Hier wohnt der Mann mit dem grünen Daumen: Ketans »ParaDies« ist in Gefahr | Foto: Manfred Wegener

Kein Krawall am Eifelwall

Der Bau des neuen Histo­rischen Archivs soll schnell beginnen. Dafür muss jetzt eine Künstlerkolonie weichen

Hinter einem schweren Eisentor beginnt das »ParaDies«. So nennt Rolf »Ketan« Tepel die Brache in Sülz, zwischen Eifelwall und dem Amtsgericht an der Hans-Carl-Nipperdey-Straße. Der Künstler hat sich vor neun Jahren hier niedergelassen. Fünfzehn Menschen wohnen heute mit ihm, überwiegend in Bauwagen, zwischen Gemüsebeeten und Skulpturen aus Schrott. Doch nebenan türmt sich der Schutt einer erst kürzlich von der Stadt abgerissenen Halle — und als nächstes muss Ketans »ParaDies« Platz machen. Auf den insgesamt rund 50.000 Quadratmetern will die Stadt schnell mit den Vorarbeiten zum Bau des neuen Historischen Stadtarchivs beginnen.

 

Das hat eine Bürgerinitiative auf den Plan gerufen. Die Anwohner auf der gegenüberliegenden Seite am Eifelwall fürchten, dass das neue Stadtarchiv ihnen das Licht nehmen werde und wehren sich. Aber sie kämpfen auch gegen den Verdacht, bloß eigene Interessen zu verfolgen. Dabei ist die Bürgerinitiative Innerer Grüngürtel am Eifelwall (BIGE) eine heterogene Gruppe: Anwohner, Mitglieder anderer Initiativen und die Bewohner des »ParaDies« debat­tieren auf wöchentlichen »Eifelwall-Konferenzen« über die Zukunft des Geländes. Sie wollen das neue Archiv anders platzieren, sie wollen mehr Grünfläche, und sie kritisieren, dass die Bürgerbeteiligung nicht ausreichend gewesen sei. Alternative Vorschläge seien nicht geprüft worden.

 

Allerdings kommen ihre Einwände spät. Die politischen Entscheidungen, die das Gelände am Eifelwall betreffen, sind längst gefallen. Bereits im September 2009, ein halbes Jahr nach dem Einsturz des Stadtarchivs am Waidmarkt, beschloss der Rat der Stadt, einen neuen modernen Archiv-Komplex am Eifelwall zu bauen, auch wegen der nahen Universität und der guten Erreichbarkeit. Samt Rheinischem Bildarchiv sowie Kunst- und Museumsbibliothek (KMB) wurde es als »Bürger-Archiv« konzipiert. Es hatte damals auch Stimmen gegeben, die sich gegen diese »Eventisierung« wendeten und für einen Standort jenseits des Zentrums eintraten. Im Juni 2011 wurde dann der Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs gekürt — zwei Jahre später jedoch, im Juli 2013, strich die Politik die Unterbringung der KMB wieder, um rund 20 Millionen Euro zu sparen.

 

Gleichzeitig war das Eifelwall-Areal im Blick für die geplante Verlängerung des inneren Grüngürtels. Darauf hatte sich der Rat der Stadt schon 2009 geeinigt, als die Fraktionen dem städtebaulichen Masterplan zustimmten. Der Grüngürtel, der in der Nordstadt beginnt und den man bis nach Bayenthal verlängern will, soll mindestens 150 Meter breit sein. Dass sich das am Eifelwall umsetzen lässt, wo Uniwiesen nach der Bahnunterführung an den Volksgarten angebunden werden sollen, ist fraglich, zumal hier nicht nur das neue Archiv, sondern gegenüber an der südlichen Grenze auch ein neues Justizzentrum beschlossen worden ist.

 

All das mache eine grundlegende Neuplanung des gesamten Areals notwendig, findet Volker Becker. Der Planer für Architektur und Städtebau hat für die BIGE einen Plan entworfen, der alle drei Großprojekte vereint: Das Stadt­archiv soll an die gegenüberliegende Südseite des Geländes, wo derzeit das neue Justizzentrum geplant ist. Als dessen Standort schlägt Becker ein kleines Areal im  Osten vor. Nur so ließe sich verhindern, dass der Grüngürtel hier auf einen bloß 70 Meter breiten Grünstreifen schrumpfe, sagt Becker. Und der Grüngürtel hat in Beckers Plänen höchste Priorität.

 

Auch den alten Bäumen drohe die Rodung, fürchtet Becker. Er will sie in einem Park erhalten. Becker und seine Mitstreiter haben noch mehr Ideen: etwa die Renaturierung des kanalisierten Duffesbachs oder eine Freilegung der römischen Grabanlagen, die das Archiv ergänzen sollen. Ketans »ParaDies« findet als »Kunstzone« in Beckers Plänen seinen Platz — umgeben von einem anderthalb Meter hohen Erdwall.

 

Aber die Stadt plant ohne Becker und ohne Ketan. Dennoch: Kurz vor dem angekündigten Räumungstermin am 15. August gewährte die Gebäudewirtschaft noch einen Aufschub von vier Wochen. Darauf hatten die Grünen im Hauptausschuss gedrängt. Deren Fraktionsgeschäftsführer Jörg Frank, auch Vorsitzender des Liegenschaftsausschusses, monierte, dass es keinen aktuellen Zeitplan der Gebäudewirtschaft gebe, der die Räumung im August gerechtfertigt hätte. Es wäre nicht zu vermitteln, so Frank, wenn mehr als ein paar Wochen zwischen Räumung und den Vorarbeiten zur Bebauung des Areals vergingen. Entweder könne Ketan also länger bleiben, oder aber die Gebäudewirtschaft müsse einen strafferen Zeitplan vorlegen. Eben das hat deren Leiterin Petra Rinnenburger jetzt zugesagt.

 

Bis zuletzt aber hatte die Stadt mitgeteilt, dass die Räumung keinen Aufschub dulde. Inge Schürmann, Sprecherin der Stadt, sagte noch zwei Tage zuvor, dass unbedingt jetzt die Vorbereitungen auf dem Gelände getroffen werden müssten, damit auch bei einem strengen Winter die eigentlichen Bauarbeiten bereits im Frühjahr 2015 beginnen könnten. Bis dahin aber hatte die Gebäudewirtschaft angegeben, erst im September 2015 mit den eigentlichen Bauarbeiten zu beginnen. Zwar muss zuvor das Gelände noch gerodet, alte Gebäudereste und Schutt abgetragen und der Boden vom Kampfmittelräumdienst auf Weltkriegsbomben untersucht werden — aber selbst das rechtfertigt nicht einen derart langen Vorlauf.

 

»Was Herr Tepel macht, ist strenggenommen eine illegale Grundstücksbesetzung. Es gibt noch nicht mal eine formale Duldung«, so Inge Schürmann. Auch Jörg Frank sagt, dass es lediglich ein »Agreement« sei, dass der Künstler und seine Freunde schon neun Jahre auf der Brache wohnen konnten. Anders als das Autonome Zentrum (AZ), das sich ebenfalls auf dem Gelände befindet. Deren Betreiber besitzen mittlerweile eine Nutzungsvereinbarung. Gerade ziehen sie vom Eifelwall in das einstige Kanalbauamt an der Luxemburger Straße, wo sie bis Ende 2018 bleiben dürfen.

 

Jörg Frank betont auch einen anderen Unterschied: »Das AZ ist quasi ein soziokulturelles ­Netzwerk samt Veranstaltungs­programm — davon kann bei Herrn Ketan nicht die Rede sein.«

 

Dass die Stadt dem Künstler nun noch einen Monat Zeit gibt, das Gelände zu verlassen, interessiert Ketan nicht sonderlich. Er beteuert, dass der vormalige Leiter der Gebäudewirtschaft, Engelbert Rummel, versichert habe, er könne bis Frühjahr 2015 bleiben — was die Stadt energisch bestreitet. Auch Jörg Frank betont, dass es nur einen Vermerk gebe, wonach Ketan bis zum 2. Mai dieses Jahres hätte bleiben dürfen. Ketan hofft nun, dass sich Baudezernent Franz Josef Höing für seinen Verbleib einsetzt.

 

Er wolle aber dem Neubau des Stadtarchivs nicht im Wege stehen, sagt Ketan. Das wird man bei der Stadt gern hören. So könnte der neue Zeitplan vielleicht tatsächlich eingehalten werden, ohne dass man noch eine spektakuläre Räumung samt Protesten durchstehen muss. Das neue Historische Archiv könnte Anfang 2019 fertig sein. Es wären dann zehn Jahre seit der Katastrophe vom 3. März 2009 vergangen.