»Grundverschiedene Zugänge zum Nahost-Konflikt« – Demo vor dem Dom am 18. Juli | Foto: Pascal Beucker

Westlinke Rosen­kriege

In Köln dreht sich die Debatte um Anti­semi­tis­mus in der Linkspartei

vor allem um eins: die Linkspartei

Asterix lesen bildet. Nicht wegen der Kalendersprüche auf Latein, sondern weil man lernt, dass die politischen Bündnisse bei linken Goten nicht immer leicht zu verstehen sind.

 

Ein schönes Beispiel dafür bietet gerade die Kölner Linkspartei. Anlass ist eine Demonstration mit 2.000 Teilnehmern auf dem Roncalliplatz Mitte Juli. Die Palästinensische Gemeinde wollte für den Frieden in Gaza demonstrieren, aber die Stimmung war — wie zu erwarten — etwas gereizt. Auf Plakaten wurde Israel als »Tumor« bezeichnet, Israelis, »früher selbst Opfer«, seien heute ein Volk von »Tätern«. Auch die jüdische Anti­zionistin Maya Cohen-Mosler wurde während ihrer Rede mehrfach gestört, sie drohte daraufhin mit dem Abbruch ihrer Rede. »Jeder Redner ist gestört worden, ich habe mich selbst unwohl gefühlt«, meint Leandros Fischer vom Kölner Sozialistisch-Demokratischen Studierendenverband (SDS). »Es gab so dreißig bis vierzig Störer, einen Block von uns SDSlern, Palästinensern und anderen Linken, sowie viele gläubige Muslime unter den Demons­tranten.« Der SDS hatte die Demo mitveranstaltet, NRW-Vize-Landes­spre­che­rin Özlem Demirel als Rednerin geworben und vor Ort immer wieder Demoteilnehmer darauf hingewiesen, dass Schilder und Plakate, die den Holocaust verharmlosen, nicht geduldet werden. Die Stimmung besänftigen konnte das das aber nicht — es seien zu wenig ­Ordner vor Ort gewesen, meint Fischer: »Der Kreisverband hätte die nötigen Ressourcen dafür gehabt.« An dieser Stelle wird es kompliziert. Denn der Kreisverband Köln der Linkspartei hat weder zur Demo mit aufgerufen, noch hat er sich anderweitig offi­ziell geäußert. Das hat dagegen die Kölner Gruppe des Jugendverbands linksjugend [‘solid] gemacht, in der der SDS — zumindest formell — Mitglied ist. Am Montag nach der Demo veröffentlichten sie einen Brief, in dem sie den SDS zur selbstkritischen Reflexion aufforderten und kritisierten, dass der Studentenverband die Rolle der Hamas im Nahostkonflikt unterschlagen hätte.

 

Alles verstanden? Dann weiter im Text. Nach einer zeitgleich zur Kölner Demonstration in Essen stattfindenden Linkspartei-Demo gab es Übergriffe von Demonstra­tions­teilnehmern auf eine Pro-Israel-Demo vor dem Essener Hauptbahnhof. Mitglieder der Ost-Linkspartei kritisierten daraufhin die NRW-Linke, diese schoss per Pressemitteilungen zurück. Dabei wurde sie von einem offenen Brief der NRW-Bundestagsabgeordneten der Linkspartei unterstützt, in dem diese dem brandenburgischen MdB Harald Petzold vorwarfen, an der Pro-Israel-Demo in Essen teilgenommen zu haben. Ein Name fehlt aber unter dem Brief: der des Kölner MdB Matthias W. Birkwald. »Ich war im Urlaub«, erklärt er, »aber ich bin auch nicht böse drum.« Die Linkspartei sei eine pluralistische Partei, er selbst kein Außenpolitiker und auch nicht vor Ort gewesen, weder in Essen noch in Köln. »Für eine Kölner Demo interessieren sich weder Netanjahu noch die Hamas«, meint Birkwald und schiebt hastig ein »leider« hinterher.

 

Mit seiner flapsigen Bemerkung trifft Birkwald einen Punkt. Die Haltung zum Nahostkonflikt ist in der Linken auch eine Frage der politischen Identität vor dem Hintergrund politischer Einfluss­losigkeit im Nahen Osten. Hinzu kommen Flügelkämpfe innerhalb der Linkspartei. Außerhalb einer kleinen linken Öffentlichkeit wurde die Kölner Demo daher kaum beachtet — innerhalb dieser dafür umso heftiger diskutiert. Unter einem Facebook-Posting des SDS stritten noch am gleichen Tag Mitglieder des Kölner SDS, der Linksjugend und des BAK Shalom der Linkspartei über den korrekten Umgang mit den Ereignissen.

 

»Es gibt da grundverschiedene Zugänge zum Nahost-Konflikt«, erläutert Felix Schneider von der Linksjugend Köln. »Die Leute sprechen da mitunter verschiedene Sprachen.« »Traditionellere« Linke sähen den Nahen Osten als Schauplatz von Geopolitik, es käme aber darauf an, die Debatte so zu führen, dass es keinen Anschluss zu antisemitischen und antimuslimischen Ressentiments geben könne. Das sei seit 2011 auch Beschlusslage im Grundsatzprogramm der Partei.

 

»Man darf Kritik an Israel nicht per se als antisemitisch beschreiben«, erklärt dagegen Leandros Fischer, der im Westjordanland gelebt hat. Er fordert das Einhalten menschenrechtlicher Normen von Israel, kritisiert die Bundesregierung für ihre Israelpolitik und sieht in einem erheblichen Teil der antisemitischen Äußerungen seitens muslimischen Teilnehmern vieler pro-Palästina-Demos eine falsche Reaktion auf die Unterstützung Israels durch ein Großteil der Politik und Medien. »Holocaustvergleiche werden in diesem Kontext bewusst als ein Mittel verwendet, um Aufmerksamkeit zu erregen«, erklärt er. »Aber mit diesen Menschen muss man reden und erklären, warum diese Äußerungen und Vergleiche falsch sind.«

 

Mitte August demonstrierte die Palästinenische Gemeinde erneut am Dom, und wieder waren die Positionen klar. Der SDS unterstützte die Veranstaltung, Links­jugend und Kreisverband Köln hielten sich bedeckt. Lediglich der Ortsverband Kalk rief mit einem Text zur Teilnahme auf, der die Raketen der Hamas ebenso verurteilte wie die Militärangriffe Israels, und für einen »freiwilligen sozialistischen Staatenbund« in der Nahost-Region wirbt.

 

Rund 200 Teilnehmer waren zur Demo auf den Roncalliplatz gekommen, aggressive Störungen blieben aus, der Ablauf war routiniert. Claus Ludwig (OV Kalk) wollte die gemeinsamen Interessen von lohnabhängigen Juden und Arabern organisieren, ein deutscher Aktivist warb für einen Boykott israelischer Produkte. Auf einem Plakat war eine Karikatur zu sehen: Ein israelischer Soldat richtet an einer Mauer Menschen mit Kufiya hin, die Einschüsse formen das Wort »Gaza«. Er trägt die Uniform der Wehrmacht, der »Israel«-Schriftzug auf seinem Rücken ist in der Runenschrift der SS gehalten. Bis zum Ende der Demo wurde es toleriert.