»Das war keine Notwehr«

Sechs Polizeibeamte, die Stephan Neisius misshandelt haben, so dass er an den Folgen starb, sind verurteilt worden

Zwischen zwölf und 16 Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung lautet das Urteil, das am 25. Juli vor dem Kölner Landgericht gefällt wurde. Die Angeklagten wurden der gemeinschaftlichen Körperverletzung im Amt mit Todesfolge in einem minderschweren Fall, wie es in korrektem Juristen-Deutsch heißt, für schuldig befunden. Richter Bruno Terhorst blieb dabei deutlich unter der Forderung der Staatsanwaltschaft und knapp über der Mindeststrafe von zwölf Monaten. Die Verteidigung hatte jeweils Freispruch gefordert. Obwohl die angeklagten Polizeibeamten nicht ins Gefängnis müssen, reagierte man auf der Anklagebank mit Kopfschütteln und Fassungslosigkeit. Nach Beamtenrecht müssen straffällig gewordene Beamte nämlich den öffentlichen Dienst verlassen, wenn sie zu mehr als elf Monaten verurteilt werden. Dabei verlieren die Ex-Polizisten auch jeglichen erworbenen Pensionsanspruch, die z.T. langjährigen Polizisten müssen wieder bei Null anfangen.

Mitschuld der Ärzte? Verteidiger beantragen Revision

Mittlerweile haben sowohl Staatsanwaltschaft als auch die Verteidiger Revision beantragt. Damit ist erst nach dem Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil rechtskräftig, was noch ein halbes Jahr dauern kann. Die Verteidiger stellen die Mitverantwortung für den Tod von Stephan Neisius in Frage. »Wenn wir vor dem Bundesgerichtshof errreichen, dass aus der Schuld eine einfache Körperverletzung wird, wird die Strafe unter dem jetzigen Urteil bleiben und damit die Mandanten wieder in die Lage versetzen, weiterhin als Polizisten Dienst zu tun«, skizziert Rechtsanwalt Uwe Krechel die Strategie.
Ganz utopisch erscheint die Überlegung nicht, hatte doch auch der Richter von einer »Verkettung unglücklicher Umstände« gesprochen und die unmittelbare Schuld am Tod des Opfers den Ärzten des Kölner Marien-Hospitals zugerechnet, die nach Meinung des gerichtsmedizinischen Prozessgutachters lebenserhaltende Massnahmen zu spät einleiteten, nachdem der Gefesselte und Misshandelte das Bewusstsein verloren hatte. Gegen die Ärzte soll nun ermittelt werden, doch eine mittelbare und damit juristische Mitschuld träfe auch die Polizisten: »Ohne die fortlaufenden Misshandlungen wäre das Opfer nicht so hochgradig erregt gewesen und somit auch nicht ins Koma gefallen: Stephan Neisius würde noch leben«, so Richter Terhorst. Zudem gehe der BGH in seiner Rechtsprechung davon aus, dass ein Täter bei Schlägen und Tritten gegen den Kopf einen möglichen Tod des Opfers in Kauf nehme: Stirbt das Opfer danach, so sind die Schläge oder Tritte als Mittodesursache zu werten.

Rache, Strafe und Schuldfeststellung

»Sie haben auf einen Wehrlosen eingeprügelt, das war keine Notwehr: sie wollten dem Neisius eine Abreibung verpassen«, urteilte der Richter. In seiner Urteilsbegründung ließ Bruno Terhorst keinen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der beiden Hauptbelastungszeugen. Gleichwohl betonte Terhorst, die Angeklagten seien »keine Prügelpolizisten, und die Eigelsteinwache keine Prügelwache«, sie hätten in einem bestimmten Fall versagt, für eine grundsätzliche Gewalthaltung oder Verabredung zur Tat gäbe es keine Hinweise.
»Das war ein Fingerzeig gegen die Medienberichterstattung«, glaubt Lars Schöler, einer der Anwälte der Familie des Opfers, die sich im Übrigen der Revision nicht anschließen wird: »Der Familie ging es nicht um Rache oder Strafe, sondern um Schuldfeststellung, und die ist erfolgt«, so Schöler. Unter anderen Prozessbeobachtern wurde das Urteil zwiespältig aufgenommen. »Wir sind zufrieden, weil die Schuld festgestellt wurde und die Beamten aus dem Dienst raus sind. Allerdings hätten wir sie lieber im Gefängnis gesehen. So aber sind die lediglich ihren Job los, und so geht es auch vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland«, meint Thomas Krutmann, Freund und Kollege des Opfers.
Bianca Müller, Koordinatorin der Arbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen ist zufrieden: »Wer als Gesetzeshüter das Gesetz bricht, gehört raus aus dem Dienst. Gottseidank wurden hier die Strukturen, die solche Täter in der Regel schützen, aufgebrochen.« Ob allerdings innerhalb der Kölner Polizei weitere Konsequenzen gezogen werden, um zukünftig Gewaltübergriffe durch Polizisten zu verhindern, bleibt fraglich. Auf Anfrage hieß es lediglich, dass Prozesserkenntnisse in einen Umstrukturierungsprozess der Kölner Polizei einfließen sollen. Straffer soll alles werden, spätestens ab April 2004. Für polizeiinterne KritikerInnen wie Bianca Müller ist das nicht unbedingt viel versprechend: »Am besten wäre es, würden Vorgesetzte weniger nach fachlicher als vielmehr nach sozialer Kompetenz ausgesucht, das Vertrauensverhältnis zu Untergebenen sollte im Vordergrund stehen. Auf besonders belasteten Wachen sollten die Vorgesetzten rotieren, alle höchstens ein bis zwei Jahre Dienst auf der gleichen Wache, dann können sich diese Duldungsmechanismen nicht so leicht entwickeln.« Ein personalintensives Modell mit hohem logistischen Anspruch: Bisher wurde in Köln eher auf die Erfahrung des langjährigen Kollegen, der sein Revier genau kennt, Wert gelegt.

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