Der Motor meines Handelns ist immer, mich in dieser Welt zu positionieren« | Foto: Manfred Wegener

Sicher im Wirrwarr

Wir sprachen mit dem Kölner Regisseur Ali Samadi Ahadi über irani­sche Geschichte, deutsche Komödien und die Arbeit des Filmemachers dazwischen

Wir zwei Iraner treffen uns auf Kos — ausgerechnet, bedeutet es doch auf Farsi etwas ganz unaussprechliches —, kurz nach dem Bundesstart von Ali Samadi Ahadis Komödie »Mamba«. Die lief in Österreich über Wochen in den Top Ten, findet in Deutschland aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt — drohende Insolvenz des Verleihs, daher kaum Pressearbeit. Wir treffen uns in der Nähe des Platanenplatzes, wo der uralte Hippocratesbaum steht, in einem netten Café im Schatten der Johanniterfestung. Auf dem Tisch liegt ein Buch.

 


Was liest du denn da gerade?

 

Das ist ein unglaublich spannendes Buch von Abbas Milani über Hoveyda, den früheren iranischen Premierminister. Ich lese das für ein Projekt über die frühe Zeit der iranischen Revolution, über die ja alle Beteiligten ausgiebig schweigen. Gemeinsam mit Ziba Shakib will ich anhand der Geschichte dreier Frauen die jüngere Entwicklung des Iran erzählen — so ähnlich wie »Dr. Schiwago« oder »Vom Winde verweht«. Eine derartige Aufarbeitung hat es noch nicht gegeben, das verlangt unglaublich viel an Recherche. Es ist wahnsinnig viel verfälscht worden — man sagt ja: Geschichte ist die Geschichte der Sieger, und ob es nun die Safaviden waren, die Kadjaren, die Pahlavis, ob es Mossadegh war oder die Islamisten. Jeder, der in der jüngeren iranischen Geschichte an die Macht kam, hat als erstes Dokumente zerstört. Menschen wie Milani gibt es nur wenige, die so detailliert dazu gearbeitet haben und es der Öffentlichkeit zugänglich machen. Jetzt liege ich hier unter der Sonne und muss immer wieder aufstöhnen, weil ich bei der ­Lektüre an Schlüsselstellen komme, an denen die ganze Geschichte komplett anders hätte verlaufen können.

 

Das klingt nach so einem Projekt, das über Jahre im ­Hinterkopf heranreift und dabei immer konkreter wird. Wann kamst du an den Punkt, an dem es spruchreif wurde?

 

Alles hat mit der Frage zu tun: Warum gibt es eigentlich keinerlei Aufarbeitung der neueren iranischen Geschichte; warum haben all die Parteien und Organisa­tionen, die uns die Revolution als »Geschenk« mitgebracht und Millionen Menschen ins Ausland katapultiert haben, nie Rede und Antwort gestanden. Sie sehen sich alle in erster Linie als Opfer, nie als Macher, Täter. Diejenigen, die die Revolution gestaltet und organisiert haben, egal ob links, rechts, Royalisten, Islamisten, der bewaffnete Widerstand, Revolutionsgerichte, die in Scharen die Menschen umgebracht haben — das war die Bewegung einer ganzen Generation —, keiner von denen hat eine intensive und ehrliche Aufarbeitung betrieben und gesagt: Wir über­nehmen Verantwortung. Das hätte die Situation wenigstens transparenter gemacht. Gerade Menschen der zweiten und dritten Generation, die im Ausland leben, stellen sich jetzt diese Fragen und stoßen auf eine Mauer des Schweigens. Das ist einer der Gründe gewesen, warum ich das Projekt angefangen habe.

 

Von der zotigen Agentenkomödie »Mamba« zur Aufarbeitung der blutigen iranischen Geschichte — was hält deine sehr verschiedenen Filmprojekte und anderen Aktivitäten zusammen?

 

Der Motor meines Handelns ist immer, mich in dieser Welt zu positionieren, egal ob ich Filme mache oder den Diwan mitgestalte, mich politisch einbringe oder als Cheerleader für Deutschland und Iran während der WM durch die Gegend renne — es ist immer die Frage: Wo stehe ich in der Welt, und aus welcher Warte schau ich auf die Dinge? Es ist wichtig, sich selbst zu finden, bevor man über andere urteilt oder mit anderen überhaupt einen Dialog führen kann.

 

Als Drehbuchautor bist du aber eher Autokrat: Du schreibst, schaffst und regierst eine Welt. Wo ist da das Dialogische? Findet das auf dem Set statt oder vorher in der Recherche?

 

Immer! Bei der »Mamba« wollten wir keine philosophischen oder gesellschaftlichen Themen ansprechen — oder einen relevanten Culture-Clash-Film drehen, sondern wir wollten eine Komödie wie bei Louis de Funès oder Pink Panther: Man geht ins Kino und lacht neunzig Minuten. Aber sei es ein ernstes Projekt oder eine Komödie — bis zum letzten Moment habe ich Fragen, Selbstzweifel und eine große Unsicherheit, ob es so funktioniert. Ich suche nach Lösungen in meinem Umfeld, dieser Dialog muss sein. Im Kinosaal entsteht dann ein neuer Dialog, weil Kino immer ein gesellschaftliches Ereignis ist — plötz­lich sind es Tausende, die darüber sprechen. Und dieser Diskurs ist ganz spannend. Als ich nach »Lost Children« direkt »Salami Aleikum« machen wollte, haben alle mir ’nen Vogel gezeigt: Wie kannst du von Kindersoldaten zu einer Komödie wechseln? Und danach habe ich »Green Wave« gemacht! Ich will immer offen sein für neue Dinge. Ich will lernen und dabei bereit sein, auch Sachen über Bord zu werfen. Das setzt aber voraus, dass ich ein Thema ganz genau durchdrungen habe und genau weiß, wo ich stehe. Am Set ist es laut, hundert Leute wollen was von dir. Dabei diese Verbindung zu deinem inneren Korrektiv zu halten, deine innere Stimme in allem Wirrwar hören zu können, das musst du stark verinnerlicht haben.

 

Der Kinderfilm »Pettersson und Findus« fällt bei deinen Projekten vielleicht etwas raus. Wie kam es zu der Arbeit?

 

Ich hab mit meiner Tochter »Pettersson und Findus« rauf und runter gelesen und diese Welt geliebt: die Suchbilder, die wir stundenlang mit unseren Kindern durchgehen, um dann noch ein irgendwo verstecktes magisches Wesen wie die Muklas zu entdecken. Animation liegt mir sehr, als dann die Anfrage der Produktion kam, wollte ich das unbedingt machen. Man sagt ja, Kinder sind die schwierigeren Zuschauer, aber eigentlich sind sie wohlwollend und auch ehrlich. Nur als Erwachsener fällt es einem oft schwierig, klar zu sagen: das gefällt mir. Kinder können das ohne Wenn und Aber. Die Premiere war ein wunderbares Erlebnis, denkbar weit weg von der DVD zuhause oder einer Pressevorführung mit fünf, sechs Kritikern: Das waren1300 Zuschauer, davon mehr als die Hälfte ­Kinder, und wenn der doofe ­Gustavsson auf die Schnauze fiel, brüllte der ganze Saal. Diese Energie geht durch dich durch.

 

Insgesamt hast du drei Filme im letzten Jahr gedreht, wo andere Filmemacher sich ein Bein ausreißen, um überhaupt einen machen zu können. Wie kam das auf dich zu?

 

Eigentlich will man das gar nicht! Man will ja Zeit und Muße und Kraft sammeln?… Aber wenn in Deutschland die Finanzierungsentscheidungen fallen, muss es auch losgehen, weil man der Produktion, die anderthalb Jahre an der Finanzierung gearbeitet hat, auch nicht absagen kann. Da kommt es zu Überlappungen und zu drei Filmen in 16 Monaten, wo ich genau überlegen musste, wie ich das konditionell, psychisch und geistig gut überstehe — das wäre ohne Familie und Freunde nicht möglich gewesen und durch das gewachsene Team.

 

Als Komödienschreiber willst du Publikum haben, bei ernsteren Themen geht es vielleicht eher um die Sache selbst. Wie wichtig ist für dich der Unterschied zwischen Arthouse und Mainstream?

 

Ich differenziere da gar nicht so groß, sondern ich frage: wer ist mein Publikum für den jeweiligen Film? Diese Frage wünsche ich mir auch von den Kritikern: Für wen ist dieser bestimmte Film gut, für wen kann er spannend sein? Und dem wird dann alles untergeordnet. Ich will natürlich die größte Masse an Zuschauern erreichen, die möglich ist. Aber man weiß es nicht: »Green Wave« hat in Deutschland nicht so viel ­eingespielt, war aber international sehr erfolgreich, und er ist auch ein Film von einer gewissen Nachwirkung. Aber all das weißt du nicht, wenn du im Keller in Köln sitzt und dich fragst: Wird das funktionieren oder nicht?

 

Dein Film »Green Wave« — war das auch der Motivator für die Gründung der diasporischen Kulturstiftung Diwan?

 

Das fiel in die gleiche Zeit, aber die Idee war schon früher da. 2006 hatte ich die Idee für eine Stiftung an Navid ­Kermani, Jasmin Tabatabai, Isabel Shayani, Golineh Atai usw. geschickt, da war ich relativ neu in Köln. »Lost ­Children« war mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnet worden, und ich dachte, mit der Öffentlichkeit im Rücken kann man eine Iranian Diaspora Foundation ­vorantreiben. 2009 kam es zur Grünen Bewegung, die Iraner rückten näher zusammen, und ich ging zur Stadt Köln, zur Bürgermeisterin Angela Spitzig. Spitzig fragte: Wer seid ihr denn? Ich war alleine und sagte: Oh, wir sind ganz viele! Dann habe ich die Angefragten zusammengerufen und so entstand der Diwan.

 

Im Vergleich zu anderen ist die iranische Community ja nicht einfach, sie gilt als sehr schizophren??…

 

Aktiv geworden sind wir 2010 mit der großen Iran-Konferenz, seitdem gab es fünfzig größere und kleiner Projekte, Lesungen, Seminare oder Kindercamps, wo sie das Königsbuch von Ferdowsi nachgespielt haben. Diesen Sommer haben wir ein Vasati-Projekt — traditionelle iranische Spiele über drei Tage. Mit fünf Jahren Erfahrung gehört Diwan zu den erfolgreichsten Vereinen iranischer Menschen im Ausland. Das ist aber auch ein Grund zur Trauer, wenn man sich fragt, warum? Auslandsiraner im Westen gibt es seit sechzig Jahren, aber für die Gemeinheit haben sie nur wenig hinterlassen, obwohl viele Iranischstämmige hier als Einzelpersonen sehr erfolgreich sind. Wir haben ohne Erfahrung, aufgebaute Strukturen und Kontakte bei Null anfangen müssen.

 

Hat sich im Verhältnis zum Iran was geändert? Ihr ladet jetzt zu Konferenzen und Konzerten Gäste ein, ohne dass es wie früher zu Protestdemos kommt.

 

Es ist immer noch ein Problem aus dem einfachen Grund, weil wir es im Iran mit Willkür zu tun haben. Du weißt nie, wo die Rote Linien gezogen ist, die kann jederzeit neu ausgelegt werden und für Leute zum Verhängnis werden. Unsere Vereinssatzung basiert auf den Gesetzen der Bundesrepublik Deutschland, aber danach zu leben ist dann schwierig, wenn wir in Kontakt mit dem Iran treten. Da muss ich mich fragen: Wie gehe ich mit der Schizophrenie eines Landes um, wo du nach Außen anders lebst und dich anders gibst als nach Innen, und das Kunst und Kultur unterdrückt. Dazu kommt noch etwas anderes: Es ist für uns wichtig, dass wir für uns bestimmte Themen und Fragen klären — wo stehen wir als Community zu unserer Herkunft, unserem Leben und Alltag in Deutschland? Das ist ein langer Prozess, auch ein schmerzhafter. Jetzt gibt es viele politisch Aktive, die sagen: Wir müssen für Iran Lösungen entwickeln. Für mich ist aber Selbstfindung wichtiger! Dieser Prozess der Selbstreflektion wird mehr und mehr Platz finden, wir haben vor zwei Jahren angefangen, mehr ­Projekte für und über uns selbst anzuschieben.

 

Im Januar und Februar drehst du den zweiten Teil von »Petterson und Findus«, im ersten Teil hattest du bereits ausgiebig auf Animationen zurückgegriffen. Die Liebe zur Animation scheint eine Konstante in deinen Filmen zu sein.

 

Die Technik ist verlockend, Animation ist jetzt so einfach umzusetzen, und die Welten zwischen Real und Animation sind so spannend — wie Magie, wie Zauber. Ich könnte dir aus der Tasche ein Häschen rauskommen lassen, wenn es nötig ist. Diese Freiheit, unsere Fantasien auszuleben, wäre so vor zehn Jahren nicht möglich und zu finanzieren gewesen.

 

Aber es muss auch etwas in dir liegen??…??selbst in dei­nen Realfilmen baust du animierte Titel- oder Anfangs­sequenzen ein, auch »Green Wave« lebte stark von ­Animationen.

 

In einer Animationsklasse an der Hochschule hab ich gelernt, wenn einer aus dem Fenster fällt, muss er nicht tot sein, sondern er kann wieder hoch­springen und winken. Du kannst Realität verschieben, und das machen wir ja sowieso unentwegt im Film: ­Realitäten verschieben, verdichten, übertreiben, um eine neue Dichte zu schaffen. Das kann Animation als Werkzeug noch mehr vorantreiben. Das ist sehr spannend und neu und ich lerne gerne auf dem Glatteis, das mag ich: Schlauer aus dem einen Film rauszukommen und in den nächsten reinzugehen.

 

Interview: Amin Farzanefar

 


Ali Samadi Ahadi, 1972 in Täbris, Iran geboren und 1985 nach Deutschland gekommen, um dem Dienst als Kindersoldat zu entgehen. Er studierte visuelle Kommunikation an der Gesamthochschule Kassel. Sein Dokumentarfilm »Lost Children« (2004) verhandelt das Schicksal ugandischer Kindersoldaten. Den Durchbruch erlebte er mit der Komödie »Salami Aleikum« (2009) und dem Dokumentarfilm »The Green Wave« (2011) über den Massenaufruhr gegen die offensichtlich manipulierte ­Wiederwahl des iranischen ­Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Samadi Ahadi ist Gründungsmitglied der Kölner Akademie der Künste der Welt und von Diwan, dem Verein deutsch-iranischer Begegnung (diwan-verein.de). Nächstes
Jahr bringt er im Kino eine neue Folge von »Pettersson und ­Findus« heraus.

ali-samadi-ahadi.de