schäfer: Das müsste neu diskutiert werden. Wir haben bewusst keine Diskussion geführt, die
ein Worst-Case-Szenario vorweg nimmt, weil wir davon ausgehen, dass man den Äußerungen der Politiker trauen sollte.


Unlängst wurde ein »Kölner Bündnis für Kultur« initiiert, aber müsste der Protest gegen die Sparpläne der Verwaltung nicht viel lauter sein?


Knipp: Die Theater wirken im Moment eher hinter den Kulissen. Wir führen intensivste Gespräche mit allen Entscheidungsträgern. Man muss versuchen zu vermitteln, dass perspektivisches Denken von Nöten ist. Aber ich bin da nicht hoffnungslos.


Joe Knipp leitet das Theater am Sachsenring und ist Vorsitzender der Kölner Theaterkonferenz, einem Zusammenschluss Kölner Theater.
Helmut Schäfer ist Co-Leiter des Theaters an der Ruhr, Mülheim, und Mitglied im Kölner Theaterbeirat; ein Experten-Gremium, das die Stadt bei ihren Förderentscheidungen fachlich beraten soll.

Außerdem in der aktuellen Ausgabe der StadtRevue:
Sozialistische Lesart: B.K. Tragelehn übersetzt Elisabethanische Dramen