Fiel im Frühjahr 2014 einer Luxus­sanierung zum Opfer: die semi-legendäre ­Kellerbar Stecken | Foto: Tito Wun

Kopf­nicker in der Nische

Ein Streifzug durch eine Szene, die keine sein will

Man fragt nach »Rap in Köln« und niemand will’s gewesen sein. ­Selten, dass sich Künstler im Dunstkreis von Rap-Musik so zurückhaltend geben. Also, wer oder was ist Rap in Köln? Natürlich gibt es nicht den Rap in Köln. Man kann nur einzelne Szenen betrachten und einen Ausschnitt aus dem Ganzen zeigen. Aber diese Szenen sind selten homogen, ihre Grenzen zu anderen Stilen und Charak­teren sind fließend, und oft fühlen sich gar nicht alle, die man als Journalist einer Szene zuordnet, dieser überhaupt zugehörig.  

 

Hier soll trotzdem eine Szene definiert werden. Allerdings nicht, ohne zu betonen: Einen Anspruch auf Vollständigkeit kann es in einem Text wie diesem nicht geben. Denn ein umfassendes Gesamtbild kann erst entstehen, wenn man den Blick gleichzeitig weitet und ihn in die kleinsten Ecken lenkt: Man muss sich auf der einen Seite die Geschichte der Stadt vergegenwärtigen und erkennen, wie sich die Musik-Industrie verändert hat, speziell den Abzug von Viva, der Popkomm, diverser Labels und Vertrieben nach Berlin betrachten, und auf der anderen Seite muss man in die kleinen Clubs der Stadt gucken. Etwa nach Porz, wo es um Rapper wie Komekaté eine lebendige Straßenrap-Szene gibt, oder in den Club Underground, wo jeden Donnerstag beim Open Mic die Silben fliegen. Natürlich ist Rap in Köln auch Die Firma oder DCS (Die coolen Säue). Ganz zu schweigen von Eko Fresh und seiner Kalker Grembranx Posse. Um all diese soll es hier nicht gehen. Aber um wen dann? Begeben wir uns auf die Suche.

 

Fangen wir an mit einem Ausflug ins Sub 138, die Subbelrather Straße 138. In den hohen, hellen Räumen im Erdgeschoss eines Hinter­hofs sitzt das Plattenlabel Melting Pot Music, eine der wichtigsten Schaltzentralen für die Sorte von Rap-Musik, um die es hier gehen soll. Oliver von Felbert, besser bekannt als Olski, gründete das Label 2002. Zu dieser Zeit habe es in Köln keine Rap-Musik gegeben, die ihm zugesagt habe, sagt er. HipHop ist die Grundidee des Labels, das gemeinsame Gefühl aller Veröffentlichungen. Olski erklärt: »Wir sehen uns schon als HipHop-Label. Weil Rap die Musik ist, die uns am meisten geprägt hat. Aber wenn du dir die Platten, die wir in den zehn Jahren veröffentlicht haben, anguckst: da findest du wenige straighte HipHop- oder Rap-Platten«. Das ist eines der wichtigsten Merkmale der hier behandelten Szene: Rap-Musik ist kein abgeriegeltes Gelände — vielmehr ist es ein Becken, zu allen Seiten offen, in dem sich musikalische Stile vermischen dürfen. Olski erklärt: »Es gab in den 80ern den Soulful Shack. Dafür sind wir alle sechs Wochen in den Stadtgarten gepilgert und haben Soul gehört. Und das war vor HipHop! Und da seh’ ich so die Tradition, aus der diese Szene entstanden ist. Auch, wenn die das gar nicht unbedingt wissen.« »Die«, damit meint Olski zunächst die Produzenten — die, die die Beats bauen.

 

Der Aktivste von ihnen ist Twit One. Er ist auch das beste Beispiel dafür, wie vielfältig sich Rap-Musik in Köln anhören kann. Twit One zerstückelt, zerlegt und verklebt in seinen Beats unter anderem Samples aus Soul, Funk oder Bossa Nova, wodurch es ihm gelingt, den klassischen Rap-Ansatz, der vielen seiner Beats zugrunde liegt, in einen eigenen musikalischen Ausdruck fließen zu lassen. Die Stichwörter hier: Platten-Diggen und Nerdtum, also die Leidenschaft, sich akribisch in eine spezielle Materie zu vertiefen — hier die Musik. Es ist vor allem eine Szene von Musik-Liebhabern. »Dieses Digging-Ding ist hier noch sehr verbreitet«, bestätigt Olski. »Ich kenne sehr viele Leute, die auf Flohmärkte gehen und Platten kaufen. Und viele DJs buckeln immer noch ihr Vinyl, wenn sie auflegen.« Viele Produzenten arbeiten auch als DJs; Clubs dienen als Räume, in denen sich verschiedenste Musikstile vermischen können. Twit One, zum Beispiel, veröffentlicht als Tito Wun House-Musik und als Disco Rigido Tropical Disco mit Afrobeat-Einschlag auf Damiano von Erckerts Ava Records.

 

In der hier beschriebenen Szene spielt elektronische Tanzmusik im Vergleich zu anderen Rap-Szenen der Stadt die wichtigste Rolle. Ende der Nullerjahre erreichte eine Bewegung Köln, die man wenig befriedigend als »Beatmaking« oder »Wonky« bezeichnet. Internationale Produzenten wie Flying Lotus oder Hudson Mohawke bereichern auf Rap aufbauende Drum-Muster um eine Palette an Spielarten aus der elektronischen Musik. Ebenfalls in der Sub 138 sitzt Joscha Creutzfeld mit seinem Label Up My Alley. Es zählt zu den ersten, die dem Beatmaking in Köln mit Partys und Plattenveröffentlichungen ein Forum gegeben haben. Auch Melting Pot Music veröffentlicht seit seinen Anfangstagen instrumentale Alben. Als hierzulande die Wertschätzung für den Beat weiter stieg, führte MPM 2009 mit dem HiHat-Club eine Serie instrumentaler Veröffentlichungen ein: Mit dabei waren die Kölner Produzenten Twit One, Hulk Hodn oder DJ Adlib. In dieser Entwicklung liegt wohl der Grund dafür, dass die hier beschriebene Szene vermehrt Club-Musik aller Spielarten mit einschließt. Ein weiterer Kölner Produzent, Hade, veröffentlicht auf MPM inzwischen Musik, die zwischen Footwork, House und Post-Dubstep hin und her springt.

 

Jetzt haben wir von Beats, von Instrumentals geredet. Aber wo sind eigentlich die Rapper? Fahren wir von Ehrenfeld in die Südstadt. Hier sitzt das Label ENTBS, früher Entourage. Pütz Money, der Kopf des Labels, hat mit Entourage nach der Jahrtausendwende zu einer Renaissance des klassischen Boom-Bap-Sounds maßgeblich beigetragen.

 

Als dieser Sound dank ENTBS und Produzenten wie Hulk Hodn, Twit One und Hubert Daviz in Köln ein neues Hoch erlebte, entstand auch der Kult um Retrogott, den bekanntesten Rapper der hier beschriebenen Szene. An ihm lässt sich eine weitere Gemeinsamkeit festmachen: Man orientiert sich am Revival eines klassischen Rap-Sounds, das oft mit einer puristischen Geisteshaltung einherging (»Nur das ist echter Rap!«). Aber viele Akteure dieser Kölner Szene können zwar musikalisch konservative Rap-Fans zufriedenstellen, ohne dabei deren engstirnige Haltung zu übernehmen. Retrogotts Texte spielen mit den Genrecodes von klassischem (Battle-)Rap, doch er stellt ihnen immer eine weitere Ebene entgegen. Retrogott denkt in seinen Texten immer den einen Schritt weiter. Und kann dabei über sich selbst lachen. Bei ihm ist nicht der klare Punch das Ziel. Lieber kritisiert er erst die westliche Konsumhaltung und das politische System, um zwei Takte später einem sogenannten Whack MC eine verbale Klatsche zu verpassen.

 

Der gehobene Anspruch der Texte an den Hörer ist das nächste Merkmal dieser Szene. Sylabil Spill, ein weiterer Rapper aus dem ENTBS-Umfeld, nennt sich auch Der Radira. Sein Rap ist giftig, seine Worte presst er aus der Kehle, wütend verleiht er ihnen Nachdruck und taktet sie dicht aneinander. Doch der Radira studiert Architektur. Obwohl man Spill getrost als den härtesten Rapper der Szene bezeichnen kann, ist auch er oft weit von plumper Auf-Die-Fresse-Rhetorik entfernt. »Es ist leicht, darüber zu rappen, die Mama eines anderen Rappers zu bangen. Das ist wie ein Füllwort. Ich bin mehr interessiert an Punchlines, bei denen mein Gegenüber eventuell drei Wochen später unter der Dusche drüber nachdenkt, ausrutscht und sich denkt ›What the fuck?‹«, erklärt Spill lachend. Ein Schlag muss nicht direkt auf der Backe brennen, oder wie Spill es ausdrückt: »Der Nachhall ist viel größer. Es zieht viel länger. Es ist wie ein Schlag mit einer Antenne: Ppppzzsssschhhh.«

 

So sehr ihr Sound nachhallen mag, so wenig Lärm macht die Szene. Man wird das Gefühl nicht los, dass da mehr drin wäre: Mehr Präsenz, mehr Veranstaltungen, mehr Selbstbewusstsein. »Rap in Köln bedarf keiner extrovertierten Argumentation von wegen: wir müssen, wir sind«, erklärt Spill. Die meisten Akteure wollen nicht dringend raus in die Welt, sondern lieber mit Freunden Musik machen und ein Bier im mittlerweile wegsanierten Stecken im ­belgischen Viertel trinken. Facebook-Kanäle der Künstler existieren nicht oder beschränken sich darauf, Gigs anzukündigen. Instagram-Accounts? Fehlanzeige. So wirkt die Szene zurückgezogen. Vielleicht kommt dieser Eindruck auch daher, dass die Produzenten gegenüber den Rappern in Überzahl sind. Olski versucht, das Phänomen zu erklären: »Rapper wird der, der das größere Ego hat und sich auf die Bühne stellt, um zu sagen: Guckt, hier bin ich und ich bin der Beste. Und der Produzent ist eher der, der nicht unbedingt gesehen werden will«.

 

DJ Ara ist der Produzent, den es am wenigsten in die Öffentlichkeit zieht. Dabei hat er gemeinsam mit Ono als Walking Large schon vor zwanzig Jahren Major-Label-Erfahrung gesammelt, ist als Vorband von A Tribe Called Quest und Ol’ Dirty Bastard getourt und hat mit The Roots musiziert. Er könnte national bekannt sein. War er auch. Ara hat Kool Savas‘ »Neongelb« produziert; er kennt die Zeiten, in denen es noch einen satten Vorschuss für ein Album gab, und man zum Videodreh über den großen Teich geflogen wurde. Aber interessiert hat es Ara nicht: »Ich bin halt kein Entertainer. Ich ­versuche nie etwas anderes, als einen Beat zu machen, den es noch nie gab.«

 

Die Akteure dieser Szene drängen nicht zu jedem Preis raus in die Welt. Das macht ihren Charme aus und führt dazu, dass sich der Sound unverfälscht entwickeln kann. Ohne, dass die Interessen von Major-Labeln dazwischen pfuschen könnten. Die Szene ist unabhängig, »indie«. Dadurch kann sie für Außenstehende abgeschlossen oder elitär wirken. Olski stimmt dem zu: »Das macht auch diese Szene ein bisschen aus. Es ist aber auch etwas, das ich nicht so gut finde. Wir haben da schon einige Pappenheimer, die ein bisschen stieselig sind.«

 

»Stieselig« — das Adjektiv ist auch etwas in die Jahre gekommen. Genau wie die wichtigsten Akteure dieser Szene zwar nicht alt sind, aber doch schon über Dreißig und eher genügsam in ihrer Heran­gehensweise. Es braucht die nächste Generation, die dafür sorgen kann, dass die Szene vital bleibt.

 

Gegenüber der Uni-Mensa, auf dem Mäuerchen, sitzt sie, diese neue Generation: Veedel Kaztro und seine Jungs. Seine Lockerheit und ein ausgeprägter Sinn für Humor verbinden ­Veedel und die bereits erwähnten Rapper. »Für mich gibt es in dieser bestimmten Szene so einen südamerikanischen Einschlag, Bossa Nova und so. Außerdem spielen Soul und Jazz sicher eine große Rolle. Ich finde Soul, Funk und Jazz sehr schön, aber da schlägt mein Herz nicht für, noch nicht vielleicht.« Noch nicht. Trotzdem ist Veedel Kaztro zuerst Musikfan — wie die anderen Rapper auch. »Ich hör’ gerade Circa Survive, das ist eine progressive Rockband. Und Drill Rap aus Chicago hab ich zuletzt viel gehört. Und Hüsker Dü.« In Veedels Musik hört man vor allem den Einfluss von Drill-Rap. Damit reichert er seine Songs an, die ansonsten vor allem Sample-Beats sind, wie man sie auch bei Melting Pot und ENTBS findet. Den harten, protzigen, nihilistischen Drill-Rap verarbeitet er mit einem zwinkernden Auge und stellt ihm in seinen Texten ein bodenständiges, kölsches Äquivalent gegenüber. Anstatt um Drogen, Waffen und Taschen von Versace geht es bei Veedel Kaztro um »Kölsch, Kippe, Lederjacke«.

 

So gehört Veedel zwar zur hier beschriebenen Szene, aber stellt auch gleichzeitig einen Gegenpol dar: Veedel Kaztro will es so richtig als Rapper versuchen, will da raus in die Welt. So bekommt die Szene am Schluss das, was sie bisher nicht hatte. Bislang hat man das offene Ohr und den Verstand. Veedel könnte der Mund sein, der doch mal die extrovertierte Ansage wagt: Das ist Rap in Köln!