Lärmendes Federvieh: Swans | Foto: Sibastian Sighell

Die Luft wird brennen

Seit den 80ern gelten die Swans als eine der brachialsten Bands des Universums. Vor allem live

Wosch! Bumm! Wosch! Bumm! Es tost. Es braust. Es lärmt. Ein gewaltiger, alles verzehrender Wall Of Sound. Reduziert. Monoton. Monolithisch. Malmend. Über diesem unglaublichen Peitschen stemmt sich die Stimme von Michael Gira: »Money is flesh. Money is flesh in your hand. When you pay, you’re a servant. You deserve it. You deserve it.« Diese fleckigen Wortfetzen. Geschrien. Ausgespien. Immer und immer wieder. So kamen die Schwäne zu uns geflogen in den 1980er Jahren. Majestätisch. Groß. Aber mit einem hässlichen, aufbrausenden Temperament. Ein einmaliges, gnadenloses Extrem in der Musikgeschichte. »New York Noise«, so wurde das damals mancherorts genannt. Andere Ostküsten-Bands der Post-Punk-Zeit wie Sonic Youth oder Prong waren auch irgendwie »lärmig«. Aber sie umgab eine mildere, weltlichere Aura. Die Schwäne selbst, die größten und bedrohlichsten aller Entenvögel, waren hingegen gnadenlos: »Eine tief abstoßende Form von Audio-Pornographie«, unkte der MelodyMaker. »Makes PIL sound like Buck’s Fizz«, ulkte das britische Sounds. Über Jahre galten die Swans als brachialste Krachschleuder des bekannten Universums. Ihre Konzerte waren Schauplätze eines sagenhaften Klangkriegs gegen sich und das Publikum. Musik als tribalistisches Reinigungs-Ritual. Wer hält die Lärm-Sauna aus? Und wer gibt auf und taumelt vor die Tür? Immer noch geistern Listen der radikalsten Live-Bands durch das weltweite Netz, auf denen die Swans den vordersten Platz belegen. Vor Sunn O. Vor MyBloody Valentine. Und vor Motörhead. Louderthanwar.com berichteten 2012 von einem Swans-Konzert: »Die aktuelle UK-Tour war laut. So laut, dass zwei Leute in Ohnmacht fielen und du fühlen konntest, wie sich die Härchen auf deinem Arm bewegten und die Luft im Raum erbebte. Das war nicht nur Show, das war wirklich und wahrhaftig effektiver Einsatz von brutaler Lautstärke.«

 

Ober-Schwan Michael Gira sieht diese Grusel-Geschichten mit einem lachenden und einem weinenden Auge: »Ich nehme an, wenn du in deiner Jugend extreme Dinge tust, wirst du so immer in Erinnerung bleiben«, erzählt er dem Magazin The Quietus. »Du kannst davon nicht wirklich wegkommen. Ich könnte jetzt New-Age-Musik machen und ich würde immer noch als lauteste Band der Welt beworben werden … an der Harfe!« Michael Rolfe Gira, Jahrgang 1954. Eine jener surrealen Musiker-Mythen, deren Biographie William S. Burroughs ausgeheckt haben könnte: Tristes Leben im Vorort, Trennung der Eltern. Erste Drogen im zarten Alter von elf Lenzen. Fixen mit zwölf. LSD-Geballer mir dreizehn. Andauernd Konflikte mit dem Gesetz. Tumulte. Verhaftungen. Mit fünfzehn von zu Hause abgezischt. Trips nach Amsterdam, Israel und Istanbul. Minderjährig im Knast. Will man diesen legendären mündlichen Überlieferungen Glauben schenken, so verwundert es nicht, dass Giras langlebigstes Musik-Projekt keine Boy-Band geworden ist. Selbstverständlich wurden die Ambitionen des jungen Michael Giras, »ernsthafter« Künstler zu werden, vom New Yorker Punk-Rock der siebziger Jahre in gewagtere Bahnen gelenkt. Und selbstverständlich sind die Swans nicht nur die derbe Lärm-Kapelle mit dem fetten Berüchtigt-Sein-Bonus. Die große Ente ändert ihr Gefieder. Drei Jahrzehnte des Bestehens, Sich-Auflösens und Aus-der-Asche-Steigens hinterlassen ihre Spuren. Auf den Wahnsinn der frühen Klopper-Alben wie »Filth« und »Cop« folgten esoterischere, nuancierte Werke, geprägt vom Kontrast zwischen Giras düsterem Hypno-Blues und der sanften Säusel-Stimme seiner Partnerin Jarboe. Die sonderbare Coverversion von Joy Divisions »Love Will Tear Us Apart« geriet zum Indie-Charts-Hit. Die Kirche des gerechten Zorns wurde gedämpfter, filigraner, offener. Akustische Experimente, orchestrale und folkloristische Labyrinthe schlängelten sich zum Horizont. Über Risse, Kratzer, Brüche, Verletzungen und brennende Welten wuchs dichtes, struppiges Gras: US-amerikanische Swans-Forscher beschreiben die Jahreszeiten der großen Ente wie folgt: Trauma, existenzielle Krise, Nihilismus, Seelenqual, Verständnis, Akzeptanz, Perspektivwechsel und letztlich die Abfindung mit dem eigenen Sein. Suggeriert der Titel ihres aktuellen Albums »To Be Kind« die Einkehr eines neuen inneren Friedens? Pustekuchen. Die Swans heute: Eine Band, die die Kabbeleien mit den von ihnen beschworenen Dämonen der Extreme gewonnen hat. Ein neues, großes Regiment, das häufig und emsig probt und sich mit dem Look ihres Instrumentenparks auf jedes seriöse Free-Jazz-Festival schmuggeln könnte. Aber, mein lieber Scholli, äh Schwan: Die lassen’s wieder krachen! »MyFather Will Guide Me A Rope To The Sky«, » The Seer« und eben »To Be Kind«: Die gewaltigen, ausufernden Alben-Brocken seit ihrem Comeback 2010 werden gerne als wüster Battle-Mix aus Birthday Party, Einstürzende Neubauten und Neuer Musik beschrieben. Mäandernde Klunker aus Schall, Schmutz und Schönheit, die sich bisweilen in Längen von fünfunddreißig Minuten Spielzeit ergehen. Hallo, verwegene Feuilleton-Werkschau mit arte-Bonus! Beim Gespräch mit dem freundlich interessierten Mainstream-Magazin-Interview gibt Michael Gira mittlerweile den Elder Statesman des Noise. Inklusive lässigem Cowboy-Hut: »I’m very American, yeah. A straight shooter and all that stuff.«

 

Was können wir also im Gebäude 9 erwarten? Das markentypische infernalische Knirschen und Rauschen? Wellen aus flirrender Mediation? Wird die Luft brennen und Michael Gira in Engelszungen zu uns reden? Werden Weihrauch und Myrrhe gereicht? Blumen verteilt? Egal wie: Es wird ein kolossales Ereignis.

 

Text: Mark Sikora

 


Tonträger: Swans, »To Be Kind« (Mute?/GoodToGo) ist bereits erschienen


StadtRevue präsentiert das Konzert: 24.10. Gebäude 9, 20 Uhr


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