Menschlicher Spezialeffekt: Scarlett Johansson

Alien mit versteckter Kamera

Nur auf dem Fantasy Filmfest: ›Under the Skin‹ ist grandioses Kino mit einer großartigen Scarlett Johansson – aber ohne regulären Start in Deutschland

»Weder typischer Mainstream, noch typisches Arthaus« – so wird »Under the Skin« von Senator, seiner deutschen Verleihfirma, beschrieben. Senator hat sich aufgrund dieser Analyse, die wohl mehr über den deutschen Kinomarkt aussagt, als über das britische Science-Fiction-Drama, dafür entschieden, den Film an den Lichtspielsälen vorbei direkt als DVD/BluRay zu veröffentlichen. Auf Facebook formierte sich Widerstand: »Under the Skin im dt. Kino, jetzt« fordern da bald tausend Unterstützer. Der Kampagne ist es zwar nicht gelungen, Senator umzustimmen und Jonathan Glazers dritte Regiearbeit nach »Sexy Beast« und »Birth« doch noch auf die Leinwände zu hieven; aber immerhin dürfte sie dazu beigetragen haben, »Under the Skin« zum wohl meistdiskutierten Film des Jahres ohne Kinostart zu machen.

 

Der Ärger, der sich im Internet artikuliert, ist durch und durch nachvollziehbar. Dank des Fantasy Filmfests kann man jetzt zumindest in einigen wenigen Vorstellungen in Deutschland nachfühlen, was die Facebook-Rebellen umtreibt: Anders als die allermeisten anderen, von Anfang an für unterschiedliche Verwertungswege konzipierten, aktuellen Filme ist »Under the Skin« tatsächlich ein Werk, das unbedingt auf die große Leinwand gehört.

 

Schon der geheimnisvoll-abstrakte Prolog verweist direkt auf das Kinodispositiv: Licht wird von der Dunkelheit geschieden und auf ein menschliches Auge projiziert. Anschließend taucht eine der unheimlichsten femme fatales der jüngeren Filmgeschichte auf: Eine schwarzhaarige, äußerlich unterkühlte Scarlett Johansson, eine Außerirdische, die in einem weißen Van durch Schottland fährt und durch das Seitenfenster junge Männer anspricht. Angeblich wurden einige dieser Szenen mit versteckter Kamera gefilmt — zumindest der herbe, schwer verständliche Akzent der Opfer verleiht dem Science-Fiction eine erstaunlich alltagsrealistische Note.

 

Mit den nichtsahnenden Männern flirtet die Außerirdische, bis sie ihr auf dem Beifahrersitz Gesellschaft leisten. Sie geleitet sie schließlich in ein Haus, wo sie statt des erhofften Sex eine Art pechschwarze, dimensionslose Vorhölle erwartet. Es liegt nahe, auch dieses Ineinandergreifen von Verführung und Überwältigung, von libidinös unterfütterter Schaulust und masochistischem Selbstverlust als eine Metapher fürs Kino zu lesen.

 

Aber das ist noch lange nicht alles. Glazer macht im Folgenden keine Anstalten, die Mysterien, die seine Erzählung anhäuft, aufzulösen. Ganz im Gegenteil: Sein Film schlägt, sobald man ihn halbwegs durchschaut zu haben meint, stets einen neuen Haken. Seine anfangs unnahbar cool anmutende Hauptfigur macht zum Beispiel gerade dann, wenn man sie als eine Art feministischen Racheengel identifiziert zu haben glaubt, eine Begegnung, die sie aus dem Konzept bringt. Was eine Entwicklung in Gang setzt, die dem Film eine unerwartet humanistische Dimension verleiht.

 

Tatsächlich kulminieren alle Rätsel, die einem der Film aufgibt, in seiner Hauptfigur. Für Johansson ist »Under the Skin« der vorläufige Höhepunkt einer Serie von erstaunlichen Filmrollen. Ihre auf jeweils ganz unterschiedliche Art Aufsehen erregenden Filme der letzten Zeit haben die Schauspielerin in eine Art menschlichen Spezialeffekt verwandelt: In Spike ­Jonzes »Her« (in der Diktion von Senator vielleicht: »typisch Arthaus«) »spielt« sie ein Computerprogramm, das Joaquim Phoenix allein vermittels der Stimme den Kopf verdreht; und in Luc Bessons wahnwitzigem B-Movie »Lucy« (»typisch Mainstream«, vermutlich) kann man sie derzeit immer noch als eine Art kognitiv entgrenzte Superheldin erleben, die Mitmenschen, Raum und Zeit nach Belieben zu manipulieren imstande ist.

 

In »Under the Skin« ist Johansson jetzt nicht einfach nur eine Außerirdische, sondern vor allem eine Art shifter. Ein Wesen, das nicht nur seine äußere Gestalt zu verändern in der Lage ist, sondern sich auch allen Zuschreibungen, allem Begehren von Seiten des Publikums entzieht. Eben folgt man ihr noch atemlos, mit einer Mischung aus Angst und Bewunderung, aber vor allem mit einem gewissen (voyeuristischen) Sicherheitsabstand — und wenig später wird man dazu aufgefordert, sich in sie einzufühlen und selbst zum Alien zu werden.

 

Text: Lukas Foerster

 


Under the Skin (dto) GB 2013, R: Jonathan Glazer, D: Scarlett Johansson, Jeremy McWilliams, Lynsey Taylor Mackay, 108 Min. OF. Termine: Do 11.9., Cinedom 9, 19:30 Uhr und Sa 20.9., Cinedom 9, 13 Uhr.