Die Käsebrötchen der Authentizität

Der Gelsenkirchener Rapper Weekend ist einer der Stars auf der diesjährigen c/o pop

Deutsch-Rap erlaubt sich was: Weekend gehört zu einer neuen Generation von Musikern, die auf einen engstirnigen Kodex pfeift. Seine Besonderheit ist dabei, dass er sich als Durchschnittsbürger positioniert. Eher untypisch für Rap. Und trotzdem steht Weekend für etwas, was gerade langjährige Rap-Fans einfordern: Real. Wenn auch nicht unbedingt typisch HipHop-Real... 

 

Weekend bestellt ein Brot mit Schinken und »die drei Käsebrote da vorne«. Ein anderes Mal wird unser Telefoninterview unterbrochen, weil Weekend, der mit bürgerlichem Name Christoph Wiegand heißt, die 1,50 Euro für den Bus zum Hauptbahnhof von Gelsenkirchen bezahlen muss. So etwas nennt man dann wohl ›angenehm normal‹. Und das obwohl Weekend beim Videobattleturnier 2011, dem Beschleuniger seiner Karriere, ungeschlagen blieb. Obwohl ihn inzwischen 200.000 Fans liken. Obwohl er 2013 mit seinem Album »Am Wochenende Rapper« auf Platz 3 der deutschen Albumcharts einstieg. Obwohl Weekend dazu beigetragen hat, dass Deutsch-Rap um eine Nuance vielfältiger geworden ist.

 

Deutsch-Rap hat in den vergangenen drei Jahren einen gewaltigen Schritt gemacht, hat sich geöffnet. So bunt gemischt war die hiesige Szene wohl nie zuvor. Weil Casper sich mit seinem Album »xoxo« (2011) den entscheidenden Schuppser traute. Rap-Deutschland kam aus dem Gleichgewicht, feierte, echauffierte sich, stolperte und stolperte nach vorne. Mit Casper, der in seinem Entwurf von Rap ungeniert Soundzitate von Indie-Rockern wie Broken Social Scene neben die von Südstaaten-Rappern wie Three 6 Mafia stellt. Oder mit dem Österreicher Gerard, der auf poppigen Cloud-Rap der Generation Y aus der Seele spricht. Oder natürlich mit Cro, der Rap mit Radiopop-Musik mischt. Sie alle haben zu dieser rasanten Entwicklung beigetragen.

 

Und Teil dieser Entwicklung ist eben auch Weekend, der dazu sagt: »Es gibt halt immer noch viele Leute aus der Szene, bei denen es darum geht, nur Altbewährtes zu behalten. Ich schrecke aber zum Beispiel nicht davor zurück, auch mal eine melodiösere Hook zu schreiben.« Wenn es ihn gibt, dann hält sich der Rap-Fan solange an Altbewährten, wie es nur irgendwie geht. Neu stört, neu nervt, neu ist nicht real.

 

Real soll es bitte sein, der Rapper hat es realzukeepen. Aber, was soll das sein, realkeepen? Bricht man es runter, bedeutet es kurzgesagt, dass man mit den vier Elementen des HipHops — Rap, Breakdance, DJing, Graffiti — vertraut sein sollte, dass man sich mit ihrer Geschichte besser auskennen sollte, als mit Zeitgeisterscheinungen und natürlich, dass man seine Sozialisation nicht verleugnen sollte. Mit dem letzten Punkt ist das so eine Sache. Denn wenn hierzulande ein Rapper seine musikalische Herkunft zwar nicht verleugnet, nur eben mehr Bruce Springsteen als Kool G Rap in seiner Jugend gehört hat, dann empfinden das immer noch viele alteingesessene Fans irgendwie nicht als real.

 

Realness, nicht definitiv mit Echtheit zu übersetzen, in keinem anderen Genre wird sie so sehr eingefordert wie im HipHop. Weekend hilft dabei, die Realness aus ihrem staubigen Keller zwischen Vinyl-Alben aus den frühen 90er Jahren hervorzukramen, ihr die Treppe hoch zu helfen und ihr zu zeigen: Guck mal, Realness, das ist unsere Gegenwart. Du kannst hier immer noch funktionieren, aber du bedeutest nun etwas anderes. Weekend unternimmt es, Realness einen neuen Anstrich zu verpassen, sie zu entmystifizieren und tauglich für die Jetztzeit zu machen.

 

»Real in Anführungsstrichen ist für mich, wenn jemand sagt, ey, ich habe Bock das zu machen und mache das. Und das dann unkalkuliert die Musik ist, auf die man Bock hat. In Anführungsstrichen nicht-real wäre für mich die Version zu sagen, okay, ich weiß, das und das funktioniert gerade, und darum mache ich genau das«, erklärt Christoph Wiegand sein Selbstverständnis. Es bezieht sich stark auf das Musikalische. Weekend zelebriert einen unverkrampften Zugang zu HipHop, der ihm dennoch am Herzen liegt. Weekend tritt live mit klassischen Rap-Set-up auf, das aus ihm am Mic und einem DJ hinter den Plattenspielern besteht. Die Instrumentals seiner Songs weisen die ein oder andere Boom-Bap-Anleihe auf. Aber puristischer Rap sind Weekends Songs absolut nicht. Sie sind melodiös und poppig. Er wisse schon, dass er nicht »die uneingängigste Musik« mache, gibt Weigand entspannt zurück und führt aus: »Ich habe ja eine sehr direkte Sprache und dadurch ist es, glaube ich, schon auch so, dass sich das viele Leute anhören können, weil sie das Gefühl haben, dass jemand zu ihnen spricht. Und eben nicht, dass das ein Rapper ist, der irgendwas von seinem Flow faselt.« Ja, die Texte: hier ist Weekend besonders real.

 

Ich trage eine durchschnittlich große Goldkette, habe eine durchschnittlich attraktive Frau an meiner Seite und die Nachbarschaft, aus der ich komme, ist durchschnittlich »gefährlich«: So etwas neuerdings in einem Rap-Song gehört? Wohl kaum. Natürlich sind das nur umgekehrte Klischees, Rap ist viel mehr als Prahlen. Trotzdem kann man festhalten: Rap und Durchschnitt stecken selten unter einer Decke. Auch Weekend hat das so, wie oben geschrieben, nie von sich gegeben. Aber er rappt über Durchschnittliches; berichtet von Begebenheiten, die jeder kennt. Weekend hebt sich dadurch von anderen Rappern ab, dass er sich von niemandem abheben will.

 

Er rappt über den Alltag, er erzählt für die Mitte seiner Zuhörer. Sein Song »Life is a Bitch« ist so ein Beispiel. Der Titel spielt auf Nas gleichnamigen Klassiker an, der Text aber handelt aber von first-world-problems: kein Kaffee mehr da, Fernbedienung leer oder einfach nur zu weit weg. Das ist spielerisch und eines der wenigen Male, dass Rap aus dem deutschen Mittelstand nicht krampfig klingt. Weekend hebt keine Zeigefinger, versucht nicht bemüht Gags zu machen. Weekend brüllt nicht heraus, dass er der Größte sei, und Weekend hat nichts gegen deine Mutter. Das Unverkrampfte gelang ihm übrigens schon beim Battle-Rap, obwohl es bei dem eigentlich darum geht, wer den anderen kunstfertiger beleidigt. Nicht so Weekend: »Ich war nie der große Poser und habe große Ansagen gemacht. Ich habe es anders gelöst. Es war immer eher so: Ey, ich bin scheiße, und du bist noch ein bisschen mehr scheiße.«

 

Weekend positioniert sich in der Mitte. Aber wird es dem Zuhörer dort nicht schnell langweilig? Wiegand erklärt, wie er das vermeiden will: »Ich versuche darauf zu achten, dass, wenn ich so ein Durschnittsthema anpacke, ich es auf eine besondere Art anpacke. Oder aber das Durchschnittsthema so explizit wähle, dass man sich denken kann: Krass, das da auch mal jemand drüber spricht, ich wäre nicht darauf gekommen, dass so zu sagen, obwohl es jeder kennt.« Es ist ihm wichtig, vom Alltag zu berichten. Bis Ende Mai noch war Weigand unter der Woche Sozialarbeiter, hat den Wecker verflucht, hektisch auf dem Weg zur Haltestelle Käsebrötchen gekauft und sich in den überfüllten Linienbus gequetscht. Er war »Am Wochenende Rapper«. Inzwischen ist er es vollzeit. Zur Zeit nimmt er in Stuttgart sein neues Album auf, das 2015 erscheinen soll. Es hat sich einiges verändert für ihn.
Nicht aber, dass er morgens immer noch rasch Brötchen auf dem Weg zum Bus kauft. Trotz 200.000 Facebook-Fans, Chartserfolgen usw. — dazu würde auch der konservativste Rap-Fan sagen: Das ist real.