Alles auf Anfang

Die Akademie der Künste der Welt richtet sich unter der Leitung von Ekaterina Degot neu aus. Eine gigantische Aufgabe, aber auch eine Reaktion auf die Kritik der vergangenen Monate

Es ist wahrscheinlich ein Vorteil, dass Ekaterina Degot keine Wohnung in den angesagten Vierteln in Köln gefunden hat. Nachdem sie zunächst im Hotel untergekommen war, hat sie jetzt eine Wohnung am Alter Markt — für einen Crashkurs in Sachen Kölner Kultur genau richtig. Degot ist Kunsthistorikerin, Kuratorin und Professorin an der Rodchenko Moscow School of Photography and Multimedia. Vor zehn Monaten wurde sie zur neuen künstlerischen Leiterin der Akademie der Künste der Welt berufen, kurz nachdem Elke Moltrecht als neue Geschäftsführerin angetreten war. 

 

Die Wahl von Ekaterina Degot ist mutig. Sie ist weder eine weichgespülte noch eine verstiegene Kunst-Intellektuelle. Hart geht sie mit den Konzepten der Akademie ins Gericht, etwa mit der propagierten »Selbstorganisation« der Mitglieder, die so nie stattgefunden habe. Oder mit dem Fetisch der Zusammenarbeit von Künstlern der Welt mit Künstlern vor Ort, was für Degot deutlich neoliberale Züge mit linksliberaler Verbrämung trägt. Und die Fixierung auf die Jugend in der »Jugendakademie«, die unter großem Produktionsdruck leide, erinnert Degot an biopolitische Strategien. Schließlich sorge der Begriff »Akademie« aufgrund seiner pädagogischen Prägung hierzulande für Missverständnisse. Schonungsloser kann eine Kritik kaum ausfallen. Ekaterina Degot will, das wird im Gespräch unmissverständlich deutlich, der Akademie eine neue Identität verleihen, ohne sie komplett umzukrempeln.

 

Dass die gebürtige Russin den Posten der Künstlerischen Direktorin übernommen hat, hängt mit der schweren Krise der Akademie im Juni 2013 zusammen. Öffentliche Kritik an der mangelnden Sichtbarkeit paarte sich mit einem Aufstand unzufriedener Mitglieder, die sich in der Programmpolitik von Generalsekretärin Sigrid Gareis nicht ausreichend repräsentiert fühlten. Symbolischer Höhepunkt: der Rücktritt von Präsidentin Galit Eilat. Die Ursachen dafür waren weniger in den Personen als in der Organisationsstruktur der Akademie zu suchen. Die Politik hatte sich für eine gemeinnützige GmbH mit der Stadt als alleiniger Gesellschafterin und einer starken Generalsekretärin entschieden. Eine Struktur, die dem ursprünglichen Gedanken einer Künstlerakademie zuwiderlief und zum Streit führen musste.

 

An der Notoperation war dann die gesamte kulturpolitische Spitze der Stadt samt Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) beteiligt. Generalsekretärin Sigrid Gareis reichte ihren Rücktritt ein, an ihrer Stelle wurde die erwähnte Doppelspitze eingesetzt. »Die Mitglieder haben beschlossen, die Geschäftsordnung zu ändern und anstatt einer Präsidentin beziehungsweise einer Generalsekretärin einen Künstlerischen Direktor oder einen Intendanten zu installieren«, resümiert -Ekaterina Degot, die nun für zwei Jahre diesen Posten übernommen hat. Ihr Programm ist ambitioniert. »Ich verstehe die öffentliche Kritik so, dass bisher nicht klar ist, wie das Gesicht der Akademie aussieht.« Eine Vision zu entwerfen, wie die Institution in Zukunft aussehen soll, ist deshalb eines ihrer Ziele. Dafür hat sie allerdings klare Prämissen gesetzt. »Wir sind weder eine Prestige-Institution wie die Philharmonie, noch sind wir freie Szene.« Degot versteht die Akademie als »intellektuell anspruchsvoll, aber nicht akademisch«, diskursive Formate und Diskussionen seien ihr wichtig. Dann zitiert sie Aristoteles und die sinnliche Lust an der Wissensvermittlung.

 

Darin steckt ein alter Gedanke Navid Kermanis, der die Akademie initiiert hat und sie auch als Einspruch gegen den Anti-Intellektualismus Kölns verstanden wissen wollte. Selbstverständlich wird die Akademie kein Debattier-Club werden, sondern Projekte von oder auf Anregung von Akademiemitgliedern umsetzen. Dabei sollen, so Degot, die außereuropäische Kunst und die Kritik am Begriff der homogenen ethnischen Community ins Zentrum gerückt werden. Dafür wurde die Form der »Pluriversale« entwickelt, eines Festivals, das zweimal im Jahr zahlreiche Veranstaltungen der Akademie bündelt und so der Kritik an der Unübersichtlichkeit des Programms begegnet. Ab Oktober findet die erste Ausgabe statt. Mark Terkessidis wird dort unter dem Titel »Der Klang der imaginären Heimat« Musikabende für nichtdeutsche Deutsche kuratieren. Der Künstler Yochai Avrahami zeigt eine auf Kölner Verhältnisse zugeschnittene Installation für den Herkulesberg namens »The Mount of Hercules«, die unter anderem das Thema des Jüdischen Museums behandeln wird. Ekaterina Degot wiederum wird mit David Riff das performative Symposium »Bericht an eine Akademie« kuratieren, bei dem es um Gewalt in den Palästinensergebieten, um Völkerschauen oder um die Performances von Renzo -Martens geht. Die Veranstaltungen sind interdisziplinär und bewegen sich im Feld der Visual Arts. »Wir versuchen, Künstler zu finden, die sparten- und gattungsübergreifend arbeiten, wir werden sicher keine traditionelle Ausstellung mit Malerei oder konventionelle Theaterprojekte machen«, erläutert Ekaterina Degot. Zur Unterstützung hat sie sich einen kuratorischen Beirat an die Seite geholt, der derzeit mit Tom Holert, David Riff, Liza Lim, Terre Thaemliz und StadtRevue-Redakteur Felix Klopotek besetzt ist. 

 

Wie wichtig Ekaterina Degots identitätsbildende Maßnahmen sind, zeigt ein Rundschwenk in der Kölner Kulturpolitik und -verwaltung. Wir haben Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach nach konkreten Erwartungen an die Akademie, nach Veränderungen gefragt, aber als Antwort nur erhalten: »In einer internationalen Stadt wie Köln sollte die Akademie die Künstler aus anderen Ländern mit der Künstlerschaft vor Ort vernetzen und die Plattform für innovative Kooperationen und einen Raum des Experimentierens darstellen.« Brigitta von Bülow, kulturpolitische Sprecherin der Grünen, erwartet dagegen ein Ende der Closed-Shop-Politik und dafür Inhalte, die »für ein weites Publikum interessant« sind; sie fordert mehr »Köln-Bezug« ein und eine Öffnung zur freien Szene. Das dürfte mit Ekaterina Degot so nicht zu machen sein. Der kulturpolitische Sprecher der CDU, Ralph Elster, dagegen verortet die Akademie in der Hochkultur und warnt eindringlich vor einer Überfrachtung mit Integrationsansprüchen. Einig sind sich alle drei Befragten dagegen in ihrem Lob der neuen künstlerische Leiterin.

 

Identität ist auch eine Frage, wo man steht — räumlich verstanden. Die schlanke Struktur der Akademie mit dem kleinen Büro und das Prinzip des nomadischen Produzierens, also der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen der Stadt, mag eine gute Idee gewesen sein, doch sie wirkt kontraproduktiv. Die Akademie ist derzeit nicht zu verorten und ihre vielfach beklagte Unsichtbarkeit hat auch darin ihren Grund. Aufgrund der beengten Verhältnisse im Mediapark hat die künstlerische Leiterin dort nicht einmal ein eigenes Büro. Und die Salons werden in Zukunft ins King Georg im Agnesviertel ausgelagert. 

 

Grundsätzlich muss für Ekaterina Degot eine neuer Raum her, »ein Ort, den die Besucher mit der Akademie assoziieren«. Und dies dürfte die Voraussetzung dafür sein, sich ein »eigenes Publikum aufzubauen«, worauf Degot großen Wert legt. Dass sie bei der ersten »Pluriversale« ein Projekt zum Herkulesberg zeigt, kann man symbolisch verstehen: Die zwölf Aufgaben des griechischen Helden sind ein Fliegenschiss gegen das, was Ekaterina Degot sich vorgenommen hat.